Siegen. Starkes Ehrenamt: Eine von deutschlandweit 19 Malteser-Ambulanzen für Menschen ohne Krankenversicherung befindet sich am Häutebachweg in Siegen.
Sie behandeln alles, Blutdruckpatienten und Krebskranke, faulende Füße und Geschlechtskrankheiten, wenn Menschen Blut husten oder Grippe haben. Und sie wollen nichts dafür haben. Die Mitarbeiter der Malteser-Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung in Siegen, eine von deutschlandweit 19 Standorten, sind Ehrenamtler. Sie kümmern sich um die, die durch die Maschen des Systems gefallen und nicht versichert sind: Obdachlose und Illegale; Menschen, die Pech hatten. Die Patienten kommen aus Siegen und dem Umland, aus dem Sauerland, Wittgenstein und Hessen.
Die Mitarbeiter
„Wir können schon ein bisschen stolz auf uns sein“, findet Nicola Mühlhahn, die zum nichtärztlichen Personal gehört. Das findet auch Dr. Felizitas Hoferichter. Die beiden Frauen und ihre Kollegen – sieben Ärzte und 13 Arzthelferinnen, Pflegefachkräfte, Krankenschwestern, Verwaltungsleute – arbeiten in der Ambulanz zusätzlich zu ihren Berufen. Zur Sprechstunde sind immer ein Mediziner und zwei Nichtmediziner vor Ort, „einmal im Monat zwei Stunden ehrenamtlich arbeiten – das kann jeder gut beitragen“, findet Nicola Mühlhahn.
„Ich wurde gefragt, ob ich mitmachen will“, sagt Mühlhahn, die im Marien-Hospital tätig ist. Sie hatte immer darüber nachgedacht, was eigentlich Obdachlose tun, wenn sie krank werden. Von einer Ambulanz für solche Menschen wusste sie nichts – bis sie angesprochen wurde. „Ich finde es schön, dass ich meinen Beruf auch im Ehrenamt einsetzen kann, um anderen zu helfen“, sagt sie. Sie kann für sich und ihre Familie Termine bei Ärzten besorgen, einfach nur anrufen. „Was für ein Segen“, sagt sie. „Durch die Maschen dieses Netzes fallen Menschen. Diesen Fall will ich ein bisschen bremsen.“
Felizitas Hoferichter, die Hausärztin in Weidenau ist, hatte in der Zeitung einen Aufruf gelesen und kam zum ersten Treffen. „Dass es politisch überhaupt möglich ist, in Deutschland keine Krankenversicherung zu haben“, sagt sie – „das geht gar nicht!“ Die Malteser-Ambulanz sei hier wie ein Pflaster: Es ist gut, dass es da ist, es deckt die Wunde und hilft über die schlimme Zeit. Aber am besten ist es, wenn man es nicht braucht.
Die Patienten
Häufig sind es ehemals Selbstständige, die aus der gesetzlichen Krankenversicherung herausgefallen sind und nicht wieder hineinkommen. Es gibt Studierende, oft aus dem Ausland, häufig Frauen, die schwanger werden. „Deren Versicherung deckt eine Schwangerschaft nicht ab“, erklärt Felizitas Hoferichter. Oder Langzeitstudierende, die sich selbst versichern müssen: Für die Dauer des Studiums kann man sich von der gesetzlichen Pflicht befreien lassen – aber man kann nicht zurück. Es gibt Angehörige von EU-Bürgern, die in Deutschland leben: „Eine polnische Familie, die hier versichert ist, hat die blinde Großmutter, die nicht mehr allein leben konnte, hergeholt“, erzählt Hoferichter – aber die Frau hat nie eingezahlt, das deutsche System übernimmt sie nicht. „Es gibt eine Europäische Krankenversicherung – aber die ist zeitlich begrenzt und gilt nur für Notfälle“, erklärt Nicola Mühlhahn. Eine Studentin aus Afrika bekam Besuch von ihrer Mutter, die zwar ein Aufenthaltsvisum hatte, aber hier nicht versichert war. Die Frau litt unter einer schweren Krankheit, war lange Zeit nicht reisefähig. Flüchtlinge sind an dem Ort versichert, an dem sie gemeldet sind – häufig kommt es vor, dass Paare in verschiedenen Städten registriert sind, aber zusammenleben. Einer hält sich dann illegal in Siegen auf – genauso abgelehnte Asylbewerber, die bei Freunden untergekommen sind. Vereinzelt gibt es auch Obdachlose. Hoferichter und Mühlhahn haben ein Paar aus Rumänien betreut: Der Frau stand für ihre Schwangerschaft ein Platz in einer Flüchtlingsunterkunft zu – ihrem Partner allerdings nicht, weil er kein Flüchtling war. Das Paar wollte lieber unter der Brücke bleiben. „Eine Hochschwangere im Winter – ein sehr schwerwiegendes Problem“, sagt Hoferichter (siehe Infobox).
Problemthema Schwangerschaft
Viele Fälle der Malteser-Ambulanz betreffen das Thema Geburt und Schwangerschaft. Wenn die Wehen einsetzen, können Schwangere als Notfälle in jedes Krankenhaus gehen — aber bis dahin fehle eine Regelung für die Versorgung, so Felizitas Hoferichter.
„Besser wäre eine Absprache, dass Kreis oder Stadt für schwangere Frauen aufkommen“, sagt sie – in Köln etwa sei das Gesundheitsamt bis zur Geburt für die Frauen zuständig.
Die Praxis
Unterschiede zu einer normalen Hausarztpraxis gibt es eigentlich nicht. Die Ambulanz hat ein Behandlungszimmer und einen Warteraum. „In Siegen haben wir im Vergleich nicht viele Patienten“, sagt Felizitas Hoferichter. Nicola Mühlhahn hat die Zahlen festgehalten: Im vergangenen Jahr 72 Behandlungen an 33 Patienten, davon drei ohne Aufenthaltsstatus. „In Berlin kommen täglich 70 Leute, davon die Hälfte illegal.“
Der Unterschied: „Wir behandeln. Und zur Finanzierung schauen wir dann, wie wir’s machen“, sagt Hoferichter. Natürlich prüfen sie, ob die Patienten etwas beitragen können. Die meisten sind ehrlich, zahlen, was sie können.Viele schämen sich für ihre Situation, dass sie kaum Geld haben, ein Problem nicht allein lösen können. Viele Illegale trauten sich sowieso kaum zum Arzt: Einmal weigerte sich ein junger Mann ins Krankenhaus zu gehen, trotz Lebensgefahr, erzählt Nicola Mühlhahn. Später stellte sich heraus, dass er gesucht wurde. „Mann kann auch anonym kommen“, sagt sie. Die Mitarbeiter unterliegen der Schweigepflicht.
„Die medizinische Versorgung ist nicht der größte Teil unserer Arbeit“, sagt Felizitas Hoferichter: Sozialmedizin treffe es besser. „Die Leute wissen oft nicht, wie bestimmte Dinge geregelt werden – wir beraten, stoßen etwas an, nutzen unsere Kontakte.“ Sie haben es auch schon geschafft, dass die gesetzlichen Kassen Patienten wieder aufgenommen haben.
Das Geld
Die Praxis startete 2016, ohne Kapital, die St. Marien-Gemeinde stellt die Räume zur Verfügung. Am Anfang: Aufbauarbeit, viel organisieren und koordinieren; die Anlaufstelle musste sich erst herumsprechen bei potenziellen Patienten. „Wir finanzieren uns ausschließlich über Spenden“, sagt Nicola Mühlhahn. Als in einer Klinik ein Ultraschallgerät ausgemustert wurde, organisierte das Praxisteam den Apparat als Spende. Mit dem Kreisklinikum gibt es eine Absprache fürs Röntgen, fürs Labor mit dem Marien-Krankenhaus. „Das dürfen wir natürlich nicht überstrapazieren“, betont Hoferichter.
Die Malteser stellen Verbrauchsmaterial wie Handschuhe, die Caritas zahlt eine monatliche Summe für Medikamente, es gibt Kooperationen mit Apotheken. Für schwerere Fälle, intensivere Therapien nutzen die Ärzte ihre Kontakte, bitten Kollegen, einen Patienten der Ambulanz zu übernehmen, ehrenamtlich oder zu einem günstigeren Satz. „Ich hoffe, dass wir bald Fachärzte aus allen Disziplinen haben“, sagt Felizitas Hoferichter.
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