Stendenbach. Betroffene Landwirte fordern mehr Verständnis für ihre angespannte Lage von der Politik und sehen großen Handlungsbedarf in Sachen Bauland.

„Die Landwirte haben keine Lobby in der Politik. Zumindest nicht in Kreuztal“, hat Dieter Gebauer für sich und die Kreuztaler Grünen festgestellt – und möchte das ändern. Grüne und Bauern hätten sicher nicht immer das beste Verhältnis gehabt, aber „dieser alte Zwist“ könne ja überwunden werden, findet der Sprecher der Ratsfraktion weiter und erntet vorsichtiges Nicken in der Runde. Erster Schritt auf diesem Weg ist nun ein Treffen von Mitgliedern des Stadtverbandes mit zahlreichen Vertretern der heimischen Landwirtschaft auf dem Berghof in Stendenbach.

Bei der Diskussion um das künftige Baugebiet Zimmerseifen sei ihm klar geworden, dass nur seine Partei auf die Sorgen der Bauern um den Flächenverlust eingegangen sei, sagt Dieter Gebauer, Chef der Grünen-Ratsfraktion. Die Betroffenen würden informiert, wenn die Entscheidung gefallen sei, habe er zu hören bekommen, als er wissen wollte, ob denn im Vorfeld mit diesen gesprochen worden sei. „Das geht doch so nicht“, schüttelt er den Kopf und stößt damit auf Zuspruch.

Industriebrachen wieder freigeben

Der Boden für die Landwirtschaft werde immer kleiner, kritisieren Gastgeber Uwe Müller und seine Kollegen. Die entsprechenden Areale seien schnell einmal für andere Zwecke umgewidmet, würden gern zusätzlich noch als Ausgleichsflächen herangezogen. Umgekehrt komme aber niemand auf den Gedanken, Industriebrachen wieder für die Landwirtschaft freizugeben, wenn dort etwa Unternehmen Pleite gingen und Gelände ungenutzt sei.

Auf dem Berghof leben Milchkühe.
Auf dem Berghof leben Milchkühe. © Michael Kunz

Uwe Müller wünscht sich mehr Verständnis für seinen Berufsstand, der immer mehr an Bedeutung verlöre. Früher einmal sei das ganze Tal landwirtschaftlich genutzt worden, „inzwischen werden die Milchviehhalter immer weniger“, deutet er auf die umliegenden Grünflächen. Rund 70 Hektar Grünland werden von den Familien Müller und Heuel bewirtschaftet, als „reiner Grünlandbetrieb“ mit durchschnittlich 60 Milchkühen, die im Sommer täglich auf der Weide sind und deren Futter frei von Gentechnik ist. Sollte das ebenfalls schon seit Jahren in Planung befindliche weitere Wohngebiet „Am Hanker“ tatsächlich auch noch irgendwann kommen, „sind ganz schnell noch mal sieben oder acht Hektar weg“, fürchtet Müller.

Da tue sich ja nichts, beruhigt Ratsmitglied Michael Bald, der allerdings in einigen Positionen mit seinen Parteifreunden konträr liegt und für mehr Verständnis für die Verwaltung wirbt, mit Blick auf die angespannte Immobiliensituation. „Sprichst Du jetzt als Makler?“, muss er sich vorwerfen lassen.

Mit großen Problemen konfrontiert

Vor dem Gespräch bekommt die Grüne Delegation eine kleine Führung über den Hof. Uwe Müller zeigt die Kälber, von denen Parteisprecherin Jenni Göbel am liebsten gleich eins mit nach Hause nehmen möchte. Müller weist auf die großen Probleme hin, die zum Beispiel bei der Aufzucht durch ärztliche Untersuchungen und die ausufernde Bürokratie entstehen. Männliche Jungtiere seien praktisch nichts wert, betont Müller. Während die weiblichen Kälber nebenan im Gatter fröhlich toben und die Besucher neugierig beäugen, beklagt Müller das allgemeine Nachlassen von Wertschätzung in der Gesellschaft. „Ein Rind besteht nicht nur aus Steak“, bringt er die Sache auf den Punkt. In früheren Jahren hätten die Menschen viel mehr vom Tier verwertet, „da konnte ich das einfach in Hälften oder Viertel aufteilen; es gab Kunden, die nur die Knochen gekauft haben“. Das sei lange vorbei.

Dazu komme etwa ein Verbot der Politik für die heimischen Bauern, Ackerflächen zu bewirtschaften. Einzig Grünland sei gestattet, was die Höfe letztlich zwinge, Tierhaltung zu betreiben. Die werde dann aber auch wieder kritisiert, „wir Landwirte stehen eigentlich ständig am Pranger!“ Im Vergleich zu früheren Jahrzehnten mit vielen Ackerflächen werde heute deutlich weniger gedüngt, kontert er die Kritik am Ausbringen von zu viel Gülle.

Tierwohl-Label gefordert

Er wolle den regionalen Vertretern da gar nichts vorwerfen, beschwichtigt Fraktionssprecher Dieter Gebauer. Das Stichwort Wertschätzung beherrscht auch das anschließende Gespräch. Wie denn das, was heute Flugscham genannt werde, auf das Thema Landwirtschaft übertragen werden könne, eine stärkere Sensibilisierung also, wird überlegt. Wenn ein Produkt von einem Kontinent zu anderem gebracht werde, sei es nicht mehr „Bio“, sind sich Politiker und Landwirte einig. „Es heißt aber trotzdem so“, schimpft einer. Rindfleisch aus Argentinien habe für viele Menschen nach wie vor einen guten Ruf, „weil die nicht wissen, unter welchen Umständen die Tiere dort leben“.

Aufklärung in den Schulen tue Not, wird vorgeschlagen. Vor allem aber gehe es um die Möglichkeit der Kunden, sich zu entscheiden, sagt der Netpher Landwirt Henner Braach, seit vielen Jahren Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes und zugleich einer der Vizepräsidenten im Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverband. Er spricht sich für ein verpflichtendes Tierwohl-Label aus, das über die Herkunft des Fleisches informiert, kann gleichwohl verstehen, dass die Geschäfte dies eher nicht wollen und bedauert ausdrücklich, dass die Berliner Landwirtschaftsministerin auf Freiwilligkeit setzt. Eigentlich gebe es bereits genug solcher Labels, für die vernünftige Information der Menschen sei eine verpflichtende Kennzeichnung für ihn aber unumgänglich, betont Braach.

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