Siegen. . Die ausgesetzte Mini-Sau Carmen verzückt die Menschen mit ihrer putzigen, verspielten Art – eine artgerechte Haltung ist aber ziemlich aufwendig.
Minischwein Carmen fühlt sich im Tierheim Siegen sichtlich wohl. Dazu hat sie auch allen Grund: Neben Fütterungszeiten und Freigängen bekommt sie jede Menge Spiele- und Schmusestunden, die Mitarbeiter verwöhnen sie täglich. Und Carmen bekommt einen Spielgefährten: Im Laufe der Woche kommt der kleine Eber Robert nach Siegen. „Carmen geht es momentan sehr gut“, sagt Tobias Neumann, Leiter des Tierheims.
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Immer mehr überforderte Tierbesitzer geben exotische Vierbeiner in Tierheimen ab. Hunde und Katzen seien vielfach nicht mehr „in“. Je außergewöhnlicher, desto besser: Füchse, Spinnen, Schlangen, Leoparden oder die sogenannten Mikroschweine gewinnen an Beliebtheit. An erster und oftmals einziger Stelle stehe der Besitz eines außergewöhnlichen Tiers und die daraus resultierende Aufmerksamkeit in der Gesellschaft. Dass die Halter durch den Kauf eines Tiers die existentielle Verantwortung für das Lebewesen erhalten, werde einfach nicht bedacht, sagt Neumann: Ungefähr ein Mal im Monat kommt Besuch von überforderten Menschen und ihren nicht haushaltsgerechten Tieren – nicht immer offiziell. Hin und wieder finden die Mitarbeiter heimlich abgestellte Kisten vor dem Tor oder auf den Mülltonnen des Tierheims.
Carmen tippelt verspielt in ihrem Gehege auf mich zu, beschnuppert zaghaft mein Knie und knabbert kurz darauf munter auf meiner Hose herum. Das schwarze Borstenhaar hält mich nicht von einer kratzigen Streicheleinheit ab. Als sie mir plötzlich schwanzwedelnd in den Schoß springt, ist es um mich geschehen.
Dass Schweine so zutraulich sind, ist nicht außergewöhnlich. „Carmen ist lebendig, an den Menschen gewöhnt und sehr pfiffig,“ erklärt Tobias Neumann.“ Den Tieren könne man „Sitz“ und „Platz“ beibringen – und genau hier liege ein Teil des Problems: Im Fernsehen oder den Sozialen Netzwerken werde bloß gezeigt, wie zahm und vor allem wie süß die Schweinchen sind. „Minischweine sind nicht gemacht für ein Leben auf dem Balkon in einer Großstadt“, betont der Tierheimleiter. „Auch wenn die Leute einen Garten besitzen sind sie schließlich schockiert, wenn ihre geliebte Grünfläche nach kurzer Zeit vollkommen umgegraben und verwüstet ist. Sie informieren sich im Vorhinein nur bedingt über eine artgerechte Tierhaltung.“
Bewegungsfreiheit, eine große Fläche zum Buddeln und Sudeln und soziale Kontakte zu anderen Schweinen fallen beispielsweise unter die Voraussetzungen, die ein artgerechtes Schweine-Zuhause erfüllen müsse. „Das Minischwein ist ein Gruppentier“, so der Tierheimleiter – Carmen braucht Gesellschaft. Noch dazu sei die Haltung sehr zeit- und kostenintensiv – erst recht, wenn man den Bedürfnissen der Tiere entsprechen möchte und weitere Minischweine anschafft. Viel Aufwand für ein wenig Exotik im Haushalt.
Carmen versucht, mit ihrem kleinen, dicken Bauch auf den Spieltunnel zu hüpfen. Wirklich hoch kommt sie dabei nicht. Der unbeholfene Anblick des grunzenden Tierchens bringt mich zum Lachen. Aufgeweckt rennt sie auf ihren dünnen Beinchen auf mich zu und macht sich wieder am Hosenbein zu schaffen.
Wer ein exotisches Tier haben möchte, kann es mit ein paar Klicks im Internet bestellen. „Kommerzielle Unternehmen wie Ebay sind nicht darauf aus, ein tiergerechtes Zuhause für Minischweine zu finden“, erläutert Tobias Neumann. „Die Tiere werden von einem Unwissenden zum nächsten gereicht und im besten Fall in einem Tierheim abgegeben.“ Und im schlimmsten Fall? „Verwahrlosen die Tiere“, sagt Neumann. Oder noch Schlimmeres. Vor zwei Jahren wurden Meerschweinchen in einem Karton auf einer Verkehrsinsel in Siegen ausgesetzt. Sie erfroren in der Nacht.
Carmen schnuppert, knabbert und grunzt weiter munter vor sich hin.
Das Tierheim sucht jetzt mögliche Interessenten – die Carmen nicht wegen eines Trends haben möchten, weil sie exotisch und knuffig ist. Sondern weil sie dem Tier ein schweingerechtes Zuhause bieten können.
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