Siegen. . Kommt die cashless society? Dr. Sebastian Gießmann, Uni Siegen, geht nicht davon aus – aber davon, dass künftig mehr bargeldlos bezahlt wird.

Bargeld lacht? Irgendwann vielleicht nicht mehr. Mit dem Bezahlen per Smartphone ist mittlerweile eine Technik verfügbar, die Scheinen und Münzen massiv Konkurrenz macht. Beim „MoneyLab“ setzten sich internationale Wissenschaftler, Künstler und Aktivisten nun im Museum für Gegenwartskunst mit der Zukunft des Geldes und des Bezahlens auseinander. Florian Adam sprach mit Dr. Sebastian Gießmann, Nachwuchsgruppenleiter im Sonderforschungsbereich „Medien der Kooperation“ der Universität Siegen.

Wann wird es kein Bargeld mehr geben?

Dr. Sebastian Gießmann: Ich glaube nicht, dass Bargeld komplett abgeschafft wird. Sein Anteil an Bezahlvorgängen wird aber kleiner werden. Es wird selbst in Ländern wie China oder Schweden nicht komplett verschwinden, in denen bargeldloses Bezahlen sehr verbreitet ist. Es sei denn, wir reden über das 22. Jahrhundert.

In der öffentlichen Diskussion entsteht aktuell der Eindruck, es stünde für die nähere Zukunft an.

Das Thema ist viel älter; übrigens auch das Thema Digitalisierung. Tatsächlich begann der Diskurs schon den 1960ern in den USA.

Im Ernst?

Digitale Rechner gibt es seit 1945, den Einsatz von Großrechnern zur Finanzverwaltung in Nordamerika und Europa seit den 60ern – weil dieses Jahrzehnt in den USA die Kreditkarte als Massenmedium hervorbrachte, und das wiederum digitale Rechensysteme erforderte. Allein auf Papier ließ sich die Abwicklung nicht regeln.

Geld, muss man dazu anmerken, ist aus medienwissenschaftlicher Sicht ein Medium. Und der Gedanke an seine Virtualisierung ist tatsächlich schon so alt?

Es gab zunächst die Vision der schecklosen Gesellschaft – Schecks waren in den USA sehr verbreitet –, dann der bargeldlosen Gesellschaft. Damals ging man dafür noch von der Kreditkarte aus.

Wie weit sind wir in Deutschland auf diesem Weg?

Im Jahr 2018 hat das bargeldlose Bezahlen – bezogen auf den Umsatz – erstmals die 50-Prozent-Marke überschritten.

Bietet bargeldloser Zahlungsverkehr volkswirtschaftliche Vorteile?

Bargeld ist teuer, wegen der notwendigen Infrastruktur: Es muss Geldautomaten geben, es muss transportiert werden, Banken brauchen Räume und die kosten Miete. Außerdem ist die Herstellung des Bargelds teurer geworden, weil es immer mehr Sicherheitsmerkmale benötigt.

Letzteres ist Aufgabe der Bundesbank ?

Und der Bundesdruckerei. In Sachen Sicherheitsmerkmale ist sie Weltmarktführer. Man kann die Echtheit von Geldscheinen, wie es in vielen Geschäften geschieht, mit UV-Licht oder speziellen Stiften überprüfen. Aber wegen der vielen Sicherheitsmerkmale, die man sehen oder ertasten kann, kann auch jeder Bürger erkennen, ob ein Geldschein echt ist oder gefälscht. Das ist einer der Gründe, wieso man in Deutschland digitalen Varianten kritisch gegenübersteht.

Zur Person

Dr. Sebastian Gießmann, 42, ist Akademischer Rat am Medienwissenschaftlichen Seminar der Universität Siegen.

Im Oktober 2017 erhielt er den in diesem Jahr erstmals vergebenen Zukunftspreis des Forschungskollegs der Uni Siegen (Fokos).

Er wohnt in Köln, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Weil unsere Geldscheine so spitze sind?

Weil man diese basale Prüfmöglichkeit bei Apps nicht hat und stattdessen eine Menge Vertrauensvorschuss geben muss. Menschen, die mit Papiergeld aufgewachsen sind, sind da oft noch skeptischer als die, die mit Smartphones und Apps sozialisiert sind. Wissenschaftlich interessant ist die Frage, wie die Sicherheitsmechanismen des Bargelds digital abgebildet werden – und ob die Menschen sie akzeptieren.

In den skandinavischen Ländern sind die Leute aufgeschlossener: In Schweden etwa zahlen mehr als 80 Prozent fast nur noch bargeldlos.

Die skandinavischen Länder galten auch schon immer als Kreditkartenländer, während Deutschland ein Land ist, in dem die Adaption neuer Bezahlsysteme länger dauert.

Die Kreditkarte hat sich in Deutschland auch deutlich langsamer etabliert als in den USA. Warum?

Ein großer Unterschied zwischen den USA und Deutschland ist das Aufschieben von Bezahlungen im Alltag. Denken Sie – ganz ernsthaft – nur an den Wilden Westen, an Gegenden, wo man weite Distanzen überwinden musste und den Einkauf dann eben im nächsten Monat bezahlte, wenn man sowieso wieder vorbeikam. Das Grundvertrauen, dass Schulden ausgeglichen werden, ist in den USA höher als in Deutschland. Das wird oft auf die Weimarer Republik zurückgeführt; auf die Erfahrung, dass Geld in extremer Geschwindigkeit entwertet werden kann. Wir haben eine andere Vertrauensarchitektur.

Das Bild, das vom idealen bargeldlosen Bezahlvorgang gezeichnet wird: Ich halte mein Smartphone an die Kasse – und der Betrag wird von meinem Konto abgebucht. Kein Hantieren mit dem Portemonnaie, kein Wechselgeld, kaum Zeitaufwand.

Das ist Stand der Dinge 2019. Aber nicht alles läuft überall. Es soll keine Werbung sein: Doch wer zu Aldi geht, hat dort eigentlich alle Bezahlmöglichkeiten, die es in Europa gibt, einschließlich Google Pay und Apple Pay. Kleinere Händler hingegen können nicht alles anbieten. Denn die müssen eher mit den Transaktionskosten rechnen als ein Weltkonzern. Völlig klar ist: Wer die Technik für einen bargeldlosen Bezahlvorgang anbietet, möchte auch an jeder Transaktion verdienen.

Für den Kunden ist das Hauptargument, dass es komfortabel ist?

Nicht nur. Es soll auch cool sein, ein Lifestyle-Statement.

Gibt es denn einen besonderen Vorteil, den allein das Bargeld hat?

Bargeld liefert etwas, was in der digitalen Welt immer mehr verloren geht: Ein Maß an Anonymität. Alles, was mit digitaler Infrastruktur zu tun hat, ist viel leichter überwachbar und nachvollziehbar.

Erhöht Bargeld nicht auch die Übersicht über die eigenen Finanzen? Immerhin sehe ich, wie sich das Portemonnaie beim Einkaufen leert, während ich mit dem Smartphone lustig drauflosklicken kann.

Dem versuchen viele Anbieter mit digitalen Haushaltsbüchern entgegenzuwirken, entweder plattformbasiert oder gebündelt in einer einzigen App. Das bietet hohe Transparenz und eigentlich ein Mehr an Kontrolle gegenüber dem Portemonnaie. Aber das muss man natürlich selbst wollen.

„Viele Anbieter“ ist ein gutes Stichwort. Dienste wie Google Pay und Apple Pay haben Sie schon angesprochen, außerdem gibt es Apps der Banken, der Sparkassen und neuer Akteure – ziemlich unübersichtlich, hm?

Bei den vielen verschiedenen Infrastrukturen ist die Frage schon: Wer gewinnt jetzt? Das kommt auf die Akzeptanz bei den Nutzern an. In den 2000er Jahren zum Beispiel gab es bereits einen Vorstoß, bargeldloses Bezahlen mit dem Handy zu ermöglichen. Das hat sich in Europa nicht wirklich durchgesetzt.

Irgendwo anders denn?

In Kenia, mit M-Pesa als handy-basiertem Bezahlsystem.

Wäre es nicht das beste, wenn sich ein System als Standard durchsetzen würde?

Das wäre aus meiner Sicht nicht gut. Wäre das ein privatwirtschaftlicher Anbieter, hätte er die Lizenz zum Gelddrucken: Dann würden sukzessive die Gebühren steigen.

Und wenn es, bezogen auf Deutschland, die Bundesbank macht?

Das wäre eine Option. Mittelfristig müssen sich die Nationalstaaten bewegen, weil es ein Problem würde, wenn sie es allein den privaten Anbietern überließen. In Schweden ist übrigens die Akzeptanz des bargeldlosen Bezahlens und neuer Techniken wie der Blockchain auch deshalb so hoch, weil die schwedische Nationalbank dahinter steht und es damit eine staatliche Absicherung gibt.

Welche Fragen beschäftigen Sie aus Sicht des Medienwissenschaftlers besonders bei dem Thema?

Mich interessiert vor allem: Wie geht man im Alltag damit um? Wie richtet man sich damit ein? Plötzlich geht es auch beim Bezahlen um digitale Medienkompetenz. Mit den neuen digitalen Geldern kooperieren wir anders. Und Geld wird immer mehr zu einem sozialen Medium, das vor allem in vernetzter Buchhaltung existiert.

Was ist der entscheidende Faktor, damit sich das Bezahlen mit dem Smartphone oder kontaktlos mit neuen Karten durchsetzt?

Die Akzeptanz, das ist allen Beteiligten klar, kommt nur durch ein hohes Maß an Absicherung. Diejenigen, die das heute schon gern und viel nutzen, haben in der Regel ein ausgeprägtes Sicherheitsbewusstsein. Und die Anbieter investieren in Sicherheit, weil sie wissen: Sobald der erste Skandal da wäre, würden sie massiv Marktanteile verlieren.

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