Siegen. . Was nach dem Tod auch kommen mag: Peter-Thomas Stuberg, Superintendent des Kirchenkreises Siegen, sieht keinen Grund zur Furcht. Ein Gespräch.

Alles vorbei. Oder alles auf Anfang? Es gibt keine verlässliche Antwort auf die Frage, was uns nach dem Tod erwartet. Dennoch: Versuch einer Annäherung im Gespräch mit Peter-Thomas Stuberg, Superintendent des Kirchenkreises Siegen.

Was kommt?

„Wir wissen nichts darüber“, sagt Stuberg. „Zumindest nicht im Sinne einer klaren Erkenntnis.“ Es gebe zwar Nahtoderfahrungen von Menschen, aber die Berichte „sind alle sehr diesseitig verortet“. Außerdem sei ungeklärt, ob es sich bei diesen Erlebnissen – viele erzählen von hellem Licht und einem Gefühl des Verlassens des eigenen Körpers – nicht lediglich um ein biologisches Programm handele, gesteuert durch Hormone, das der Körper in dieser Extremsituation aus welchen Gründen auch immer abspielt.

Das Jenseits laut Bibel

Die Bibel, so der Superintendent, bleibt in den Schilderungen des Jenseits ziemlich vage. „Es ist nicht fotografisch beschrieben. Als Fotografie wäre es unscharf, nicht greifbar.“ In der Offenbarung des Johannes ist die Rede von einem Ort ohne Tod, ohne Schmerz, ohne Leid, ohne Geschrei. „Aber wie diese Welt aussieht, ist unserer Erfahrung und unserer Vorstellung entzogen“, sagt Stuberg.

Warum bleibt es vage?

Von Dante zur Popmusik

Besonders bekannte Jenseitsdarstellungen aus der Kunstgeschichte sind die Gemälde von Hieronymus Bosch (geboren Mitte des 15. Jahrhunderts, gestorben 1516) und „Die göttliche Komödie“ von Dante Alighieri (1265 - 1321).

Der Einfluss beider Künstler reicht bis weit die Popkultur. Dantes Höllenvisionen etwa inspirierten Filme, Comics, Videospiele – wobei die Darstellungen häufig überaus plastisch und mitunter recht verstörend sind.

In der Popmusik taucht das Jenseits ebenfalls auf. Eric Clapton etwa verarbeitete 1992 den Tod seines kleinen Sohnes in „Tears in Heaven“: „Jenseits der Tür ist Frieden, da bin ich sicher; und ich weiß, es wird keine Tränen mehr geben – im Himmel“. Janet Jackson schildert in „Together again“ von 1997 ihre Hoffnung, einen verstorbenen Freund irgendwann wiederzusehen. Und Holly Johnson beschreibt in „Disco Heaven“ von 1999 den Himmel als eine große Party „mit all unseren Freunden“, wo die Musik nie endet und „Andy Warhol Polaroids schießt“.

„Immer, wenn es konkret wird, gerät jede Jenseitsidee in den Bereich, den wir uns vorstellen können – und dann wird’s komisch, vielleicht sogar banal. Das wäre auch eine Verharmlosung“, erklärt der Superintendent – etwa der klischeehafte Gedanke von Engeln, die mit Harfen auf Wolken sitzen. Das absolut Unbekannte, das sich jenseits jeglicher menschlicher Erfahrung und Realität befindet, lässt sich in der Theorie nicht ausmalen, weil Menschen dazu nur Bausteine verwenden können, die sie kennen: „Und wir kennen nur ein Leben mit sterbenden Zellen.“

Der Moment des Sterbens

„Es gibt einen Bruch“, sagt Stuberg. „Man sucht dabei natürlich eine Kontinuität.“ Es gebe die Vorstellung, dass das diesseitige Leben eine Verlängerung nach dem Tod erfahre. „Aber dazwischen ist ein Punkt der Verwandlung. Und der ist ein Mythos.“ Laut Bibel gebe es eine Phase, „in der man das Leben wägt. Wie hast Du gelebt? Welche Spuren hinterlässt Du?“ Dieser Punkt entspreche in erstaunlicher Weise den Berichten über Nahtoderfahrungen, „wo Leute sagen, sie sahen ihr ganzes Leben wie einen Film an sich vorbeiziehen“. Das Neue Testament biete aber eine „tröstliche Aussage: Selbst, wenn Du den Geboten Gottes und Deinen Mitmenschen nicht entsprochen hast, kommt einer und setzt sich für Dich ein: Christus.“

Angst vor dem Tod?

„Die Angst tritt in den Hintergrund“, sagt der Superintendent über sein eigenes Empfinden, „weil ich mir nicht vorstellen kann, dass Gott, der alles so gut geschaffen hat, einem dann auf einmal irgendeine heftige Quittung präsentiert.“ Auch vor der Aussicht auf Langweile fürchtet Stuberg sich nicht, „weil man sich dafür seiner Zeit bewusst sein muss. Das Jenseits ist wohl eher ohne Raum und Zeit. Aber da bin ich sehr vorsichtig“; schließlich sind auch Raum und Zeit diesseitige Konzepte. Und „ich will auch niemandem mit Fegefeuerszenarien und Höllengrusicals Angst machen.“ Dergleichen sei im Mittelalter verbreitet gewesen, besonders plastisch eingefangen auch in der Renaissance in den Schreckensvisionen von Hieronymus Bosch. „Mit einer klaren Botschaft: Lebe besser regelkonform.“

Wiedersehen

Eine wesentliche Frage, die die Menschen bewege, sagt Stuberg: „Werde ich meine Lieben wiedersehen?“ Eine recht pointierte Antwort laute: „Ja. Aber nicht nur die.“ Auch an dieser Stelle zeige sich: „Wenn man es fassen will, wird es schwierig, banal oder lächerlich.“

Und alternative Konzepte?

„Ich glaube, der Anteil derer, die sagen, nach dem Tod sei ein für allemal Schluss, ist gar nicht so gering – und wird größer.“ Darüber hinaus gebe es die Reinkarnationstheorie, der zufolge die Seele verwandelt in einer neuen physischen Gestalt ins Leben zurückkehrt. Die Naturwissenschaft wiederum gehe davon aus „dass Energie nicht verloren geht“ – womit das, was vom Menschen nach dem Tod übrig bleibt, in irgendeiner Form fortbesteht. Allen Ansätzen sei eines gemeinsam: „Man kann es nicht beeinflussen.“ Auch aus dieser Perspektive sei Angst nicht angebracht: Sie bringt einfach nichts.

Bedeutung für das Leben

„Wir müssen uns klarmachen, welche Einzigkeit unser Leben ist; die Unwiederbringlichkeit jedes einzelnen Tages“, sagt Stuberg. Bewusst zu leben sei die – nicht negative – „Kehrseite aller Jenseitsvorstellungen“, nicht nur bezogen auf die eigene Person: „Wie hast Du für andere Menschen Segensspuren hinterlassen?“ Das Weiterleben in der Erinnerung anderer sei einerseits eine Hilfskonstruktion, um die eigene Vergänglichkeit nicht als völligen Verlust des Selbst zu fürchten. Andererseits aber sei es ein reales Phänomen: „Ich hinterlasse, dass mit meinem Namen etwas verbunden wird, was Menschen als wertvoll erachten. Damit liegt in der Interaktion ganz viel Glanz.“ Diese Botschaft habe er auch in seinen 23 Jahren als Pfarrer Hinterbliebenen mitgegeben: Ohne die Gestorbenen „wären wir nicht diejenigen, die wir heute sind“.

Was sollen wir tun?

„Wir stehen immer nur vor dem Vorhang. Und da kann ich nur vertrauen“, betont Stuberg. Für ihn sei, getragen durch seinen Glauben, wichtig, „dass ich mein Leben in den Händen eines anderen weiß“. Die gerade in vergangenen Jahrhunderten weit verbreitete Drohung, dass selbst gute Menschen in der Verdammnis enden, wenn sie nicht gläubig sind, teilt Stuberg nicht. „Das kann ich mir nicht vorstellen. Darüber entscheiden auch nicht wir. Es ist übergriffig, wenn Menschen meinen, sie müssten das entscheiden. Das ist Gottes Angelegenheit“. Und einmal mehr mache die konkrete Jenseitsvorstellung, dass es eine Art Türsteher im Himmel gibt, die Vorstellung banal.

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