Irmgarteichen. Der Lehrer, die Kirche und das Dorf: Der Heimatverein sichert den Nachlass von Konrad Siedhoff und Einblicke in die Irmgarteichener Geschichte.

Das Johannlandmuseum in der alten Volksschule hat die Adresse Glockenstraße 19. Glockenstraße? Als der Irmgarteichener Gemeinderat der Straße diesen Namen gab, dachte er nicht an die Kirche. Sondern an den Ort, unter dem die Glockengießerei vergraben ist: 1953, als das heutige Wohnhaus Glockenstraße 17 errichtet wurde, kamen die Überreste ans Tageslicht: Schmelzstücke, Glockenteile und Reste des Schmelzofens. Karl-Heinz Ley, Vorsitzender des Heimatvereins Oberes Johannland und Chef des Museums, hat die Fotos. Dank Konrad Siedhoff, dem Lehrer, der von 1928 bis 1966 hier unterrichtet hat.

Die Glocken

Ley hält den Kontakt zu Hermann Siedhoff, dem mittlerweile 83 Jahre alten Sohn des früheren Dorfschullehrers, der den Irmgarteichenern nach und nach die Fotosammlung seines Vaters überlässt. Siedhoff hat auf Glasplatten fotografiert. „Wir haben die Bilder alle auf Negative ziehen lassen“, berichtet Ley, „die Kamera bekommen wir auch noch.“

Neben der Schule wurde 1953 ein Wohnhaus gebaut. Dabei wurden die Reste einer Glockengießerei entdeckt.Konrad Siedhoff
Neben der Schule wurde 1953 ein Wohnhaus gebaut. Dabei wurden die Reste einer Glockengießerei entdeckt.Konrad Siedhoff

Den Wohnhausbau in der Nachbarschaft – Eigentümerin des von dem Lehrerehepaar Legge errichteten Gebäudes, das auch einmal Kinderheim war, ist heute die Caritas – hat Karl-Heinz Ley, Geburtsjahrgang 1945, als Schuljunge mitbekommen. Die 750-Jahrfeier Irm­garteichens im nächsten Jahr will Ley dazu nutzen, die Glocken-Geschichte zu dokumentieren: 1784 war der reisende Glockengießer „Nicolaus Bernhard von Diefenbach aus dem Fürstentum Brassenfeld“ – so die Inschrift – nach Irmgarteichen gekommen und hatte zwei Glocken für die damalige Holzkirche gegossen, „auf Johannes Büdenbenders Hoff-Acker“. In der heutigen, 1932 errichteten Kirche, läutet keine der Glocken von damals mehr. Das Geläut wurde zwei Mal in den Weltkriegen eingeschmolzen, um daraus Kanonen oder andere Waffen herzustellen. Die Glocke, die jetzt vor dem Museum aufgestellt wird, ist ein Symbol: Gegossen wurde sie 1948, geläutet hat sie in der Nähe von Gießen. „Wir haben lange gesucht“, berichtet Karl-Heinz Ley. Mit Unterstützung von Spendern konnte die Anschaffung finanziert werden.

Die Schule

Die Heimatstube der 1990er Jahre wurde 2016 offiziell zum Museum. Im Obergeschoss ist ein Klassenraum aus der Zeit nachgebaut, in der Lehrer Siedhoff unten die Kinder unterrichtet hat, acht Jahrgänge in zwei Klassen, manchmal nur in einer. Der Lehrer, der 1928 aus Dortmund ins Johannland versetzt wurde, hat sich um die Geschichte seiner neuen Heimat gekümmert. Beim Herbstmarkt kann das Museum Fotografien aus seinem Nachlass zeigen – und noch mehr: Siedhoff hat auch ein Stück Dorfchronik hinterlassen. Notizen aus dem 2. Weltkrieg, Protokolle der Schulgemeinde, die er von seinen Vorgängern übernommen hatte und in denen die jahrelangen Verhandlungen über den Neubau der Schule dokumentiert sind. Und schließlich die Schulchronik selbst: 1912 handschriftlich angelegt von Lehrer Oswald Hessmann, auf Formblättern nach der „Ministerial-Schul-Bestimmung vom 15. Oktober 1871“.

Herbstmarkt

Der Heimatverein Oberes Johannland veranstaltet am Sonntag, 3. November, einen Herbstmarkt im Johannland-Museum.

Um 11 Uhr wird die Glocke geweiht.

Es gibt Vorführungen am Spinnrad, Stände von Annes Wollstübchen und mit Schaffellen von der Gerberei Jüngst, Erbsensuppe, Kaffee und Kuchen.

Den Lehrern hatte der preußische Staat genau vorgegeben, wie sie die Schulchronik zu gliedern hatten. So kommt die Nachwelt auch in den Genuss der Feststellung, dass die Einwohner „im allgemeinen, wie alle Siegerländer, sparsam und fleißig“ seien. „Sie sind im Umgang freundlich, gefällig, dienstfertig und reichen gerne milde Gaben.“ Irgendeinen Grund muss es dann aber auch gegeben haben, dass sich in der Auftragsarbeit ausgesprochen unfreundliche Zuschreibungen für die Menschen in den Nachbardörfern finden. Werthenbacher und Haincher litten an „Rohheit und Grobheit, die Letzteren besonders an Unzuverlässigkeit“. „In Helgersdorf herrscht der größte Neid im ganzen Kirchspiel“ – und so weiter. „Einen Fehler haben aber alle: Das ist die Klatschhaftigkeit und das lieblose Reden über die Fehler des Nächsten.“

Konrad Siedhoff war Lehrer in Irmgarteichen.
Konrad Siedhoff war Lehrer in Irmgarteichen. © Privat

Drei Wochen Heuferien im Juli, drei Wochen Kartoffelferien im Oktober und zusätzlich schulfrei zu den heiligen drei Königen, Mariä Lichtmess, Mariä Verkündigung, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam, Peter und Paul, Allerheiligen, Mariä Opferung und Mariä Empfängnis. Das Innenleben der katholischen Schulgemeinschaft war durchaus aufregend. 1919 wird der Abschied von Lehrer Lohmann notiert, „da er in seine Heimat versetzt ist. Er reist gern und freudig nach fünfjähriger Verbannung...“ Er habe sämtliche Lehrer, die im Kriegsdienst waren, vertreten müssen. „Die Arbeit hat ihm ein ziemlich schweres Nervenleiden eingebracht. Als Entschädigung für die Vertretungen erhielt Lehrer L. altpreußischen Lohn, nämlich nichts.“

Vorangegangen war ein Schulstreik. Pfarrer Schimmelfeder habe die Gemeinde „durch politische Predigten aufgehetzt“, die Gemeinde habe in der Folge bei der preußischen Regierung die Versetzung des Lehrers verlangt: Er komme spät nach Hause, lasse das Licht brennen und bleibe lange auf, „fährt oft nach Siegen und geht ins Kino“. Lohmanns Nachfolger hält fest, wie Handwerker und Arbeiter erpresst wurden, ihre Kinder nicht mehr in die Schule zu schicken. Lohmanns Vergehen muss es wohl gewesen sein, dass der Lehrer sich zur Demokratischen statt zur katholischen Zentrumspartei bekannt habe. Lohmann sei „glücklich und leichten Herzens“ abgereist.

Ernst Herkelt ist seit 1925 Lehrer in Irmgarteichen. Im Juni 1928 trägt der Chronist ein: „Am Fronleichnamstage, dem 7. Juni 1928, erlitt Herr Lehrer Herkelt einen Unglücksfall. Er stürzte so unglücklich mit einem Motorrad, dass er wenige Stunden darauf, in der Nacht vom 7.-8. Juni, starb.“ Am 1. Juli 1928 tritt der Bewerber Konrad Siedhoff seinen Dienst an. 30 Jahre alt war er damals, nach Kriegsdienst und Lehrerprüfung stellenlos und daher fünf Jahre lang in die Stadtverwaltung in Dortmund ausgewichen. „Wann wird dieses Junglehrerelend endlich behoben sein?“, steht in der Chronik. Der Satz wird fünf Monate später durchgestrichen. Zum 1. September 1929 bekommt Siedhoff die 1. Lehrerstelle „endgültig“ übertragen. „Endgültig“ ist unterstrichen.

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