Siegen. 1999 präsentiert Paul McCartney das erste Mal seine „Paintings“ der Öffentlichkeit, im Lyz. Die Fäden zog Kreiskulturreferent Wolfgang Suttner.
Neulich hat er eine Ausstellung mit Lithographien von Udo Lindenberg eröffnet. Noch so ein Musiker, der niemals als Maler berühmt wird. So wie Bob Dylan, obwohl der sogar Kunst studiert hat. Ganz anders dagegen Günter Grass, den Wolfgang Suttner für einen der besten Grafiker überhaupt hält - der aber vor allem als Literatur-Nobelpreisträger in Erinnerung bleibt. Oder Armin Müller-Stahl: „Ein begnadeter Maler“, sagt der ehemalige Kreiskulturreferent, der heute Vorsitzender des Deutschen Kunstrats ist – aber Müller-Stahl bleibt vor allem Schauspieler prominent.
Da war noch jemand? Paul McCartney. Wolfgang Suttner würde ihn den malenden Popmusikern zuordnen. Aber da ist natürlich mehr. McCartney hat seine Bilder zum ersten Mal überhaupt in Siegen aufgestellt. Vor 20 Jahren, am 30. April 1999, wurde seine Ausstellung eröffnet. Vom 1. Mai bis zum 25. Juli gab es das Kulturhaus Lyz nicht mehr. „Kunstforum Lyz“ stand auf den Plakaten und Eintrittskarten. „Das war ein Versuch, Siegen in die Weltöffentlichkeit zu bringen“, sagt Suttner. Fast 40.000 Karten wurden verkauft, Medien berichteten in millionenfacher Auflage. Gekostet hat das die Veranstalter nichts. Der Gewinn floss ins Budget für die folgenden Kultur-Pur-Festivals: „Wir haben ein sechsstelliges Plus gemacht.“
Bundesweit in Sachen Kunst unterwegs
Wolfgang Suttner (67) war von 1990 bis 2017 Kulturreferent des Kreises Siegen-Wittgenstein und Leiter des neuen Kulturbüros. Er ist Erfinder von Kultur Pur.
Ehrenamtlich ist Suttner heute Präsident des Deutschen Kunstrats und einer der Sprecher des Deutschen Kulturrats. Als Berater ist er in der Region gefragt.
Frederike hatte die Idee: Papa möge doch mal Paul McCartneys Bilder ausstellen, schlug sie dem damals fast noch frisch gebackenen Kulturreferenten vor.
Wie alles beginnt
„Entscheidend war: Wie komme ich an ihn ran?“ Das ging dann so: Ein Mitarbeiter von Sonor kannte den Schlagzeuger von McCartney und verhalf Suttner zu einer VIP-Karte mit Backstage-Pass für ein Konzert in Dortmund. Dort überreichte er dem Drummer einen Brief an McCartney: Er wolle seine Bilder sehen. Das, so erfuhr Suttner später, war sein Türöffner: Den anderen vor ihm war es allzu offensichtlich nur um den Ex-Beatle gegangen. „Natürlich wollte ich ihn auch kennenlernen“, gibt Suttner zu. Als Profi wusste er aber auch, dass Maler sowieso niemanden mit ihren Bildern allein lassen, „jedenfalls nicht beim ersten Besuch“.
Sie lassen ihn zwei Monate zappeln, dann ruft Linda McCartney im Kulturbüro an und lädt Wolfgang Suttner nach Peasmarsh ein. An einem späten Nachmittag trifft er auf dem Anwesen in East Sussex ein „Plötzlich steht die Weltlegende vor mir.“ Und dann, an diesem Tag irgendwann im Jahr 1993, beginnt eine 800 Bilder lange Geschichte. So groß ist der Bestand, den sich Suttner nun tatsächlich ansieht. Bei etwa zehn Besuchen entsteht eine Arbeitsbeziehung, für die die beiden ein Rollenspiel vereinbaren. Der Deutsche mimt den „Big Curator“, den Ausstellungsmacher also, und der Star ist „Paul Miller“. So habe er unbefangen sagen können, was er von jedem Bild hält, sagt Suttner, „und das hat er sich dann auch angehört.“
Wie die Ausstellung entsteht
„Ich hatte schon im Hinterkopf, dass ich die Bilder zeigen wollte“, berichtet Wolfgang Suttner, „in Siegen, das war mir ausgesprochen klar.“ Immerhin drei Jahre verstreichen, bis Paul McCartney das Thema selbst auf den Tisch bringt. Sanft redet ihm der Siegener aus, die großen Museen für kunstgeschichtlich kleine Bilder überhaupt in Erwägung zu ziehen. Auf Siegen kommt McCartney aber von ganz allein: ein Stahlstandort wie seine Heimatstadt Liverpool, der Geburtsort von Peter Paul Rubens. „Ich wusste nur nicht wo, das Museum für Gegenwartskunst gab es ja noch nicht.“
Georg Klein, Organisationschef des Kulturbüros, hat die naheliegendste Idee: Innerhalb von 14 Tagen wurde das komplette Lyz zum Kunstforum umgebaut, Foyer und Schauplatz unten, Aula und Nebenräume oben, eine Außentreppe dazwischen, 75 Gemälde von Paul McCartney und 14 Fotografien von Linda McCartney wurden präsentiert – so, wie McCartney das zu Hause am Modell, das der Siegener Künstler Lutz Dransfeld baute, simuliert hat.
Schließlich geht es nur noch um die Gästelisten für die Eröffnung. Der Star setzt David Bowie, Elton John und George Harrison drauf, aus Düsseldorf fragt Ministerpräsident Wolfgang Clement, ob ein Treffen auf einer Autobahnraststätte genehm wäre – für Siegen hat er keine Zeit. All diese Begegnungen finden nicht statt. „Ich hatte nächtelang nicht mehr geschlafen.“
Was nach dem Start geschieht
„Die Warteschlange reichte bis in die Leimbachstraße“, erinnert sich Wolfgang Suttner. Ein Gästebuch allein reicht nicht aus, zwei rote Kladden füllen sich in den folgenden Wochen. „Thanks Siegen + Wolfie for the opportunity to get my pictures out of the closet“, schreibt der malende Sänger hinein. „Wonderful to see the paintings, Paul“, hält der Fotograf David Bailey fest. George Martin, als Produzent der „fünfte Beatle“, trägt sich ein, auch Cartneys Biograf Barry Miles. „We are so proud“, notiert Stella, McCartneys Tochter, die ebenso wie ihr Bruder James nach Siegen kommt, „Dad, you rule.“
„Er wollte einfach, dass er als Maler bekannt wird.“ So erklärt Wolfgang Suttner, warum Paul McCartney sich so sehr für seine „paintings“ engagierte. 14.000 Plakate und Kataloge wurden umgesetzt. Der Künstler stellte 300 Lithographien und 400 signierte Plakate zur Verfügung – „die werden jetzt für bis zu 900 Euro gehandelt“. Das Plus in der Kasse des Kreises wird möglich, weil McCartney selbst auch die Kosten für das Modell, den Transport und die Versicherung übernahm. Die Ausstellung wandert von Siegen nach Bristol, Liverpool, New York und Kiew. „Thank you Siegen, thank you Wolfie“, sagt McCartney bei der Zugabe seines Konzerts in der Kölner Lanxess Arena, bei dem es noch einmal ein Wiedersehen gibt.
Eine Weile wechseln noch Weihnachtskarten zwischen Siegen und Peasmarsh. Der Siegener Kulturreferent wird zum Ansprechpartner für ganz viele Menschen, die alle noch etwas von McCartney wollen, ihm Ehrenmitgliedschaften in Beatles Fanclubs antragen. „Das funktioniert natürlich nicht.“
Vermitteln kann Wolfgang Suttner noch die deutsche Erstaufführung von McCartneys Liverpool Oratorium 2007 durch den Philharmonischen Chor Siegen. Erinnerungen bleiben: An die Besuche, von denen Wolfgang Suttner ein einziges Foto retten kann, das McCartneys strenges Management nicht kassiert hat. Vor allen aber an die Ideengeberin. Frederike stirbt zehn Tage nach der Ausstellungseröffnung.
Was bleibt
„Das ist ein Lehrstück über das, was passiert, wenn man die verrücktesten Gedanken zulässt“, so Wolfgang Suttner. Fingerspitzengefühl braucht es, die richtigen Leute, die mitziehen. Und Mut. „Dann kann man große Sachen realisieren.“
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