Allenbach. Eine Stunde Zukunft vom Whiteboard bis zur VR-Brille: Am Gymnasium Stift Keppel in Hilchenbach testen Lehrer und Schüler, was möglich ist.
Digitalpakt. Das bedeutet, dass die Schulen Geld bekommen, um sich für eine digitale Zukunft auszustatten. Aber wie sieht die aus?
Ein Klassenraum im Gymnasium Stift Keppel. Schulleiter Dr. Jochen Dietrich stellt seine Kollegen und drei Schüler als „Think Tank“ in Sachen Digitalisierung vor – wir haben um diese Runde gebeten, sie nehmen sich die Zeit dafür: Dr. Elmar Winkel und Nils Weßel haben Beispiele aus Mathe und Physik, Informatiklehrer Andre Asschoff unterstützt als IT- und Medienberater im Auftrag der Bezirksregierung auch andere Schulen. Aus dem SV-Team sind Fabian Menn und Tim Müller aus der Q 1 dabei, Marvin Pilz aus der EF ist Medienscout. Elmar Winkel schaltet den Apple-TV-Bildschirm an, der über der Tafel hängt. „Das hätte ich auch von hier machen können“, sagt Marvin Pilz. Und legt das Smartphone wieder ab.
Die Einstiege
2008Die ersten interaktiven Tafeln („Whiteboards“) , auf die man nicht nur mit Stiften schreibt, die so ähnlich wie eine riesige Tablet-Oberfläche bedient werden und auf die man auch von außen Inhalte aufspielen kann, hat die Schule schon 2008 angeschafft. Elmar Winkel speicherte Tafelbilder ab und versandte sie per E-Mail: „Ich hatte damit angefangen, als ein Schüler krank war.“ Die Schule kam ans Krankenlager…
Schulkonferenz erlässt Handyordnung
Im Unterricht bleibt das Handy stumm in der Tasche – es sei denn, der Lehrer erlaubt den Gebrauch „für schulische Zwecke“. Während Leistungsüberprüfungen wird das Gerät ausgeschaltet.
Erlaubt: Handynutzung in den Pausen, aber nicht in Bibliothek, Cafeteria und Toiletten. Fotos und Videos: nur für Unterrichtszwecke, nur mit Zustimmung der Aufgenommenen.
2018 Als Neuntklässler hat Marvin Pilz im letzten Schuljahr das Konzept geschrieben, „wie wir Ipads benutzen wollen“. Jochen Dietrich formuliert das unverblümt: „Aus der Schülerschaft kam der Druck, wir wollen das jetzt machen und nicht auf euch warten.“ Die Schule hob zu Beginn dieses Schuljahrs das Handyverbot auf. Die Schüler mit digitalen Endgeräten im Klassenzimmer, so Jochen Dietrich, bilden „eine schnell wachsende Fraktion“. „Dazu gehört auch Medienkompetenz“, stellt Fabian Menn klar. Die SV erfand die „Medienscouts“. Die elf derzeit dafür ausgebildeten Schüler haben bereits einige Workshops in den 6.Klassen gegeben: zu Whatsapp, Chatregeln und Fotorechten. „Wir planen jetzt das Thema Cyber-Mobbing“, berichtet Fabian Mann.
Der Stand der Dinge
Neun Klassen- und Fachräume sind bereits mit interaktiven Tafeln, vier mit Smart-TV, zehn mit 10 Beamer, Lautsprecher und Leinwand ausgestattet. Steckdosenleisten sind in allen Räumen vorhanden, das WLAN deckt derzeit die Hälfte der Räume ab. Wie nutzen Schülerinnen und Schüler die neuen technischen Möglichkeiten, was machen die Lehrerinnen und Lehrer?
Die Schüler: Marvin Pilz hat keine Hefte mehr, jedenfalls keine aus Papier. Seine Hefte sind digital, auf der Tablet-Oberfläche sind sie als Symbole angeordnet, für jedes Fach eins. Und beliebig dick. „Da kommt alles rein, was wir im Unterricht machen.“ Einschließlich der Tafelbilder. „Das ist mega praktisch, wenn man mal eine Stunde krank war“, erklärt Marvin Pilz. In die App kommen die Papiere, die der Lehrer „analog“ austeilt. Einer der Tablet-Nutzer setzt dann meist seine Handy-Kamera und Scan-App ein. „Echt praktisch“, sagt Marvin Pilz, „das wird direkt in ein pdf umgewandelt“ – womit man dann auch, anders als mit einem Fotodokument, arbeiten kann. Per Airdrop („Abwurf“) wird die Datei weiterverteilt, „dann müssen die anderen es nicht auch noch einscannen, und schon ist das Teil des Hefts“.
„Wir haben schon im Blick, dass die, die keine Smartphones oder Tablets haben, ihre Materialien noch in Papierform bekommen“, erklärt Andre Asschoff, warum sich das noch irgendwie umständlich anhört. Bei Klausuren ist die alte Schule dann ganz zurück: „Die Klassenarbeit haben Sie in normalen Heften in Papierform“, sagt Elmar Winkel. Da macht keine App den krummen Strich auf den handgezeichneten Koordinatensystem gerade. Dass Schule auch in Zukunft Schule bleibt, ist aber auch im digitalen System angelegt. Für Leistungsüberprüfungen kann Marvin Pilz „Seiten“ aus seinen Heften exportieren. „Die können vom Lehrer revisionssicher gespeichert werden“, betont Andre Asschoff.
Mehr Beispiele für digitales Lernen? Tim Müller zeigt die Dropboxen seiner beiden Leistungskurse, gefüllt mit Klausurthemen, Übungen und Tafelinhalten – eine Reihe von Lehrerinnen und Lehrern stellt Materialien in dieser oder in anderen Clouds („Wolken“) bereit. Fabian Menn verweist auf Google Docs, eine Anwendung, die gleichzeitiges Zugreifen durch mehrere Teilnehmer auf dasselbe Dokument erlaubt: „Das bietet sich für Präsentationen oder Gruppenarbeit an.“
Die Lehrer: Neben der – grünen – Tafel sind Zirkel, Geodreieck und Lineal an der Wand befestigt. Und da bleiben sie auch, glaubt Nils Weßel. „Man kann das nur zeigen, wenn man es live vorgeführt hat.“ Und die neuen Möglichkeiten? Digitale Messinstrumente, zum Beispiel. „Das Handy ist ohne Ende mit Sensoren ausgestattet.“ Der Gehsensor, der die Schritte zählt, kann auch Bewegungen aufzeichnen und auswertbar machen – brauchbar für die Newtonschen Gesetze. „Man kann Schüler auf dem Schulhof Fahrrad fahren lassen und das als Video aufzeichnen“ – Kräftepfeile eintragen und so die Wirkung der Zentrifugalkraft lernen.
Elmar Winkel hat von der Didacta-Messe Aufsätze für die Handy-Kamera mitgebracht. Mit dem Makro, sagt er, „kann man Blumen vergleichen, ohne dass man sie abpflücken muss“.
Andre Asschoff berichtet über den Einsatz von VR-Brillen. „Wir haben mehrere Klassensätze.“ Virtuell schreiten die Schülerinnen und Schüler das Forum Romanum ab. Oder nehmen an einer Führung durch das Konzentrationslager Auschwitz teil, ohne ihr Klassenzimmer zu verlassen. Auch 2020 sollen die Brillen eine Rolle spielen. Dann begeht das Gymnasium in Keppel sein 150-jähriges Bestehen.
Manche andere Anwendung ist so alltäglich wie unspektakulär. Elmar Winkel fotografiert die Schülerlösung für eine Geometrie-Aufgabe aus dem Heft und projiziert sie auf das Smart TV. „Dafür braucht man sonst viel Zeit“ – die der Lehrer jetzt nutzt, um jedem einzelnen über die Schulter zu schauen. Das Smart TV ist dann nur ein Hilfsmittel, sagt Winkel, „dafür muss man nicht Medienpädagogik studieren“.
Auf den Monitor erscheint die Online-Version aus dem Mathe-Buch für die 5. Elmar Winkel hat sein Tablet an einen Schüler weitergegeben, damit der – in Rot – eine Aufgabe löst. Was etwas improvisiert aussieht, ist es auch. „In einer Ipad-Klasse könnte das jeder auf dem eigenen Gerät machen“, sagt Jochen Dietrich. „Dann braucht aber jeder auch eine Lizenz für das Buch“, stellt Andre Asschoff klar und spricht von einem „Flickenteppich“: Die Daten sind, um nicht bezahlte Nutzungen zu vereiteln, nicht in beliebige Clouds verschiebbar. „Jeder Schulbuchverlag setzt auf seine eigene Lösung.“ Und die Wartung der ganzen neuen Technik?. „Irgendein Lehrer macht‘s“, sagt Jochen Dietrich, „eigentlich ist das ein unhaltbarer Zustand.“
Die Zukunft
1. Der Ausbau? Es gibt ganz praktische Ziele: „Wir hoffen, dass wir bis zu den Sommerferien flächendeckendes Schüler-WLAN haben“, sagt Andre Asschoff. Und dann wird jeder Schüler auch seine eigene Schul-Mailadresse haben. Wenn die Fördergelder da sind, werden die restlichen gut 20 Klassenräume Whiteboards oder Smart TV bekommen.
Schulkonferenz erlässt Handyordnung
Im Unterricht bleibt das Handy stumm in der Tasche – es sei denn, der Lehrer erlaubt den Gebrauch „für schulische Zwecke“. Während Leistungsüberprüfungen wird das Gerät ausgeschaltet.
Erlaubt: Handynutzung in den Pausen, aber nicht in Bibliothek, Cafeteria und Toiletten. Fotos und Videos: nur für Unterrichtszwecke, nur mit Zustimmung der Aufgenommenen.
2. „Bring Your Own Device“? Die Sache mit den Endgeräten ist nicht so einfach. Marvin Pilz rechnet vor: Das Tablet kostet um die 450 Euro, der Bedienstift noch einmal 100. Der Schüler findet die „Bring-your-own-Device“-Devise richtig: „Jeder kann sich anschaffen, was er möchte, und man kann das Gerät auch privat nutzen.“ Der Schulleiter sieht indes „Fallstricke“, auch wegen der Kosten. „Das sind Debatten, die wir führen müssen.“
3. Die Grenzen der Digitalisierung? „Wie viel wirkliches Leben brauchen wir in Lernprozessen?“, fragt Jochen Dietrich und stellt die Vermutung eines Wissenschaftlers in den Raum: „In fünf bis acht Jahren wird es wieder viele Räume in Schulen geben, die frei von digitaler Technik sind.“ Dass zum Beispiel im Bio-Unterricht weiter optische Mikroskope gebraucht werden, ist für Elmar Winkel ausgemacht. „Es gibt Objekte, die man nicht zoomen kann.“ Hunde zum Beispiel, Die halten vor der Kamera nämlich nicht still.
Der für diese eine Stunde gebildete Think Tank aus Lehrern und Schülern löst sich auf. Für den Moment. „Man muss solche Strategen auf seine Seite ziehen“, weiß Elmar Winkel, „wir müssen mit den Schülern zusammen lernen.“ Wobei für Jochen Dietrich klar ist: „Die Schüler werden ihren Vorsprung behalten.“ Die drei widersprechen nicht.
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