Siegen. Einerseits sind wir bestimmt auch bequem – andererseits bestimmen die Verhältnisse unsere Entscheidungen in Sachen Nachhaltigkeit. Sechs Berichte
Wir haben Buch geführt: Wie nachhaltig verhalten wir uns in Sachen Einkaufen, Müllvermeidung und -erzeugung und Mobilität? Wie sehen unsere Entscheidungen zwischen Alternativen aus? Wo sind wir einfach nur bequem? Was können wir eigentlich besser machen?
Sechs Kurzberichte voller Selbstkritik
Sechs Kurzberichte aus der Redaktion stehen auf dieser Seite. Mit ausgesprochen (selbst-)kritischen Blicken auf das eigene Verhalten, zugleich aber auch Anmerkungen zu den Verhältnissen, die unseren Alltag bestimmen: So lange Bio in Plastik verpackt ist, so lange Busfahren erstens eine Wissenschaft und zweitens eine Geduldsprobe ist, so lange wir uns den Anforderungen an Mobilität um des Lebensunterhalts willen beugen müssen – so lange sind wir noch ein ganzes Stück davon entfernt, die Welt zu retten.
Wir alle sind aber auch zuversichtlich: Die Ideen, das Leben nachhaltiger zu machen, gibt es ja. Und die Entschlossenheit der Jungen, es besser zu machen als die Alten, auch.
Nachhaltig leben: Erfahrungen der Siegener Lokalredaktion
Es fängt damit an, dass wir unseren Samstagseinkauf unvorbereitet starten, wir kaufen an der Kasse eine Plastiktüte: Die landet, als Abfallbeutel endgenutzt, im Restmüll und wird verbrannt. Oder geht, wie man so liest, als exportierter Verpackungsmüll auf Plastikmüllberge in arme Länder, die damit noch schlechter zurecht kommen als wir in Deutschland. Immerhin: Ich bin viel Bahn gefahren am Wochenende, Nah- und Fernverkehr, eben da, wo die Infrastruktur passt. Also nicht in meinen Alltagsjob. Ich pendle jeden Tag 85 Kilometer nach Siegen, mit dem Auto, weil das mit der Bahn zwei Stunden je Tour dauern würde, was mir noch nicht mal das Finanzamt glaubt. Nachhaltigkeit hat eben nicht nur eine ökologische Komponente. Wenn Sie verstehen, was ich meine. Eine, spätestens zwei Generationen nach mir wird so etwas nicht mehr gehen (müssen): Wir reduzieren unsere Fahrten, wir verfügen über einen klimaschützenden öffentlichen Verkehr, wird können dank digitaler Technik von überall arbeiten, wo wir gerade sind.Die Geschichte des Konsums ist übrigens gerade spannendes Thema einer Ausstellung im LVR-Museum Engelskirchen (Auto, Fahrgemeinschaft): Ich lerne, dass die Menschen im 19. Jahrhundert durchaus nachhaltiger gelebt habe als heute, zumindest die Armen auf dem Land. Aus der Not heraus.Wenigstens zwei Pluspunkte werfe ich für mich in die Waagschale: Wir hatten, dank städtischem Entsorgungsbetrieb, zwei Wochen lang keine Mülltonne. Und siehe da: Die Sache mit der Müllvermeidung klappt. Und: Auch in diesem Sommer kommen keine weit gereisten Tomaten auf den Tisch. Sie wachsen bei mir auf dem Balkon.
Welt retten in einer Woche? Freunde, das kann doch nicht so schwer sein: kein Käse mehr aufs Käsebrot, kein Kickstart an der Ampel, kein Plastik um die Gurke, Blumenwiese nicht mehr mähen, Ananas aus dem Flugzeug sind tabu, der alte Diesel bleibt jetzt stehen, Fleisch ist weitgehend gestrichen, Fisch auch, Dusche aus beim Einseifen, Schiffe sind doof, Heizung runter und Fenster zu, olles Brot nicht wegwerfen, Cruisen verboten, Standby ist böse, keine Glühbirne einschrauben, Wäschetrockner wird nicht gekauft, kein Kaffee mehr im Plastikbecher, Plastikflaschen sind bäh, Plastiktüten erst recht, Schokolade mit Palmöl gehört auf die schwarze Liste, Sandkasten im Garten kommt weg, kein Urlaub mehr in Übersee, verlängertes Wochenende auf Mallorca ist gestrichen, Zweitwagen auch, Beton anrühren? lieber nicht, Klimaanlage im Auto aus, neues Tablet muss nicht sein, der Fernseher tut’s auch noch, Erdbeeren im Dezember gibt’s nicht, nicht mehr mit dem Auto zum Altglas-Container, kaputte Hose gehört nicht in den Müll, kein Trinkwasser für die Blumen, Streaming nur in Maßen und morgens keine Eier mehr. Geht doch.
Tim Bendzkos Song „Nur noch kurz die Welt retten“ im Ohr bin ich in diese Woche gestartet. Ich wollte richtig was reißen. An der Klimaschraube drehen. Weniger mit dem Auto fahren, beim Einkaufen noch mehr an die Umwelt denken und ganz generell einfach kein Umweltschuft sein. Aber ich sag es gleich: Einige Gewohnheiten kann man nicht so leicht ablegen und Ausreden gibt es immer.Unter Zeitdruck und aufgrund der Entfernungen zwischen meinen beruflichen Terminen bin ich doch mit dem Auto gefahren. Immerhin, das möchte ich anmerken, habe ich auf die lästige Parkplatzsuche verzichtet und bin direkt ins Parkhaus gehuscht. Beim Einkaufen habe ich es als Allergikerin sowieso schwer – nicht alles kommt für mich in Frage. Aber hier achte ich seit Jahren darauf, möglich wenig Plastik zu kaufen, Einkaufsbeutel mitzubringen und auf Produkte zu verzichten, die einmal um den Erdball geflogen sind, um bei mir im Regal zu landen. So auch diese Woche. Ein Pluspunkt. Aber wie so oft kommt das dicke Ende zum Schluss. Donnerstag ging es für mich in den Urlaub… mit dem Flieger. Für meine Reisesucht finde ich keine Ausreden. Da hilft es auch nicht, dass ich bei der Airline einen Euro für die Klimabilanz gespendet habe…
Ich lebe eigentlich ziemlich nachhaltig: Seit elf Jahren bin ich Vegetarierin mit veganen Tendenzen, fahre nur einmal die Woche Auto und ansonsten Bus, lebe auf kleinem Raum, benutze Einkaufstaschen mehrmals und trenne Müll. Aber eine absolut nicht nachhaltige Sache, die ich viel zu oft im Alltag benutze: Plastik. Im Supermarkt ist ein Viertel des Gemüses in Plastik verpackt, meine Smoothies bestehen zwar zu Anteilen aus „recycelbarem Plastik“, aber ich schmeiße sie trotzdem in die gelbe Tonne. Und auch meine geliebten vegetarischen Fleischersatzprodukte sind in Plastik verpackt – von Kosmetikprodukten ganz zu schweigen. Erstes Ziel: Nur noch Obst und Gemüse kaufen, das nicht extra verpackt ist – klappt ganz gut, bis auf Mini-Tomaten, die einfach viel besser als die unverpackten schmecken. Körperpflege gibt es auch in Form von Seifen – ergiebiger und umweltschonend, auch wenn man üben muss, damit sie nicht wegflutschen. Die Smoothies mache ich kurzerhand selbst und merke an den Fruchtresten im Becher, dass mein Mixer definitiv mehr Leistung gebrauchen könnte. Das Auto kann ich leider nicht stehenlassen, denn der nächste Supermarkt für den Wocheneinkauf ist drei Kilometer entfernt, ich besitze kein Fahrrad und der Einkauf ist schlicht zu groß für einen Rucksack. Was nehme ich aus der Woche mit? Die Umstellung auf einen nachhaltigeren Alltag ist ungewohnt, aber da ich sowieso schon nicht der schlimmste Umweltsünder bin, klappt es schnell ziemlich gut. Damit ich das auch weiter erfolgreich durchziehe, muss definitiv ein Fahrrad her – dringend! Und ein neuer Mixer. Dann klappt’s hoffentlich auch mit der Plastikreduktion.
Ich wollte wissen, was ich der Umwelt täglich antue. Wenn alle Erdenbürger so leben würden wie ich, bräuchten wir dafür 2,8 Planeten. Mein ökologischer Fußabdruck beträgt 4,8 globale Hektar (gha). Nachhaltig wäre mein Leben erst mit 1,7 gha oder darunter. Zeit, mal kurz die Welt zu retten!Mobilität: Eine Viertelstunde lief ich am Dienstag von Zuhause bis ins Hilchenbacher Zentrum. Vollkommen unnötig, für diese Strecke den Motor anzuschmeißen. Trotzdem vermisste ich die Klimaanlage beim Bergsteigen. Am Mittwoch entschied ich mich bewusst für das Auto: 40 Minuten brauchte ich damit für die Hin- und Rückfahrt zur Uni, mit Zug und Bus wären es mindestens 90 Minuten. Schlecht fürs Klima, aber Zeitersparnis für mich! Mein spärliches schlechtes Gewissen glich ich mit dem vegetarischen Menü in der Mensa aus… Zu einer Geburtstagsparty in Dahlbruch lieber Auto statt Fahrrad. Verschwitzt, außer Atem, mit verstrubbelten Haaren auf eine Feier? Lieber nicht. Freitag: Mit dem Auto nach Siegen. 3:1 gegen das Klima. Einkaufen: Beim Obsthändler um die Ecke kaufte ich diese Woche Äpfel aus Deutschland. Die Ökobilanz versaut haben die Apfelsinen aus Spanien – immerhin unverpackt. Wäre es besser, extra nach Siegen zum Biomarkt zu fahren? Ich bezweifle es. Für eine Studentin sind Bio-Lebensmittel einfach zu teuer. Außerdem würde ich den Obsthändler vermissen. Müll: In einem Vier-Personen-Haushalt kommt einiges zusammen. Hier bin öko: alte Brottüten für den Biomüll, alles säuberlich getrennt, Plastikmüll möglichst vermieden. Gut fürs Klima! Fazit: Reicht das? Ich könnte mehr tun. Versuchen werde ich es.
Traurige Erkenntnis: Wer kein Idealist ist oder keine Wahl hat, wird nicht auf den ÖPNV umsteigen. Ich habe es eine Woche versucht. Keine Alternative. Das liegt nicht an den Verkehrsunternehmen. Sondern an Rahmenbedingungen, Infrastruktur und der Unwilligkeit von Entscheidungsträgern, sich geistig über jahrzehntealte Denkmuster zu erheben und das Problem ernsthaft anzugehen. Denn hohes Verkehrsaufkommen auf einigen Strecken des Siegerlandes ist ein wirkliches (Umwelt-)Problem. Wohin man zu Stoßzeiten sieht, fauchen Auspuffe Abgase in den Himmel. Ich bin ein pünktlicher Mensch und muss es auch beruflich sein. Wenn der Bus zu spät kommt – noch mal: nicht die Schuld der Fahrer oder des Verkehrsunternehmens –, gerät viel aus dem Tritt. Der Bus ist voll, es ist heiß und stickig, ältere Fahrgäste haben ihre liebe Not, in der Enge zu stehen. Dass die Fahrt dauert, liegt natürlich auch daran, dass sich die Katze in den Schwanz beißt: Wenn man nicht sicher sein kann, pünktlich zur Arbeit zu kommen, nimmt man doch lieber das Auto. Und weil viele so denken, bilden sich Staus. Ich denke ja selber so: Fahre ich halt den Schleichweg. Oft klappt es, nicht im Stau zu stehen. Abgase puste ich trotzdem in die Luft.Immerhin etwas weniger: Mein Auto läuft auf Autogas (LPG). Butan und Propan sind Abfallprodukte der Erdölindustrie, verbrennen umweltfreundlicher als Benzin: Rund 80 Prozent weniger Stickoxid, 50 Prozent weniger Kohlenwasserstoff, 16 Prozent weniger CO2. Weniger ist nicht nichts. Der Bus ist keine Alternative. Bleiben Rad fahren und zu Fuß gehen. Das ist besser für die Umwelt und für meine Gesundheit.
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