Siegen. . Seelsorgerin Dorothee Zabel-Dangendorf und Oberarzt Marcus Linke helfen Kindern sich mit dem Unausweichlichen auseinanderzusetzen.
Es gibt Themen, mit denen sollten sich Kinder eigentlich nicht beschäftigen müssen. Mit dem Sterben, mit dem Tod – dem eigenen oder dem eines geliebten Angehörigen. An der DRK-Kinderklinik helfen ihnen Menschen wie Seelsorgerin Dorothee Zabel-Dangendorf und Oberarzt Marcus Linke, sich mit dem Unausweichlichen auseinanderzusetzen.
Ein anderer Mensch stirbt
„Man will seinem Kind nicht sagen: ,Papa wird bald sterben’ – man will sein Kind davor schützen. Aber nicht darüber zu sprechen, ist überhaupt kein Schutz. Es ist ein Alleinlassen.“ Dorothee Zabel-Dangendorf ist evangelische Pastorin, ausgebildet in Trauerbegleitung und systemischer Familientherapie und seit 13 Jahren Seelsorgerin an der DRK-Kinderklinik. Ihrer Erfahrung nach spüren auch sehr junge Kinder genau, wenn etwas nicht stimmt, wenn ein ihnen nahe stehender Mensch verstorben ist oder sein Tod bevorsteht. Sie damit auf sich selbst gestellt sein zu lassen, sei eine falsche Entscheidung. Erwachsene täten sich mit dem offenen Gespräch aber oft auch deshalb schwer, weil sie Angst hätten, sie könnten vor den Kindern zusammenbrechen. „Aber das ist gar nicht so schlimm, denn es ist eine der Situation angemessene Reaktion“, sagt Dorothee Zabel-Dangendorf. „Es kann sogar positiv sein, wenn die Kinder sehen, dass da Gefühle sind wie Trauer oder Wut. Und wenn sie sehen: Man kann als Familie trotzdem weiterleben.“
„Inwieweit Kinder es verstehen, ist auch altersabhängig. Aber mal ehrlich: Erwachsene begreifen das ja oft auch nicht. Sie haben nur mehr Worte dafür. Selbst Säuglinge würden spüren, wenn jemand plötzlich nicht mehr da ist; wenn seine körperliche Nähe, seine Stimme fehlen und die anderen Menschen anders sind als vorher – bedrückt, stiller, wenn sie oft weinen. Entscheidend sei es im Umgang mit den Kindern „Begriffe dafür zu finden, Wege, es auszudrücken“. Musik sei eine Möglichkeit, vor allem aber Malen. „Viele Kinder malen dann ihre Familie mit dem Verstorbenen – vielleicht um sie herum oder auf einer Wolke.“
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„Es ist wichtig, dass die Kinder Abschied nehmen können.“ Viele Angehörige fragen sich, ob Kinder verstorbene Elternteile oder Geschwisterkinder noch einmal sehen sollten oder ob dieses Erlebnis sie erschreckt. „Die meisten Toten sehen friedlich aus“, sagt die Seelsorgerin. „Das zu sehen ist in der Regel besser als die Fantasiebilder, die im Kind vielleicht entstehen.“ Natürlich müssten die Erwachsenen Dinge erklären, etwa, wenn das Kind bei der Beerdigung die Vorstellung hat, die Mutter werde in einer Kiste unter der Erde versenkt – aus kindlicher Sicht ein naheliegender und entsetzlicher Gedanke. „Man muss ihnen dann klar machen: Es ist nicht die Mama. Es ist nur ihr Körper, aber nicht ihre Seele; nicht das, was sie für Dich war und immer noch ist. Das bleibt.“
„Mir hilft mein Glaube. Einerseits wird er angefochten, andererseits hilft er mir.“ Dorothee Zabel-Dangendorf bietet ihre Hilfe unabhängig vom Glauben der Betroffenen an. „Ich bin nicht hier um zu missionieren“, betont die Geistliche. „Das wichtigste ist, dass ich ein Mitmensch bin, der ein offenes Ohr hat, und dass ich selbst eine Mama bin.“ Auf dieser Ebene nehmen auch nicht religiöse oder beispielsweise muslimische Familien ihre Unterstützung in der Regel wahr. „Ich muss mit meiner eigenen Überzeugung nicht hinter dem Berg halten“, erläutert Dorothee Zabel-Dangendorf. „Ich sage: Ich habe den Glauben, dass der Verstorbene nicht ins Nichts geht, sondern dass er bei Gott ist. Und das glaube ich für Sie mit.“ Die Antwort selbst mancher Atheisten sei: „Es ist schön, dass Sie das sagen.“
Das Kind selbst stirbt
„Verheimlichen bringt nichts. Lügen bringt nichts. Die Kinder merken das: Alle weinen, die Familienzentrierung ändert sich. Aber es gibt nicht den einen richtigen Weg. Wir müssen familienindividuell und patientenindividuell schauen. Marcus Linke ist Oberarzt an der Klinik für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin. Es gehört zu seinem Beruf, mit Kindern und Jugendlichen zu tun zu haben, deren Lebenserwartung auf Sicht begrenzt ist. „Der Einstieg ist immer, dass wir den Eltern sagen, dass wir immer offen und ehrlich zu ihnen sein werden; dass wir auch offen über unsere Ängste ihr Kind betreffend sprechen.“ Diese Offenheit sei auch dem Kind gegenüber angemessen; doch wer es ihm sage und wie, das müsse von Fall zu Fall entschieden werden.
„Wir begleiten Familien oft über viele Jahre. Da entsteht eine Vertrauensbasis. Das muss auch so sein – denn es ist ein hochemotionales Thema. Die meisten Leute würden beim Begriff „Palliativmedizin“ an Konstellationen denken, in denen die Zeitspanne zwischen Diagnose und Tod nur einige Monate betrage. Das sei aber eher bei Erwachsenen mit onkologischen Erkrankungen der Fall. Bei Kindern gebe es Krebserkrankungen natürlich auch; der häufigere Fall, mit dem Marcus Linke und seine Kolleginnen und Kollegen konfrontiert sind, seien aber so genannte lebenslimitierende Krankheiten – neuropädiatrische Erkrankungen oder Muskelerkrankungen. „Manchmal haben wir Kinder mit einem sehr langen Verlauf.“ Die Lebenserwartung sei zwar durch den Fortschritt der Medizin bei vielen dieser Erkrankungen gestiegen, doch oft gehe es nicht um Heilung – sondern um die Frage, „wie lange ich die Lebensqualität des Patienten erhalten kann“. Das könne auch Zeiträume von 15 bis 25 Jahren umfassen, in denen die Kinder und Jugendlichen von Krise zu Krise gehen. „Wenn die Eltern oft damit konfrontiert sind, wird der Tod schon ein ständiger Begleiter dieser Familien, mit dem sie sich auseinandersetzen müssen.“
„Einem Dreijährigen muss ich es anders erklären als einem 14-Jährigen. Aber das begreifen die auch schon.“ Im frühen Kindesalter fange oft ohnehin ein Prozess an, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, das Phänomen zu erkennen. Wenn eine lebensbegrenzende Erkrankung vorliege, sei die Situation insofern anders, als dass das Kind es auf sich selbst beziehen muss. Einige würden sogar ihre eigene Beerdigung mitplanen, beispielsweise festlegen, welche Musik gespielt werden soll – „so wie ältere Menschen das auch tun“.
„Ja, das belastet uns auch. Aber ich muss professionelle Distanz wahren. Sonst könnte ich diesen Beruf nicht weitermachen. Dass Patienten sterben müssen, sei in gewisser Weise akzeptierbar, sagt Marcus Linke – „wenn wir mit unserer Medizin alles für die getan haben, was möglich ist. Was einen wirklich betroffen macht, sind die leidenden Eltern; dass man sich als Familienvater vorstellen kann, wie das für sie sein muss.“ Für seinen Beruf hat er sich trotzdem sehr bewusst entschieden: „Man entdeckt, dass man den Familien am Ende des Lebens der Kinder oft noch Lebensqualität geben kann – noch ein paar gute Monate.“
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