Littfeld. Am Fred-Meier-Platz erinnern Stadt Kreuztal und Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit an den Dreijährigen, der im KZ ermordet wurde.

Am 27. Januar 1945 wurde das Vernichtungslager Auschwitz von Einheiten der Roten Armee befreit. Auschwitz steht seither für den Massenmord an Juden und anderen Menschen, die nicht ins Bild der NS-Ideologie passten. Millionenfaches Sterben. Gesichtsloser Tod. Kaum vorstellbare Zahlen, die in Kreuztal Jahr für Jahr durch die Erinnerung an einen dreijährigen Jungen eine Gestalt bekommen und persönlich werden.

Fred Meier gehörte zu den Opfern aus Littfeld, die im Jahre 1943 deportiert wurden und starben. „Ein nicht gelebtes Leben“, wie es Heiner Giebeler auf den Punkt bringt, Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegen, der in diesem Jahr die Gedenkrede hält.

Gäste aus Ferndorf und Emek Hefer

Giebeler zeigt sich betroffen über Umfrageergebnisse, die ein gutes Drittel der Deutschen mit rechtem Gedankengut verortet, hält das deutsche Erinnern am internationalen Gedenktag entsprechend für dringend geboten und hofft, dass künftige Generationen „auch in 10, 20 oder 30 Jahren noch hier stehen“. Er ist erfreut, jedes Jahr viele bekannte Gesichter am Fred-Meier-Platz zu sehen und kann an diesem Sonntag zusätzlich Gäste aus der österreichischen Partnergemeinde Ferndorf sowie aus Emek Hefer in der Runde begrüßen.

Unter großer Anteilnahme erinnert sich Littfeld an Fred Meier, der in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden wäre.
Unter großer Anteilnahme erinnert sich Littfeld an Fred Meier, der in diesem Jahr 80 Jahre alt geworden wäre. © Michael Kunz

Der Redner erinnert daran, dass Hitler und seine Mitstreiter nicht aus heiterem Himmel über Deutschland gekommen seien, vielmehr gewählt wurden. Es sei dringend geboten, in der heutigen Zeit wachsam zu sein. Jene Jahre seien kein „Fliegenschiss“ der deutschen Geschichte, kritisiert er eine Aussage des AfD-Vorsitzenden Gauland und nimmt zu Björn Höcke (AfD) und dem Schriftsteller Martin Walser Stellung. Das Holocaust-Mahnmal in Berlin sei sehr groß, „aber sechs Millionen tote Juden, davon 1,5 Millionen Kinder, das ist auch eine verflixt große Zahl.“ Andere Nationen erinnerten sich an positive Dinge ihrer Geschichte. Deutschland sei wohl einmalig darin, nationales Verbrechen so im Bewusstsein zu halten. Aber das sei richtig und mehr als nötig.

Bürgermeister Walter Kiß hat davor ebenfalls schon die anhaltende Bedeutung des Gedenkens unterstrichen. „Ich hatte schon Sorgen bei dem Wetter und an einem Sonntag“, sagt er und zeigt sich erfreut, dass wieder sehr viele Kreuztaler den Weg nach Littfeld gefunden haben. Kiß hebt eine Umfrage an den weiterführenden Kreuztaler Schulen hervor, die ergeben habe, „dass Antisemitismus oder religiös motivierte Diskriminierung dort zum Glück – noch – kein Thema ist“. Es gelte aber stets wachsam zu sein, leitet er zu den Jugendlichen aus dem „Glonk“ über, die sich auch wieder beteiligen.

Aus Littfelder Standesamtsakten

Fred Meier wurde am 24. Dezember 1939 geboren. Um 2 Uhr morgens „zu Littfeld in ihrer Wohnung” als Sohn von Mina Sarah Meier geborene Hony und des „Hilfsarbeiters Siegfried Israel Meier”, wie der Standesbeamte notierte. Beide Eltern „mosaischen Glaubens“.

Am 25. Mai 1940 wird die Urkunde nach mehrfacher Aufforderung durch die Gestapo geändert. Fred ist kein Vorname aus dem Verzeichnis, aus dem allein Juden auswählen dürfen. „Auf Anordnung der Aufsichtsbehörde“ heißt Fred nun „Berl“. Diesmal „vergisst“ der Standesbeamte den ebenfalls vorgeschriebenen zweiten Vornamen „Israel“.

Ende Februar 1943 bringt der Vater seinen Sohn in einer Schubkarre zu einem am Littfelder Bahnhof wartenden Zug. Auf dem Bahnsteig wird das Kind seiner Mutter entrissen — so berichten es Zeugen. Fred wird noch im Frühjahr vermutlich in Auschwitz ermordet; Dokumente dazu gibt es nicht.

Am 27. Dezember 1950 beurkundet der Littfelder Standesamte den Beschluss des Amtsgerichts Siegen von 14. Juli 1950, dass „Berl“ Meier für tot erklärt wird. Als Todestag wird der 8. Mai 1945 eingetragen; das ist der Tag der Kapitulation Nazi-Deutschlands.

Leia Haschke und Denise Jochum zitieren den Talmud, nach dem ein Mensch erst vergessen ist, wenn sein Name vergessen ist, und nennen daher noch einmal die Namen derer, die aus Kreuztal in den Tod oder ins Exil gingen. Vor allem bekunden sie Sorgen über die aktuellen Ereignisse. Rechte Hetze nehme wieder zu, Antisemitismus und Fremdenhass seien längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Hinterfragen und gegen diese Tendenzen aufstehen, darum gehe es jetzt, fordern die jungen Frauen und machen deutlich, dass es leichter sei, für die Demokratie zu kämpfen, solange es diese noch gebe. Ralf Stiebig gestaltet den musikalischen Rahmen, dann werden die Kränze niedergelegt unter dem regengrauen Kreuztaler Himmel.