Wilnsdorf. . Das Museum nimmt seine Besucher auf eine spannende Zeitreise in die 1960er Jahre mit: ein buntes, aufregendes und wegweisendes Jahrzehnt
Viele schauen dieser Tage gern auf die 20er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, ziehen Vergleiche zur sozialen und politischen Situation der Gegenwart. Im Wilnsdorfer Museum geht der Blick seit gestern auf ein anderes spannendes Jahrzehnt: „Die 60er Jahre – Aufbruch, Umbruch, Neubeginn“.
Fündig geworden im eigenen Fundus
Die meisten Ausstellungsstücke kommen aus dem Bestand des Wilnsdorfer Museums, dazu einige Leihgaben von Privatpersonen.
Das Mauerstück samt Fotos hat Dr. Corinna Nauck vom Alliierten Museum in Berlin bekommen.
Die Discoeinrichtung und das Zappa-Foto stammen aus einer Ausstellung in Lüdenscheid.
Die Besucherinnen und Besucher sind aufgerufen, gerne noch das eine oder andere passende Erinnerungsstück ins Museum mitzubringen.
Eine Menge Aspekte sind dort wiedergegeben, aber nicht alle, wie Direktorin Dr. Corinna Nauck zur Begrüßung erklärt. Die Besucher sollen sich nach Möglichkeit wiedererkennen, sich erinnern. Sie sollten sich aber auch nicht wundern, wenn etwas fehlt, betont Nauck. Einen Anspruch auf Vollständigkeit sollte es von Anfang nicht geben. Eine Vitrine erinnert nebenher an die Gründung der Kommune Wilnsdorf vor genau 50 Jahren, die gerade noch so ins Thema passt.
Zum Auftakt gibt es einen kleinen Aktionstag, mit der Theatergruppe „Laien“, die sich als „Walk-Act“ unter die Besucher mischen, dabei unterschiedliche Kleidungsstile der Sixties präsentieren. Außerdem ist eine Abordnung des Freudenberger Technikmuseums gekommen und zeigt Dampfmaschinenmodelle.
Das ganz große Interesse der Besucher gehört aber den Relikten jener Zeit, an die sich die meisten noch sehr gut erinnern können. Was die Organisatorin durchaus ein wenig überrascht: „Ich hätte gedacht, dass heute mehr Familien kommen, aber jetzt sind es doch überwiegend die Älteren.“
Andererseits ist Corinna Nauck sichtlich erleichtert, dass sich das Haus relativ schnell füllt. Der Regen und vor allem der heftige Wind haben ihr schon etwas Sorge bereitet. Außerdem waren die Dampfmaschinen aufgrund eines Missverständnisses zur Öffnung um 14 Uhr auch nicht da. Die Freudenberger kommen aber mit leichter Verspätung doch noch. „Wir werden sie am zweiten Abschlusstag am 16. Juni noch einmal hier haben“, verrät Nauck.
Willy Brandt und Tina Turner
Im Sonderausstellungsraum können die Besucher bis Mitte Juni ihren ganz persönlichen Erinnerungen nachhängen oder einen Blick in eine Vergangenheit werfen, die unglaublich weit weg zu sein scheint; mit analogen Telefonen, Tonbandgeräten und sonstigen Gerätschaften, die den wenigen jungen Gästen offene Münder bescheren. Blickfang der Präsentation ist eine Wohnküche, die den ganzen Charme jener Zeit ausstrahlt, die objektiv gerade einmal ein halbes Jahrhundert zurückliegt, aber irgendwie schon gar nicht mehr wahr ist.
Texttafeln geben die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ereignisse für jedes Jahr wieder, zur dreidimensionalen Illustration gibt es Plattencover von Freddy Quinn bis zu Procol Harum, Filmplakate, Spielzeugautos, bunte Kleidung der späten Jahre, Lederhosen für kleine Jungs, Nylonstrümpfe für größere Mädchen und Maschinen, um Laufmaschen zu reparieren, die nach wilden Nächten entstanden sind. Fußballalben der Zeit, mit einem immer noch jungen Uwe Seeler und Schalke-Legende ‚Stan’ Libuda, allerdings im falschen Trikot, nach seinem Wechsel zum BVB.
Ein Memory-Quiz ist aufgebaut, auf dem neben Ike und Tina Turner auch Willy Brandt und Che Guevara erkannt werden können, Frank Zappa sitzt nackt auf dem Klo – auf einem Foto wohlgemerkt – Heintje und die Beatles und auch Oswald Kolle sind vertreten. Damals „wollte ich Heintje sogar heiraten“, outet sich die Museumsleiterin unerschrocken, „heute nicht mehr!“
Ein Raum ist als Disco ausgestattet, mittendrin steht ein Stück Berliner Mauer mit Stacheldraht obendrauf und Fotos von beiden Seiten. „Ein Jahrzehnt, das so fröhlich begann und so düster endete“, findet Corinna Nauck mit Blick auf den Vietnamkrieg, die Studentenunruhen und deren RAF-Erbe in den 70-er Jahren. „Hätten die Verantwortlichen nur etwas nachgegeben“, überlegt sie, weiß aber auch, dass „wir es im Nachhinein natürlich immer besser wissen“.
Die „BILD“-Zeitung ist auch vertreten in der Präsentation, als Nachweis für den „Kampf Wir gegen Die“, der gerade dort gegen alles geführt wurde, was nicht ins Durchschnittsbild der Republik passte. Die Katastrophen des Jahrzehnts werden dokumentiert, beispielhaft an zwei Zeitungstitelseiten zum Mordfall JFK.
Ein schöner bunter Mix, der dem Thema mehr als gerecht wird.