Siegen/Mudersbach. . Familie Cakir bietet im Siegerland muslimische Beerdigungen an – und möchte jedem ein würdevolles Begräbnis ermöglichen. Auch für wenig Geld.

Die Toten antworten nicht, aber Birgit Cakir spricht trotzdem mit ihnen. „Ich hebe jetzt Ihren Arm hoch“, sagt sie dann, wenn sie die Leiche wäscht, oder „gleich kommt Ihre Frau“, wenn sie sich verabschiedet. Nur für den Fall. Weil man ja nicht wissen kann, ob die Toten nicht irgendwie mithören. Weil hier ein Mensch auf dem Tisch liegt – ein Mensch, der nicht mehr lebt. Aber ein Mensch. Mit einer Würde, die er über das Ende des Lebens hinaus behält. Egal, welche Religion er hat.

Das ist Birgit Cakirs feste Überzeugung. Deswegen ist sie Bestatterin geworden, deswegen heißt ihr Institut, das sie mit ihrem Mann Rusen und ihrem ältesten Sohn Mustafa betreibt, „Würdevoll Cenaze“. Das Familienunternehmen ist im weiteren Umkreis der einzige Betrieb, der sich auf muslimische Beerdigungen spezialisiert hat. Und auf noch etwas anderes: Dass jeder Mensch, auch arme, ein angemessenes Begräbnis bekommen. Ein würdevolles Begräbnis.

Freiwilliges Praktikum im Hospiz

Bevor die Cakirs Bestatter wurden, haben sie alle etwas anderes gemacht. Rusen Cakir arbeitet noch heute zusätzlich zu seinem normalen Beruf im Bestattungsinstitut seines Sohnes und seiner Frau. Die wurde katholisch erzogen und konvertierte später. Als Birgit Cakirs Mutter starb, war sie „überrascht, wie teuer eine Bestattung ist“, sagt sie.

Irgendwann in dieser Zeit wusste Birgit Cakir: Sie will Bestatterin werden. „Ich bin da durch wie ein D-Zug, ich habe mich von nichts abhalten lassen. Auch nicht davon, dass mein Mann nicht einverstanden war“, sagt sie und lächelt sanft. Sie konnte ihn überzeugen und ihren Sohn gleich mit. 2016 begann sie die Ausbildung, machte ein freiwilliges Praktikum im Hospiz, wollte wissen, wie das Sterben ist, was die Menschen in ihren letzten Minuten bewegt. „Der Leiter sagte mir: Am Ende kommt es nur darauf an, ob die Lebensschale voll, ein bisschen gefüllt oder leer ist.“ Sie entschied sich: Es soll etwas darin sein, wenigstens ein bisschen.

Waschen hilft beim Abschiednehmen

Muslime werden in der Region nicht immer dem islamischen Ritus gemäß bestattet – auch, weil es im Siegerland keine muslimischen Bestatter gibt. Es gibt externe Agenturen, aber die lassen die Angehörigen oft allein – das wollte die Familie ändern. Sie sind für die Lebenden genauso da wie für die Sterbenden und die Toten.

Es macht Angst, wenn dir niemand die Hand hält“, sagt Birgit Cakir. Würdevoll Cenaze möchte Angehörigen diese Angst nehmen, wenn es möglich ist. Gemeinsam mit den Angehörigen waschen sie die Verstorbenen, ein wichtiger Teil des islamischen Bestattungsritus’ – und eine Form des Abschiednehmens, egal in welcher Religion. Zum Beispiel waren die Cakirs dabei, als ein Vater seinen Sohn ein letztes Mal wusch, das erste Mal seit langer Zeit ohne Schläuche im Leib, ohne Schmerzen. Der Mann half auch dabei, den Sohn in den Sarg zu betten. „Das ist Abschied“, sagt Birgit Cakir.

Respektlosigkeiten wegen Birgit Cakirs Kopftuch

Schwer war und ist es für die Familie. Birgit Cakir trägt Kopftuch, ihr Mann stammt aus der Türkei, ihre Söhne haben dunkle Haare und dunkle Augen. Sie werden dauernd komisch angeschaut. Nach der Ausbildung bewarb sich Birgit Cakir bei mehreren Bestattern, wurde eingeladen und abgelehnt. „Bei einem Gespräch wurden mir Sachen an den Kopf geworfen, danach habe ich auf dem Parkplatz gestanden und geheult“, erzählt sie. Immer noch erfahren sie Respektlosigkeiten. Bei einem Zusammentreffen mit Kollegen zog jemand Birgit Cakirs Kopftuch hoch. Sie kämpfte ihren Zorn nieder.

Geld soll nicht das Wichtigste am Tod sein. Bestattungen können schnell sehr teuer werden, Angehörige vergleichen in einem Trauerfall auch keine Angebote wie bei einem neuen Fernseher, sagt sie. Eine Bestattung muss aber nicht teuer sein, davon sind sie überzeugt bei Würdevoll Cenaze. Und eine günstige Bestattung muss nicht würdelos sein. Die Familie hat täglich mit Menschen zu tun, in deren Leben der Tod so plötzlich getreten ist, wo niemand über die Finanzierung einer Beerdigung nachdenken konnte. Wo einfach kein Geld da ist, um einen Beerdigungskaffee für die Nachbarn auszurichten, wie es sich gehört.

Würdevoll Cenaze setzt sich dafür ein, dass diese Kleinigkeiten, die für manche Angehörigen große Probleme sind, aus dem Weg geräumt werden. Sie besorgen ein Paket Kaffee für eine alte Frau, die sich jeden Cent vom Mund absparen muss. Ein paar Euro für die Raummiete, damit die Nachbarn Platz finden. Einen Pfarrer, Priester, Prediger, der etwas über den Toten sagen kann. Einen Sarg und Blumen, damit es hübsch aussieht in der Kapelle. „Man kann nicht anfangen richtig zu trauern, wenn der finanzielle Druck so groß ist“, findet Birgit Cakir. Rusen Cakir sagt: „Wir bringen Zeit mit, reden mit den Leuten, hören zu. Wir sitzen oft lange mit unseren Kunden zusammen.“

Nicht nur anonym verscharren

Menschen zusammenbringen. Die, die kein Geld haben für einen Kuchen, und die etwas wohlhabenderen Kunden. Würdevoll Cenaze vermittelt: Die einen verzichten vielleicht auf die Blumen für 600 Euro, nehmen stattdessen die für 300. In Deutschland schickt es sich nicht, bei Beerdigungen auf den Preis zu schauen, auch wenn sie teuer sind. Was okay ist, finden die Cakirs, für die, die sich das leisten möchten. Auch die sind ihre Kunden. Was sie nicht möchten: Dass arme Menschen anonym verscharrt werden, wie es üblich ist, wenn kein Geld da ist. Es gab einen Fall, als eine alleinerziehende Mutter zweier minderjähriger Kinder überraschend gestorben war, zum Vater kein Kontakt. Die Zwölfjährige wollte ihnen ihr Taschengeld geben, „Bitte beerdigt meine Mama“, sagte das Mädchen. Hätten sie ihr 2000 Euro abknöpfen sollen, bevor sie die Mutter holen? Sie haben eine Frau bestattet, die Ende September eine Krebsdiagnose bekam, acht Wochen später war sie tot. Hätte die anfangen sollen, zu sparen?

Zur Not greifen die Cakirs in die eigene Tasche, überlassen den Angehörigen einen Sarg zum Einkaufspreis, rechnen nur Transport und Steuer ab. Mustafa Cakir wuchtet die schweren Särge in einen umgebauten Bulli – der Wagen erfüllt genauso seinen Zweck wie eine teure Oberklassenlimousine. „Für jede Beerdigung gibt es das passende Essen, das passende Auto, den passenden Sarg“, sagt Birgit Cakir. Und den passenden Bestatter. Die Cakirs bekommen Prozente bei einem Blumenhändler, die sie sammeln, damit jemand Bedürftiges Grabschmuck kaufen kann.

Manche nutzen Hilfsbereitschaft aus

Es gibt Leute, die genug Geld haben und die trotzdem versuchen, die Hilfsbereitschaft der Familie Cakir auszunutzen, erzählt Rusen Cakir. Dagegen können sie kaum etwas tun, außer das familiäre Umfeld zu prüfen. Die Behörden nehmen außer dem Ehepartner auch Eltern, Kinder, Geschwister von Verstorbenen unter die Lupe, die sich womöglich an den Bestattungskosten beteiligen müssen. „Wenn bei den direkten Angehörigen nichts zu holen ist, versuchen wir, ein wenig Geld zu beschaffen“, sagt Birgit Cakir.

Manchmal kommt niemand, um Abschied zu nehmen. „Dann machen wir das. Dieser Mensch war ein Teil dieser Welt. Wir trommeln Leute zusammen, damit keiner allein gehen muss.“ Die Familie versucht, den richtigen Weg für genau diese Person herauszufinden. Die Cakirs sprechen mit den Angehörigen, hören zu, beraten, sitzen lange zusammen. „Eine Muslima aus dem Kosovo wollte nach islamischem Brauch bestattet werden, mit Leichentuch“, erzählt Rusen Cakir – aber die Familie wollte einen Sarg. „Wir konnten sie überzeugen. Und den Sarg haben wir Bedürftigen gespendet.