Siegen/Südwestfalen. . Beratungsstelle Tamar: Frauen kommen nach Südwestfalen, um Geld für Familien zu verdienen. Gutes Dutzend Prositutionsorte in Siegen-Wittgenstein.
Der Fortbestand der Beratungsstelle für Prostituierte „Tamar“ ist noch bis April 2020 gesichert. Dank Fördermitteln des Landes NRW und der Europäischen Union können die vier Mitarbeiterinnen die Beratung und Betreuung von Sexarbeiterinnen in Südwestfalen weiterführen. Ermöglicht hat das erheblich die Hartnäckigkeit der Siegerländer Frauenverbände: Die Ev. Frauenhilfe baute solchen Druck auf, dass das Tamar-Projekt „ProBOA“ (Prostitution: Beratung, Orientierung, Ausstieg) in die Projektförderung aufgenommen wurde, sagt Birgit Reiche, Leiterin von Tamar und Verbandspfarrerin der Ev. Frauenhilfe Westfalen.
„Die Frauen in den Orten unterstützen die Arbeit sehr. Es ist ihnen ein großes Anliegen, dass die Prostituierten beim Ausstieg aus dem Beruf begleitet werden“, so Erika Denker, Vorsitzende des Bezirksverbands der Siegerländer Frauenhilfen. Tamar hofft nun, dass die beteiligten Kreise die Förderung nach April 2020 übernehmen.
Die Prostituierten
Inzwischen seien sie einigermaßen bei den Frauen akzeptiert, sagt Sozialarbeiterin Sabine Reeh – und auch bei den Betreibern der Prostitutionsorte. Viele Sexarbeiterinnen haben Migrationshintergrund, stammen überwiegend aus Bulgarien und Rumänien, verfügen über wenig oder keine Bildung, geschweige denn eine Ausbildung, sprechen kaum Deutsch, kennen Sozial- und Hilfssysteme nicht. Entsprechend groß sind die Berührungsängste mit Ämtern und Behörden, sagt Reehs Kollegin, Diplompädagogin Tanja Mesic. Meist handele es sich um Armutsprostitution: „Sie kommen her, um ihre Familien zuhause zu ernähren. Viele haben trotz ihres jungen Alters schon Kinder, die bei den Großeltern leben.“ Die Familien wüssten meist nicht, womit die Frauen das Geld verdienen, das sie regelmäßig nach Hause schicken, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
Meist seien die Frauen für ein paar Monate hier und arbeiten in Deutschland an wechselnden Orten. „Eine Frau aus Siegen können wir wenig später auch in Gronau treffen“, sagt Mesic. Das lässt das Prostitutionsschutzgesetz auch zu: Einmal etwa in Siegen als Prostituierte registriert, dürfen die Frauen von Staats wegen im ganzen Land arbeiten. Das können reguläre Bordelle sein, in die sich die Frauen einmieten; Wohnungen, die sie sich mit anderen Prostituierten teilen – oder sie arbeiten auf eigene Faust, dann oft illegal. Via Internet verabreden sie sich mit ihren Freiern, etwa in Wohnwagen auf Pendlerparkplätzen. Darin sehen die Beraterinnen auch eine große Gefahr für die Frauen, weil nur sie und der Freier involviert sind, niemand sonst Bescheid weiß.
Die Beratung
Es habe lange gedauert, bis die Frauen Vertrauen zu ihnen gefasst haben, sagt Sabine Reeh. Regelmäßig suchen sie die Prostitutionsorte – in Siegen-Wittgenstein ein gutes Dutzend – auf, bieten Unterstützung in rechtlichen und gesundheitlichen Fragen, machen einfach darauf aufmerksam, dass sie Hilfe anbieten. Mittlerweile hat sich unter den Prostituierten herumgesprochen, dass es sich bei Tamar nicht um eine Kontrollinstanz handelt. Vor allem im ländlichen Raum bringen die Beraterinnen die Frauen auch zu Behörden oder Arztterminen – „sie haben ja keine Autos, geschweige denn Führerscheine, sie kommen kaum raus“, sagt Birgit Reiche.
Aussteigen wollten die allermeisten, so Tanja Mesics Erfahrung, aber der finanzielle Druck sei so groß, dass ihnen kaum etwas Anderes als die Prostitution übrig bleibe – erst recht angesichts des niedrigen Bildungsniveaus. „Die Welt, in der diese Frauen leben, ist eine völlig andere“ – sie kommen fast nie vom Arbeitsort weg, arbeiten fast nur nachts. Beim Ausstieg müssen sie sich erst wieder zurechtfinden in der „normalen“ Welt. Andererseits seien die Ausländerinnen hoch motiviert: Sie nehmen sogar Prostitution auf sich, damit es ihre Kinder einmal besser haben als sie. Bei vielen gehe das bis zur Selbstaufgabe, Geld verdienen um jeden Preis. „Manche sind in einem permanenten Erschöpfungszustand“, sagt Tanja Mesic. Nicht nur die Nachtarbeit führe zu gesundheitlichen Problemen, auch das geringe Wissen um Verhütung, Geschlechtskrankheiten. Und der Druck der Freier, die einen Aufpreis bieten, wenn die Prostituierte die Kondompflicht ignoriert. Denn das ist schnell verdientes Geld.
Das Gesetz
Das Prostitutionsschutzgesetz habe leider dazu geführt, dass die Zahl der Betriebe zurückgeht und die Frauen untertauchen, ihre Dienstleistungen nur noch über das Internet und bestimmte Foren anbieten, sagt Birgit Reiche: Auch im Sinne der Frauen gut geführte Bordelle konnten Auflagen nicht mehr erfüllen, mussten schließen. Eine offizielle Anmeldung sei für die Frauen mit der Angst verknüpft, dass zuhause, bei der Familie bekannt wird, dass sie sich in Deutschland prostituieren. „Wenn es nur eine Adresse in Rumänien gibt, kann es passieren, dass dorthin die Post vom deutschen Finanzamt geht“, sagt Mesic.
Zudem wollten und könnten die wenigsten der Ausländerinnen eine Steuerbuchhaltung für ihre Tätigkeit führen. Auch einheimische Sexarbeiterinnen, die einem Beruf nachgehen und sich im Nebengewerbe prostituieren, scheuten die Ämter mitunter – wegen der Gefahr, entsprechende Post nach Hause zu bekommen. Die Beraterinnen versuchen, die Prostituierten auch online zu erreichen, was aber sehr schwierig sei: „Nichts geht über persönlichen Kontakt“, sagt Mesic, die natürlich auch nichtangemeldete Frauen berät.
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