Hilchenbach. . Die Frauenklinik und der Schleudersitz: Auf dem alten Hilchenbacher Friedhof wird die Erinnerung an eine besondere Familie bewahrt.

Die Familie ist groß und verzweigt. 18 Urnen und Särge sind in der Gruft der Familien Weiß und Weiß-Vogtmann auf dem Alten Friedhof seit 1895 beigesetzt worden. Die Erinnerung an sie soll für immer bleiben – auch wenn die Grabstätte selbst, für die das Nutzungsrecht von den letzten Nachkommen im vorigen Jahr gekündigt wurde, demnächst verfüllt wird. Das Grabdenkmal und die steinernen Bänke werden erhalten, um die Pflege der Anlage kümmert sich fortan die Stadt.

Berühmte Gäste in der Waldhütte

Wer sind diese Persönlichkeiten, die – wie es die Stadt in ihrer Friedhofssatzung formuliert – „von besonderer Bedeutung“ sind? Der inzwischen pensionierte Stadtarchivar Reinhard Gämlich hat nachgeforscht:


Albert Rudolf Weiß senior (1833-1912) war Eigentümer der Leimfabrik F.W. Weiß Daniels Sohn. Er hat den Betrieb („Ningeln Bau“) am Ningeln Weiher ausgebaut und erweitert – zuletzt war darin die USH Schraubwerkzeugfabrik zu Hause, für den Neubau des Einkaufszentrums in der Herrenwiese wurde der Komplex 2017 abgerissen. Erhalten ist die Ningeln Burg, die Doppel-Villa am Herrnberg, die er gemeinsam mit seinem Bruder Alexander Ludwig Wilhelm von 1868 bis 1888 baute.


Dr. med Oskar Weiß (1863-1952), Sohn von Albert Rudolf Weiß senior, hat 1902 im Haus Herrenwiese 45 eine „Privat-Entbindungsanstalt“ eröffnet, die als modernste Frauenklinik Westfalens bekannt wurde. Ada Nolde, Ehefrau des Malers Emil Nolde, wurde dort 1906 behandelt; auch der Künstler selbst hat sich in Hilchenbach aufgehalten. Oskar Weiß, der mit seinem Horch auch erster Besitzer eines Autos in Hilchenbach war, wurde als passives Mitglied in die Künstlergemeinschaft Brücke aufgenommen. Die Klinik wurde schon 1910 wieder geschlossen, wechselte seither mehrfach die Eigentümer und steht heute unter Denkmalschutz. Weiß zog nach Berlin, dort betätigte er sich als Pharmakologe und erfand unter anderem das Asthma-Medikament „Asthmalysin“.


Ulf Weiß-Vogtmann (1900-1989) ist ein Sohn von Oskar Weiß. Er war Soldat und, wie sein Vater, Ballonfahrer und Ballonspringer — und sogar Kunstradfahrer im Zirkus Sarrasani. Er gehörte zu den „Roten Baronen“, die die Erinnerung an den Weltkriegs-Jagdflieger Manfred von Richthofen hochhielten, war mit den Raketenforschern Wernher von Braun und Rudolf Nebel befreundet, erfand 1934 den Katapult-Flugzeugschleudersitz. In Hilchenbach bekannt ist der alte Ulf Weiß-Vogtmann als kauziger „Ahoi“. In die Waldhütte im Wehbachtal auf dem Giller, die sein Vater aus Eisenbahnschwellen gebaut hatte, zog er sich zurück, ließ den Rauschebart wachsen, spielte Akkordeon und Mundharmonika — und empfing Besuch, den er mit Scherzartikeln aus der Fassung zu bringen beliebte, zum Beispiel dem präparierten Kissen, das beim Draufsetzen eindeutige Geräusche machte.

Heinz Bensberg, Heimatforscher aus Dahlbruch, hat diese und andere Anekdoten aufgeschrieben. Hermann Löns soll dort zu Gast gewesen sein. Und Graf Luckner, als „Seeteufel“ umschwärmter Kriegsschiff-Kommandant, dem Weiß-Vogtmann seinen Spitznamen verdankt. „Ahoi“ steht für „Adolf Hitler ohne Interesse“. Mit 86 schwebte Ulf Weiß-Vogtmann erstmals im Heißluftballon über Hilchenbach. Geboren ist er in Berlin, gestorben in einem Pflegeheim im Taunus. In aller Stille wurde er 1989 in der Familiengruft beigesetzt. Drei Jahre zuvor war seine Ehefrau dort bestattet worden, nach ihm folgten nur noch sein Sohn (2014) und dessen Witwe (2016).

>>> Info: Hilchenbacher Unternehmerfamilien

Auf dem Alten Friedhof in Hilchenbach wurde 2011 das Grabmal der Familie Vollpracht von der Stadt übernommen. Karl Wilhelm Vollpracht war lippischer Landeskonservator, sein Vater Carl Vollpracht war Mitbegründer der späteren „Westfalia“ und Miteigentümer der Stift Keppeler Filzfabrik. Erhalten wird seit 2012 auch das Grabmal der Familie Hüttenhein, zu der auch die Eigentümer der Lederwerke gehörten.