Siegen. . Ständige Angst vor schwerer Krankheit: Gesetzliche Krankenkassen nehmen Siegener (64) nicht, private Versicherungen kann er sich nicht leisten.
Jeden Tag macht sich Günther Gabriel Gedanken darüber, wie er nicht krank wird. „Es wäre eine Katastrophe, wenn mir etwas passieren würde“, sagt der 64-Jährige: Er hat keine Krankenversicherung. Die gesetzlichen Kassen nehmen ihn nicht, eine private Versicherung kann er sich nicht leisten. Schätzungen zufolge haben in Deutschland mehr als 100.000 Menschen das gleiche Problem: Sie dürfen nicht krank werden, weil sie Untersuchungen, Behandlungen, Therapien, Medikamente oder Operationen nicht bezahlen können.
Die Ambulanz
In der Malteser-Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherungsschutz sind sieben Ärzte und 13 Nicht-Mediziner (Pflegefachkräfte, Krankenschwestern, Arzthelferinnen, eine Verwaltungsfachangestellte) ehrenamtlich, zusätzlich zu ihren normalen Berufen, tätig.
Die Praxis im Untergeschoss des Kath. Pfarrheims St. Marien am Häutebachweg 5 in Siegen hat jeden Donnerstag von 18 bis 20 Uhr Sprechstunde. Eine Anmeldung ist nicht nötig und auch nicht möglich.
Neben der Erstversorgung bei Krankheiten und Verletzungen beraten die Mitarbeiter in medizinischen Fragen, vermitteln weiterführende Hilfen und Behandlungen bei Fachärzten, Krankenhäusern oder Fachstellen. Die Anonymität der Patienten ist jederzeit gewährleistet.
Gäbe es die Ambulanz für Menschen ohne Krankenversicherung der Malteser in Siegen (siehe Infobox) nicht – „ich wüsste nicht, was ich tun sollte“, sagt Gabriel. Denn gesund ist er nicht. Im November kann er in Rente gehen, dann käme der Rentenfonds für ihn auf. Bis dahin muss Gabriel durchhalten.
Die Krankengeschichte
Im Winter eine Grippe zu bekommen, da hat Gabriel keine großen Bedenken. „Ich habe meinen Körper ganz gut im Griff“, sagt er – wenn er ein Kribbeln in der Nase spürt, stellt er aufgeschnittene Zwiebeln neben das Bett, nimmt Gelomyrtol. „Ich höre in mich hinein“, sagt er – bis jetzt konnte er so etwas gut abblocken. Günther Gabriel ist Diabetiker, isst viele Kiwis, viel Zimt, weil das den Blutzuckerspiegel senkt, hat seine Ernährung umgestellt, nimmt Süßstoff statt Zucker, vermeidet weißes Mehl. Er hat sich intensiv damit beschäftigt, was er tun kann, um gesund zu bleiben.
Sein Blutdruck ist hoch, auch das hat er im Griff. Aber nachts und morgens pocht sehr oft sein Kopf, jedes Mal durchzuckt ihn die Angst vor einem Schlaganfall. Durch das Blutdruckmedikament schläft er schlecht, ihm wurde dagegen ein Antidepressivum verschrieben, weil normale Schlaftabletten nicht mehr wirkten. Aber da ist noch mehr.
2016, da war er schon ohne Versicherung, hatte er einen Bandscheibenvorfall. Damals begann es mit Schmerzen im linken Schienbein und seit einiger Zeit tut ihm das rechte Bein weh. Und es wird immer schlimmer. Starke Tabletten wirken nicht mehr, ein Schmerzkatheder half nur kurz. Eigentlich bräuchte er noch eine Operation, sagt er.
Die Vorgeschichte
Günther Gabriel war von 2003 bis 2013 im Ausland, auf Ibiza reparierte er als Selbstständiger Computer, war dazu privat versichert. Die Geschäfte liefen schlechter, weil die Technik besser wurde – die meisten Kunden brauchten keine Fachleute mehr, um Updates auf ihren PC zu spielen. Gabriel kehrte zurück nach Deutschland. 140 Euro hatte er in Spanien seiner privaten Krankenversicherung bezahlt – in Deutschland hätte er 640 Euro bezahlen müssen. Mindestens. Gabriel konnte sich das nicht leisten. Er ging zu den gesetzlichen Kassen – und die wiesen ihn ab. Laut Gesetz dürfen sie das bei Menschen, die älter als 56 Jahre sind und länger als fünf Jahre nicht eingezahlt haben. Das Gesetz wurde 2007 geändert, „auf Ibiza habe ich das gar nicht mitbekommen“, sagt Gabriel. Plötzlich stand er ohne Krankenversicherung da.
Die Leidensgeschichte
Die Liebe brachte Günther Gabriel nach Siegen: Auf Ibiza hatte er eine Siegenerin kennengelernt. Zunächst zog er in eine Studenten-WG am Haardter Berg, um erstmal eine Bleibe zu haben. Es klappte nicht mit der Beziehung, Gabriel lernte eine andere Frau kennen, sie heirateten. Er bemühte sich um Arbeit – und um eine Krankenversicherung, denn seine Beschwerden häuften sich. Gabriel schaltete einen Anwalt ein, aber der hatte schlechte Nachrichten: Nur wenn er für die Jahre, in denen er nicht gesetzlich versichert war, nachzahlt, würde ihn die Kasse aufnehmen. Viel zu viel für ihn. „Seither habe ich mich irgendwie durchgeschlagen“, sagt er.
Zwischendurch war er ein Jahr über das Jobcenter bei einer englischen Versicherung – aber das geht nur zwölf Monate. In dieser Zeit, 2016 war das, hatte er einen Bandscheibenvorfall, „zum Glück“, sagt er heute. Die Versicherung übernahm einen Teil der Kosten, 1000 Euro Selbstbeteiligung konnte Gabriel irgendwie zusammenkratzen. Gerecht findet er das nicht: „Es gibt eine gesetzliche Versicherungspflicht – und die Versicherungen lassen einen hängen.“
Auch Ärzte und Kliniken. Viele, hätten ihn unterstützt, ihn zu günstigen Konditionen untersucht, sagt Gabriel dankbar. Aber als er einmal die Schmerzen nicht mehr aushielt, „eine absolute Ausnahmesituation“, sei er in ein Siegener Krankenhaus gegangen – und wurde auf die Straße gesetzt. „Als sie hörten, dass ich nicht versichert bin, wurden sie gleich unfreundlich“, sagt er. Er sei ins MRT geschoben worden, dann habe man behauptet, er sei ein Hypochonder, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch die Ursache für die Schmerzen. Gabriel musste wieder gehen. Das Geld wollten sie trotzdem.
Die Armutsgeschichte
Seine Partnerin unterstützt ihn, wo es geht – aber sie muss den Unterhalt für ihre beiden Kinder zahlen, die Raten für das Haus bedienen. Wegen ihres Gehalts ist es für ihn schwierig, Unterstützung vom Amt zu bekommen – wären sie nicht verheiratet, würde ihm Sozialhilfe zustehen. Viel mehr Geld als Hartz IV steht dem Ehepaar nun nicht zur Verfügung. „Allein bei der Vielfalt an Medikamenten, die ich nehmen muss, kommt einiges zusammen“, sagt er.
Die Hilfsgeschichte
„Ich bin sehr froh, dass ich die Malteser-Ambulanz gefunden habe“, sagt er. Als Gabriel 2017 wegen des Bandscheibenvorfalls zur Reha in Bad Nauheim war, fiel ihm ein Flyer in die Hände. Seither sind die ehrenamtlich tätigen Mediziner seine Hausärzte.
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