Siegen. . Warum sollte man Papier sammeln, an dem andere vor langer Zeit rumgeleckt haben? Thilo Nagler, Briefmarkenfreunde Netphen, hat eine gute Antwort.
Damit für Briefmarkensammler die Post abgeht, veranstalten fünf Briefmarkenvereine am Samstag, 6. April, von 9 bis 16 Uhr die 2. Südwestfalenbörse für Briefmarken und Münzen in der Siegerlandhalle. Das Angebot soll auch neue Leute für dieses Hobby begeistern. Wie das gelingen kann und worin überhaupt der Reiz von entwertetem Porto liegt, lässt sich Florian Adam von Thilo Nagler, Schriftführer der Briefmarkenfreunde Netphen und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Südwestfalenbörse, erläutern.
Ich frag’ mal so: Warum sollte ich Papier sammeln, an dem andere Leute vor langer Zeit rumgeleckt haben?
Thilo Nagler: Eine Briefmarke ist ein Stück Geschichte zum Anfassen, ein Stück Erinnerung, das ich mit nach Hause nehmen kann. Sie haben damit heute noch etwas, was jemand vor 50 oder 100 Jahren als Gegenstand genutzt hat. Und in uns allen steckt ein Sammeltrieb. Es gibt da dieses Indiana-Jones-Feeling, wenn sie sich gut auskennen und etwas Besonderes finden – etwas, was dann vielleicht nicht nur einen ideellen, sondern auch einen monetären Wert hat. Es ist wie Schatzsuche. Vielen macht es Spaß, ihre Sammlung zu komplettieren, das entscheidende Stück zu finden.
Seit wann gibt es Briefmarken?
Die erste offizielle Briefmarke erschien 1840 in Großbritannien. Früher war es so, dass die Empfänger von Briefen das Porto bei Zustellung zahlen mussten. Lehnten sie ab, hatte die Post zwar die Dienstleistung erbracht, erhielt dafür aber kein Geld. Irgendwann kamen Leute darauf, die wichtige Information außen auf die Umschläge zu schreiben: Der Empfänger konnte sie lesen, die Annahme dann aber verweigern. Deshalb entstand die Idee, dass der Absender bezahlen soll.
Wann fingen Menschen an, diese Marken zu sammeln?
Das geschah relativ schnell. Anfangs ging es vor allem um exotische Marken, denn so ließ sich Fernweh befriedigen. Es hatte mit Entdeckungskultur zu tun, man konnte sich Urlaub, Exotik, Abenteuer ins Haus holen. Heute sammeln die Menschen eher Selfies an besonderen Orten. Wir brauchen die Briefmarke nicht mehr, um Anerkennung zu gewinnen. Die „Ahs“ und „Ohs“ finden heute bei Facebook statt: „Seht, ich bin da, wo die Briefmarke herkommt.“
Verliert dieses Hobby an Zulauf?
Nachwuchs ist ein Riesenproblem. Da hat auch der demografische Wandel einen Effekt. Wenn Leute eine Sammlung erben, verkaufen sie sie in der Regel direkt, um sich andere Träume zu erfüllen.
Taugen Briefmarken als Wertanlage?
In vielen Bereichen gibt es ein Überangebot, die Preise gehen runter. Wo es immer laufen wird, ist das High-End-Segment: Eine Blaue Mauritius lässt sich immer verkaufen.
Dem Klischee nach ist Briefmarken sammeln nicht so ein wirklich heißes Hobby: Schräge Typen sitzen allein in verstaubten Räumen und betrachten durch die Lupe alte Marken. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel.
Nein – sagen Sie es ruhig so offen! Es gibt auch solche Sammler. Man muss diese Klischees aufgreifen und zeigen, dass das Sammeln wirklich ein Update hat. Ich zum Beispiel habe früher als DJ gearbeitet. Wenn ich da Frauen kennenlernte und wir über meine Hobbys sprachen, dachten die: „Ja klar – der sammelt Briefmarken ...“
... da war „Soll ich Dir mal meine Briefmarkensammlung zeigen“ noch eine Chiffre für etwas anderes.
Genau. Die waren dann ziemlich erstaunt, wenn sie mich tatsächlich mal besucht haben. DJ und Briefmarken, das bekommen viele nicht zusammen. Darum suchen wir auch immer wieder Kooperationspartner, mit denen es vermeintlich wenige Berührungspunkte gibt. 2016 gaben die Briefmarkenfreunde Netphen einen Sonderstempel zum Freak Valley Festival. 2018 bei der ersten Südwestfalenbörse war unser Partner der VVN/BdA – für eine Sondermarke zu Ehren Walter Krämers. In diesem Jahr ist es das Museum für Gegenwartskunst. Das war bisher immer sehr erfolgreich.
Warum eine Großveranstaltung wie die Südwestfalenbörse?
Wenn wir als Vereine nichts tun, saufen wir ab. Wir versuchen, mit solchen Aktionen das Thema Briefmarkensammeln wieder in die mediale Öffentlichkeit zu bringen. Vor zwei, drei Jahren haben wir überlegt: Wie können wir etwas bewegen, neue Sammler aktivieren, alte Sammler reaktivieren? In der Arge Südwestfälischer Briefmarkenvereine haben wir überlegt, eine Großveranstaltung auf die Beine zu stellen, für die die Leute sogar ein, zwei oder drei Stunden fahren. Die erste Auflage hat 2018 richtig eingeschlagen: 500 bis 1000 Besucher, damit haben wir nicht gerechnet.
Wofür braucht es eine solche Börse heute überhaupt? Auch Briefmarkensammler dürften doch längst alles im Internet finden.
Ebay und Co. haben uns geholfen, weil sie das Sammeln am Leben gehalten haben. Uns als Vereine hat es aber auch getroffen, denn es gibt ein Problem: Viele Leute sitzen nun allein vor dem Rechner und kaufen online. Unsere Idee ist, die Menschen wieder in einen Saal und in Kontakt zu bringen: Face to face statt einsam vor dem Bildschirm. Viele sind auch nicht in Vereinen – obwohl sie da die Möglichkeiten hätten, sich von den alten Hasen Tipps zu holen: Wie baue ich eine Sammlung auf? Welchen Wert hat eine Marke? Woran erkenne ich, ob sie echt ist?
Welches Konzept steckt hinter Ihrer Börse?
Wir haben sie auf drei Säulen aufgebaut: Erstens Handel und Tausch. Zweitens ein Sonderpostamt, wo die Briefmarken mit unserem Sonderpoststempel gestempelt werden. Und drittens die Experten vom Verband philatelistischer Prüfer; die helfen weiter, wenn jemand zum Beispiel eine Briefmarken- oder Münzsammlung geerbt hat und dazu Informationen möchte. Man kann sie aber auch ansprechen, wenn man zu einer bestimmten Marke, die bei der Börse zum Verkauf angeboten wird, eine Meinung haben will. Auf Ausstellungen und Wettbewerbe verzichten wir ganz bewusst.
Warum?
Wir lassen das weg, was uns weniger attraktiv erscheint. Wir möchten Philatelie jünger und sportlicher rüberbringen. Wir müssen innovative Ideen entwickeln, Philatelie updaten. Die üblichen Ausstellungen bei solchen Börsen sind eher steif und trocken. Das interessiert die Leute einfach nicht. Und unsere Börse ist keine Eintagsfliege, wir wollen sie dauerhaft in Deutschland etablieren.
Lohnt sich der Besuch auch für Leute, die mit Briefmarken bisher nichts am Hut haben?
Aber sicher. Das Motto ist „Weck deine Erinnerung“. Wir zielen vor allem auf die Altersgruppe Mitte 30 bis Anfang 40; Menschen, die vielleicht als Kind einmal Briefmarken gesammelt haben und sich nun wieder dafür motivieren lassen. Wir möchten aber natürlich auch alle anderen Leute ansprechen, über das Gefühl einer schönen Kindheitserinnerung; wenn sie eine Marke in der Hand halten, die sie früher vielleicht einmal aus dem Automaten gezogen haben.
Sonderbriefmarken der Briefmarkenfreunde Netphen zur Südwestfalenbörse
Zur 2. Südwestfalenbörse erscheinen zwei Bögen mit Sonderbriefmarken. Die Briefmarkenfreunde Netphen geben einen Bogen mit 20 70-Cent-Marken – und 20 Motiven – des ehemaligen Reichs-Post- und Telegraphenamts Siegen heraus.
Verbunden über das Gebäude
Das Gebäude, eröffnet am 20. Juni 1894, wird im kommenden Sommer 125 Jahre alt – und ist heute das Domizil des Museums für Gegenwartskunst (MGK), das als Kooperationspartner der Südwestfalenbörse ebenfalls Sonderbriefmarken herausgibt: eine so genannte Portocard mit zehn Fachwerkhausaufnahmen von Bernd und Hilla Becher. Außerdem gibt es einen Sonderstempel, auf dem der moderne MGK-Haupteingang und ein Teil des Altbaus zu sehen sind.
Das Gebäude, das Post und Museum in Verbindung bringt, war Ausgangspunkt der Zusammenarbeit. Die Briefmarkenfreunde wählten für ihren Bogen aktuelle und historische Ansichten des Gebäudes, das MGK steuerte Aufnahmen aus dem Inneren – von Diana Thaters Videoinstallation „Broken Circle“ – bei. Zusätzlich entschied sich das Museum für eine eigene Aufklappkarte mit zehn Motiven aus der Becher-Reihe „Giebelseiten Fachwerk“, alle im nüchternen, streng sachlichen Becher-Stil. „Wir sind in der langfristigen Mission unterwegs, das Interesse an diese Häusern zu fördern“, sagt Stefanie Scheit-Koppitz, Sprecherin des Museums für Gegenwartskunst. Siegen habe mit dieser Architektur „einen kleinen Schatz“: Diese spezifische Variante des Fachwerkbaus gilt als ein Alleinstellungsmerkmal der Region und ist nur in einem Umkreis von 30 Kilometern um Siegen herum zu finden.
Alle Marken, den Sonderstempel – und darüber hinaus auch noch Postkarten mit den Becherhäusern – gibt es am Samstag, 6. April, von 9 bis 16 Uhr bei der Südwestfalenbörse in der Siegerlandhalle, Koblenzer Straße 151. Das Museum für Gegenwartskunst wird dabei mit einem eigenen Stand vertreten sein.
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