Siegen. . Kriminalhauptkommissarin Melanie Flecken ist Todesermittlerin im Kriminalkommissariat 1 in Siegen. Sie berichtet über ihre Arbeit.

Jemand ist gestorben. Allein in der Wohnung. Oder in der Nacht an der Seite von Partnerin oder Partner einfach eingeschlafen. Der Rettungswagen und der Notarzt sind da. Die Feuerwehr, die die Tür geöffnet hat, ist vielleicht schon wieder weg. Und dann kommt auch noch die Polizei. Weil der Notarzt, der den Patienten oder die Patientin zum ersten Mal sieht, im Totenschein die Todesursache als „ungeklärt“ eingetragen hat.

Der (noch) ungeklärte Tod

Kriminalhauptkommissarin Melanie Flecken ist Todesermittlerin, seit insgesamt 22 Jahren. Acht Jahre in Siegen, vorher in Düsseldorf, wo sie auch in Mordkommissionen mitgearbeitet hat. Das Kriminalkommissariat (KK) 1 ist auch für Brandermittlungen, Umweltdelikte und schwere Betriebsunfälle zuständig. Die Todesermittlungen? „Manchmal drei oder vier an einem Tag, manchmal eine ganze Woche gar keine“, sagt sie. Die Vermutung, dass die Todesermittler in der so genannten dunklen Jahreszeit mehr beansprucht werden, teilt sie nicht. „Gestorben wird immer.“

Dass ein alter Mensch zu Hause stirbt und Hausarzt oder Hausärztin den Tod und auch eine Todesursache bescheinigen, ist der Normalfall. „Dann werden wir gar nicht erst eingeschaltet.“ Es reicht aber schon, wenn der Hausarzt am sprechstundenfreien Mittwochnachmittag nicht erreichbar ist, um einen Ablauf auszulösen, der immer gleich ist: Zwei Kriminalbeamte kommen hinzu, sprechen mit dem Notarzt, den Angehörigen, fotografieren und entkleiden den Leichnam. „Unsere Hauptaufgabe vor Ort ist die Leichenschau.“ Herauszufinden ist, ob dieser Tod eine nicht natürliche Ursache hatte: Ist die Person gestürzt? Ist sie womöglich von einer fremden Person verletzt worden? Geben Totenflecke Anhaltspunkte für eine Gasvergiftung? „Wir versuchen, die letzten Stunden und Tage zu rekonstruieren.“

Melanie Flecken und ihre Kollegen wissen, wie ihre Arbeit auf trauernde Angehörige wirkt. „Wir können das nachvollziehen“, sagt sie, „wir versuchen den Angehörigen zu vermitteln, dass sie sich nicht unter Verdacht stehen sehen sollen.“ Denn auch die nächsten Schritte, die das Verfahren vorsieht, sind nicht angenehm: Formell wird der Leichnam unter Umständen beschlagnahmt, die Beamten bestellen einen Bestatter und berichten dem Staatsanwalt, der eine Obduktion anordnen kann und am Ende den Toten zur Bestattung freigibt.

Ein besonderer Fall kann der Tod im Krankenhaus sein, bei einer Operation oder bei oder nach einer Untersuchung, zum Beispiel einer Darmspiegelung oder einer Herzkatheter-Untersuchung. Denn für den Arzt kann die auf dem Totenschein anzugebende Todesursache schon dann ungeklärt sein, wenn er sich nicht auf den genauen medizinischen Grund festlegen kann — für die Polizei hingegen ist die Todesart, ob nun durch einen Herzinfarkt oder eine Embolie ausgelöst, natürlich. Viel seltener sind die so genannten „Ärzteverfahren“, bei denen der Staatsanwalt den Verdacht hat, dass ein Arzt einen Fehler gemacht haben könnt. Er veranlasst dann möglicherweise eine Obduktion, stellt Krankenakten sicher und zieht einen Gutachter hinzu. „Irgendwann bekomme ich dann die Akten zurück, um den Arzt als Beschuldigten zu vernehmen.“ Wie oft das vorkommt? „Eher selten, das sind, über das Jahr betrachtet, Einzelfälle“, antwortet die Kommissarin.

Weniger die Konfrontation mit den Toten als die Begegnungen mit den Angehörigen sind es, die auf die Beamten belastend wirken können. Manchmal ist sie selbst auch gar nicht als Todesermittlerin gefragt, sondern als Überbringerin der Todesnachricht, wenn die nächsten Verwandten nicht in derselben Stadt wie der Verstorbene leben oder der Todesfall sich im Ausland, vielleicht sogar im Urlaub, ereignet hat.

Ja, sagt Melanie Flecken, auch sie erinnert sich an solche tragischen Begegnungen, die sich nicht einfach vergessen lassen. Und noch einmal Ja, antwortet die 50-jährige Hauptkommissarin, die Aufgabe als Todesermittlerin hat sie sich selbst ausgesucht: „Ich werde das bis zu meiner Pensionierung machen.“

Der nicht natürliche Tod

Und wenn der Arzt von vornherein die „nicht natürliche“ Todesursache bescheinigt? „Das Prozedere ist das gleiche, das Augenmerk ein anderes“, sagt Melanie Flecken. Erhängt, erschossen: „Wir suchen nach Anhaltspunkten für grobe äußere Gewalt. Wir prüfen, ob jemand nachgeholfen hat.“ Ein besonderer Fall ist die Selbsttötung im Freien: Wenn jemand seinem Leben dadurch ein Ende setzt, dass er an einem Bahnübergang vor einen Zug läuft, gibt es manchmal auch Augenzeugen, die Auskunft geben können. Bei Tötungsdelikten kommt zusätzlich die Mordkommission mit ins Spiel, die beim Polizeipräsidium Hagen angesiedelt ist und dann mit den Siegener Ermittlern zusammenarbeitet.

Tödliche Verkehrsunfälle? Kein Fall für die Todesermittler, auch wenn die Ursache des Unfalls einmal nichts mit dem Straßenverkehr zu tun hat. Zuerst ist die Verkehrspolizei da, die schnell erkennt, ob der Unfalltote zum Beispiel schon vorher am Steuer einen Herzinfarkt erlitten hat oder ob der so genannte Geisterfahrer sich womöglich selbst töten wollte. „Auch durch Gespräche mit Angehörigen ergeben sich relativ schnell Anhaltspunkte“, weiß Melanie Flecken, „manchmal ergibt sich aber auch erst im Zuge der Ermittlungen, dass etwas anderes vorliegt.“

Betriebsunfälle: „Da werden wir schwerpunktmäßig dazugerufen“, sagt Melanie Flecken. Immer dabei sind dann Kollegen vom Amt für Arbeitsschutz. Zu prüfen ist, ob die Mitarbeiter richtig unterwiesen wurden, ob es Defekte an Maschinen gab oder jemand einen Fehler begangen haben könnte, der zu dem Unfall geführt hat. Tödliche Betriebsunfälle, sagt die Ermittlerin, „kommen Gott sei Dank sehr selten vor.“

Feuer: Da ist die Abteilung der Todesermittler sowieso dabei, weil sie zusätzlich auch für Brandermittlungen zuständig ist. Totenflecken und später die Blutuntersuchung durch die Rechtsmedizin in Dortmund geben Hinweise darauf, ob die Person Rauchgas eingeatmet hat oder schon tot war, bevor das Feuer ausgebrochen ist. Stirbt jemand an den Folgen schwerer Brandverletzungen im Krankenhaus, wird der Arzt dort eine unnatürliche Todesursache bescheinigen. „Er muss dann auch die Polizei benachrichtigen.“