Neunkirchen. . 31 Jahre war Moritz Vorsitzender des Gemeindeverbands Neunkirchen. Am 10. Januar hört er auf und blickt zuvor auf eine bewegte Karriere zurück.
Wenn auf irgendjemanden das Wort „Urgestein“ zutrifft, dann auf Hans-Dieter Moritz: Er war 20 Jahre lang direkt gewählter Landtagsabgeordneter aus dem Siegerland, 25 Jahre Kreistagsabgeordneter, 15 Jahre Ratsmitglied in Neunkirchen, 45 Jahre Vorsitzender des Ortsvereins Salchendorf. Am Donnerstag, 10. Januar, gibt er sein Amt als Vorsitzender des Gemeindeverbands Neunkirchen, den er vor 50 Jahren mitgründete ab – nach 31 Jahren an der Spitze. Im Gespräch mit Hendrik Schulz blickt Moritz zurück.
Als Sie 2005 aus dem Landtag ausschieden, wollten Sie mehr Zeit fürs Kegeln und Wandern haben. Hat das geklappt?
Mit dem Kegeln hat es geklappt. Unsere Arbeitsgemeinschaft 60+ kegelt seit vielen Jahren einmal im Monat auf beiden Kegelbahnen im Freiengrunder Hof. Es gibt ein sehr großes Interesse an der Veranstaltung, aber mit mehr als zwölf Personen pro Bahn kann man nicht gut kegeln. Ich hatte auch einen privaten Kegelclub, „Wilde Kugel“. Die Runde gibt es seit mehr als 50 Jahren, aber meine Kegelfreunde und ich sind alle älter geworden – wir treffen uns alle zwei Monate zum Gedankenaustausch. Früher hatten wir auch viele Vergleichskämpfe, vor allem mit dem Club „Linker Bauer“ aus Hessen. Ich saß zusammen mit einem Bergmann im Bezirksausschuss der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, daraus ist eine Freundschaft entstanden – und die Kegelwettbewerbe. Wandern gehe ich auch gern, besonders zum Ausflugslokal an der ehemaligen Grube Steimel. Und natürlich bietet die SPD auch Wanderungen an, im Winter von Struthütten über den Hohenseelbachskopf nach Daaden etwa.
Sie haben den Vorsitz des Gemeindeverbands schon einmal abgegeben, 1970. Warum?
Der Gemeindeverband wurde 1968, vor der kommunalen Neugliederung gegründet. Im Neunkirchener Rat wurde ich dann Fraktionsvorsitzender und wollte nicht beide Ämter auf mich vereinen. Wir haben im Gemeindeverband ja vier Ortsvereine – Vorsitzender in Salchendorf war ich von 1963 bis 2008.
Wie findet man den richtigen Moment, um aufzuhören?
Ich möchte das Amt ja schon länger abgeben, aber es war schwer, einen Nachfolger zu finden. Ein geordneter Übergang ist wichtig.
Unter Ihrer Leitung wurde der Gemeindeverband äußerst aktiv. Und Sie hatten schon alle großen SPD-Namen in Neunkirchen: Peter Struck, Malu Dreyer, Wolfgang Clement, Rudolf Scharping, Kurt Beck, Peer Steinbrück, Johannes Rau, Franz Müntefering, Hannelore Kraft.
Das ist ja nicht nur mein Verdienst, ohne die richtigen Leute geht das nicht. Die vier Ortsvereine sind jeder für sich sehr aktiv, in Struthütten gibt es zum Beispiel immer das große Kinderfest. Und in Neunkirchen und Struthütten den monatlichen politischen Stammtisch, wo in lockerer Runde aktuelle Probleme erörtert werden. Und das nicht nur von Parteimitgliedern, der Stammtisch steht allen Bürgern offen. Gemeinsam beraten wir und gehen mit den Anliegen an die Fraktion.
Zur Person
Hans-Dieter Moritz wurde am 13. Januar 1940 geboren, ist verheiratet, Vater und Großvater. Er lebt in Salchendorf.
Nach der Volksschule begann Moritz 1954 eine Lehre als Bauschlosser bei der Erzbergbau Siegerland AG, arbeitete dann als Schlosser. Nach dem Ende des Erzbergbaus im Siegerland wandte sich Moritz der Gewerkschafts- und Parteiarbeit zu.
Neben der Gründung der Arbeitsgemeinschaften sozialdemokratischer Frauen (AsF) und 60 Plus wurden zahlreiche SPD-Aktivitäten von Moritz angeregt und organisiert.
Moritz ist unter anderem Mitglied der AWO, des DRK und fast aller Neunkirchener Vereinen, sitzt im Stift-Keppel-Kuratorium.
Er ist der letzte noch lebende Mensch, der im Schacht der Grube Pfannenberger Einigkeit war – nach der Schließung wurde der Schacht von oben mit Stahlbeton verfüllt, zusammen mit einem Kumpel kletterte Moritz hinunter, um zu prüfen, ob der Beton richtig verlaufen war. Dann wurden die letzten Meter Schacht verfüllt.
Das Neunkirchener Patentrezept?
Wir haben über Jahrzehnte solide und bürgernahe Politik gemacht, wir gehen auf die Bürger zu. Auf Bundesebene haben nicht alle SPD-Politiker mehr den Kontakt zu den kleinen Leuten, wissen nicht mehr, was in den Ortsvereinen diskutiert wird. Wir geben uns viel Mühe, auch mit Informations- und Tagesfahrten. Für eine Sieben-Tage-Fahrt auf der Donau war der Andrang so groß, dass jetzt eine Rheinfahrt ansteht. Und im September organisiert die SPD eine einwöchige Fahrt zum Lago Maggiore und bietet das auch den Bürgern an. Zu unseren Jahresempfängen laden wir alle Vereinsvorsitzenden ein, die Wirtschaft – das ist ein bunt gemischter Kreis. So haben wir es geschafft, in einer eher konservativen Gemeinde wie Neunkirchen den Kontakt in die Bürgerschaft zu halten.
Sie haben Bauschlosser im Erzbergbau gelernt – war das die Initialzündung für eine Karriere in der SPD?
Ich bin im Erzbergbau groß geworden, mein Vater war Betriebsobmann und hat die Sitzstreiks unter Tage mitorganisiert, als die Grubenschließungen anstanden. Ich wurde Jugendvertreter auf der Grube „Pfannenberger Einigkeit“, später Konzern-Jugendsprecher.
Wie kam es zur Gründung des Gemeindeverbands Neunkirchen?
Die vier Ortsvereine sind mehr als 100 Jahre alt. Als 1969 die Kommunale Neugliederung in NRW anstand und der Untere Freie Grund an Burbach gehen sollte, brauchten wir eine Bündelung der Kräfte, mussten an einem Strick ziehen, um eine gemeinsame Wahlliste aufzustellen. Unsere Amtsvertreter legten ihre Funktionen nieder, es gab Plakat-Aktionen wie „Sie betreten das Gebiet der Rebellen“. Ich war zu der Zeit aber gar nicht an vorderster Front: 1962 wurde ich arbeitslos, mit 22 Jahren, weil die „Grube Pfannenberger Einigkeit“ geschlossen wurde. Ich kam dann noch ein Jahr auf der Grube Füsseberg in Biersdorf bei Daaden unter, wurde danach aber Heimleiter der Gewerkschaft bei Zell am See in Österreich. 1965 schied der SPD-Parteisekretär Hans Georg Vitt aus und ich wurde gefragt, ob ich mich auf die Stelle bewerben wollte. Am 1. Mai 1965 fing ich als Parteisekretär in Siegen an und bin es 20 Jahre lang geblieben.
War dann die Wahl zum Landtagsabgeordneten der nächste logische Schritt auf der Karriereleiter?
1985 stolperte Hilmar Selle über die Flick-Affäre, drei Kandidaten bewarben sich um seine Nachfolge. Und machten einen Fehler nach dem anderen, ich bin dann als vierter eingestiegen. Von Berleburg bis Freudenberg, von Kreuztal bis Burbach besuchten wir alle Ortsvereine und diskutiertem. Beim Parteitag hatten wir uns auf viele Wahlgänge eingestellt. Ich hatte vorher lange gezögert – „Ich bin Bauschlosser“, dachte ich mir, „Du wirst doch nicht wiedergewählt.“ Ich hatte Sorge um meine berufliche Zukunft. Dann habe ich im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der Delegierten geholt und bin 20 Jahre direkt gewählter Landtagsabgeordneter gewesen.
Lange her ...
Wir sind schlecht dran, dass es zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg keine direkt gewählten Landes- und Bundestagsabgeordneten der SPD aus Siegen-Wittgenstein gibt. Wir werden das aber ändern.
Würden Sie dabei mithelfen?
Wenn ich gefragt werde, berate ich, mische mich aber nicht mehr ein. Ich bin ja schon länger auf dem Absprung – jetzt müssen die Jüngeren ran. Ich ärgere mich oft, wenn ich sehe, dass in der Kommunalpolitik kaum junge Leute arbeiten. Es kann doch nicht in ihrem Interesse sein, dass über Kindergärten und Schulen alte Leute entscheiden; die Jungen sich zurücklehnen und nicht bereit sind, in die Arena zu steigen!
Wird Ihnen die Politik fehlen?
Als ich aus dem Landtag ausgeschieden bin, hatte ich noch die kommunalpolitischen Ämter und jetzt bleibe ich ja Parteimitglied – nur eben nicht mehr Vorsitzender.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Themen der Zukunft?
Es kommt entscheidend darauf an, dass die SPD attraktive Kandidaten ins Rennen schickt, die weithin akzeptiert sind, die Verbindungen zur Bevölkerung, zu den Vereinen haben. Und dass wir verhindern, dass die Rechten noch stärker werden; die nur mit Schlagworten statt mit Inhalten arbeiten. Ein wichtiges Sachthema sind sicher die Straßenausbaubeiträge. Wenn es dabei bleibt, dass die Bürger die maroden Straßen mit bis zu fünfstelligen Summen finanzieren müssen – das kann der allergrößte Teil der Bevölkerung nicht. Aber zur Zeit sieht es ganz gut für unser Anliegen aus.
Worauf sind Sie stolz, wenn Sie auf Ihre Karriere zurückblicken?
Dass ich 20 Jahre lang im Landtag sitzen durfte und davon 15 Jahre dem Präsidium angehört habe. Das Präsidium hat sehr interessante Aufgaben: Neben Anschaffungen oder Einstellung von Personal die Repräsentanz des Bundeslandes in der Welt. Meine Kollegen und ich, zu denen ich heute noch ein inniges Verhältnis pflege, sind viel in der Welt herumgekommen, von Norwegen bis Ägypten. Das war wirklich sehr interessant.
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