Fellinghausen. Helmut Schäl (77) aus Fellinghausen bastelt und tüftelt für den Lebensraum von Tieren und Pflanzen. Die Natur ist aus dem Gleichgewicht, sagt er.
Die Hornisse setzt zum Start an. Das riesige Insekt schwirrt mit beängstigend tiefem Brummen los. Man geht intuitiv auf Abstand. Helmut Schäl nicht. Er hat ihnen extra einen Nistkasten gebaut, ganz simpel. Einen Gasbetonstein mit zwei Brettern verschlossen, Loch rein, fertig. „Die wollen doch auch leben“, sagt der 77-Jährige. „Wenn ich nichts mache, lassen die mich in Ruhe.“ Eigentlich waren die Kästen für Hummeln gedacht. Helmut Schäl hat sich richtig gefreut, als die Hornissen eingezogen sind.
Der Mensch
Leben und leben lassen, anderen helfen. Helmut Schäl kennt das von klein auf. Geboren wurde er 1942 in Schlesien, sein Vater fiel im gleichen Jahr in Stalingrad. Die Mutter musste mit den Kindern 1945 die Heimat, verlassen, „mit dem was wir am Leib hatten, sind wir in den Zug gestiegen“, erzählt Schäl. Der Zug brachte die Familie ins Siegerland, das ein neues Zuhause werden sollte. Anfangs zwei winzige Zimmer für fünf Personen.
Man bekam nichts geschenkt. Mit dem Tausch von Tabakwaren und den wenigen Wertsachen versuchte die Familie, ans tägliche Brot zu kommen. Aber man half einander. Als irgendwann Häuser am Buchenweg gebaut wurden, schlug die Gemeinde vor, dass die Familie mitbauen sollte. „Samstags kamen die Verwandten“, erinnert sich Helmut Schäl. Alle packten mit an, der Reihe nach ging es von Haus zu Haus, bis alle hochgezogen waren. „Jeder hatte Ahnung von irgendwas“, sagt er.
Helmut Schäl hat Ahnung von Metall. Bis zum Ruhestand war er Schweißer. Für sein Haus hat er ein zerlegbares Außengerüst gebaut, um es besser streichen zu können. Er hat einen Grill erfunden, auf dem man bis zu 80 Pfund Fleisch garen kann, mit einem Rotationsmechanismus, den man aus der Distanz gut bedienen kann. „Richtige Spießbraten, nicht so kleine Steaks wie heute.“ Diese und viele andere Erfindungen – „Basteleien“, wie er sie nennt – hat Schäl auch verliehen, an die SPD zum Beispiel, für den Ortsparteitag. Unentgeltlich, versteht sich. Man hilft einander.
Seine Gartenhütte hat er auch selbst gebaut. „Fachwerk, mit Schwemmsteinen ausgemauert. Im Sommer kalt, im Winter warm“, sagt Schäl. Das Carport ist von ihm, die Teiche und all die Apparate und Werkzeuge, die auf dem Grundstück verteilt sind. Manchmal hat er etwas erfunden, manchmal schlicht etwas verbessert. Er kaufte Metallschrott seiner Firma, konstruierte, baute. „Ich hab’ da immer Spaß dran gehabt“, sagt Schäl.
Die Tiere
Während er bastelte und tüftelte, beobachtete Helmut Schäl die Natur. Das Haus liegt am Hang, gleich am Waldrand, es gab viele Tiere; Insekten, Frösche, Ringelnattern. Die brauchen Wasser, dachte er sich und baute große Bassins, Biotope. „Ein Weiher war jedes Jahr so voller Kaulquappen, man konnte sie mit der Hand herausschöpfen“, erzählt Schäl. Beim Schreddern von Gartenabfällen fand er ein Nest Ringelnattern. Die kleinen Schlangen rettete er, steckte eine in die Hosentasche und zeigte sie seiner Frau. „Ich habe noch nie eine totgeschlagen“, sagt er, „die waren doch vor uns da! Die laufen doch vor uns weg!“ Versetzt habe er sie oft, in extra gebaute Unterschlüpfe. „Die kannten mich schon.“ Er versuchte, die Kaulquappen mit einer Mauer vor den Schlangen zu schützen, „aber die sind ja auch nicht dumm“, sagt er schelmisch. In einer leeren Gießkanne entdeckte er, dass ein Zaunkönig sein Nest gebaut hatte. Helmut Schäl besorgte sich eine andere Gießkanne und baute in einer der vielen Gartenlauben Nischen für die kleinen Vögel. Die Wassernäpfe füllt er jeden Tag nach, „man muss den Vögeln was bieten.“
Kürzlich entdeckte Helmut Schäl, dass Wespen ein Nest in seinem Gartenhaus gebaut hatten, genau über der Eingangstür. Jetzt waren sie da, also blieben sie auch. Wenig später wurde es den Insekten offenbar zu eng: „Alle gleichzeitig sind ausgeschwärmt“, erzählt Helmut Schäl mit leuchtenden Augen; tausende Wespen in einer summenden Wolke. Er stand da und schaute sich das Schauspiel fasziniert an.
Die Pflanzen
Über das Grundstück zieht sich ein Geflecht aus Auffangbehältern, Pumpen und Leitungen. Denn nicht nur Tiere brauchen Wasser, auch die Pflanzen. Die lässt er wachsen, für die Umwelt. Es summt und wimmelt in all den Blüten und Stauden. Die Petersilie ist mannshoch, inzwischen auch Rettich und Radieschen, „hab ich für die Hummeln gelassen“, sagt Schäl und rupft mit bloßen Händen ein paar Brennnesseln aus. Schweißerfinger. Die eiweißhaltige Topinambur, mit kartoffelähnlichen Knollen, aus denen man Salat machen kann. „Gut für Diabetiker“, sagt Schäl. Überall fängt er Regenwasser auf und kann es mit seinem ausgeklügelten System in jeden Winkel seines Gartens pumpen.
Der Wandel
4000 Liter fassen seine Bassins, er hat eine Art Sauerstoffpumpe gebaut, damit das Wasser frisch bleibt: Der Regen wird über eine alte Waschmaschinentrommel gepumpt und plätschert in den Weiher. „Dabei wird das Wasser mit Sauerstoff angereichert“, erklärt Schäl. Einmal Tüftler, immer Tüftler. Jetzt für die Tiere. Aber die bleiben immer öfter weg. Kaulquappen gibt es nicht mehr in seinem Weiher. Schäl kann sich das nicht recht erklären, er hat versucht, ihnen gute Lebensbedingungen zu bieten. Er ist froh, dass die Fledermäuse und Mücken – ja, Mücken – noch fliegen, „aber das hat auch kolossal abgenommen“.
Natur aus dem Gleichgewicht
Helmut Schäl macht sich Sorgen. „Es wächst nicht mehr so gut “, sagt er, „das Gleichgewicht ist weg. Der Regen fehlt und damit Sauerstoff.“
Sein Garten soll weiter ein Lebensraum für all die Tiere sein, die dort schon mindestens so lange leben wie er. „Der Klimawandel fängt nicht erst an, wir sind schon mittendrin.“
Wenn er früher im Sommer nach Kreuztal fuhr, hatte er die Windschutzscheibe voller toter Mücken, sagt er. Das ist vorbei. Die Wühlmäuse sind auch nicht mehr da und weil es weniger Mauselöcher gibt, finden auch die Hummeln keinen guten Unterschlupf mehr. Die Natur ist ein komplexes System. Helmut Schäl schaut genau hin und hilft, wo er kann. Dafür muss er nur ein wenig tüfteln, auch wenn es ihm zunehmend schwer fällt.
Helmut Schäl hat Knochenkrebs. Bösartig. Alle vier Wochen muss er zur Chemo. Das schlaucht, wegen der Nebenwirkungen der Tabletten hat er Probleme mit den Zähnen bekommen. Das Maggikraut kann er nicht mehr so gut zerbeißen. Aber er weiß ja, wie es schmeckt. Wenn er etwas nicht weiß, beobachtet er. Und dann geht er in seine Werkstatt und fängt an zu tüfteln. Um denen, die da kreuchen und fleuchen, ein bisschen unter die Arme zu greifen.
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