Hilchenbach. Seit 2006 gibt es den Begräbniswald auf dem Herrnberg. Hier werden Buchen und Eichen richtig alt.

Frank Zulauf wartet am Sechs-Wege-Kreuz. Dort oben auf dem Herrnberg kleben Markierungen des Hilchenbacher Höhenrings und anderer Rundwege an den Baumstämmen. Und, von den Wegen abgewandt, schwarze Metalltäfelchen mit jeweils sechs Namen in weißer Schrift. Dieser Wald ist ein sieben Hektar großer Friedhof. Am Sechs-Wege-Kreuz steht ein großes Holzkreuz vor Sitzbänken und einem Unterstand, die Andachtstätte des 2006 eröffneten Ruheforstes. Und Frank Zulauf ist Förster. Der Ruheförster in Hilchenbach. Von Anfang an.

„Hier hatten wir schon alle Musikinstrumente, sogar Alphorn und Dudelsack“, sagt Zulauf, „nur noch keinen Flügel.“ Wenn eine Trauerfeier stattfindet, läuten die Glocken der evangelischen Kirche unten am Hilchenbacher Marktplatz bis hier oben hin. Eben um 11, heute Nachmittag um 3 noch einmal. Die Rothaarbahn pfeift. Sie kreuzt auf ihrer Fahrt hinauf zum Schlossbergtunnel den letzten Weg der Verstorbenen, deren Urnen hier in Ruhebiotopen beigesetzt werden, je zwölf, je einen Meter tief in 50 Quadratmeter großen Bereichen rund um den Wurzelbereich einer von derzeit 650 dafür bestimmten Eichen und Buchen.

Frank Zulauf ist seit 2006 Ruheförster in Hilchenbach.
Frank Zulauf ist seit 2006 Ruheförster in Hilchenbach. © Steffen Schwab


Fakten: Alle 14 Tage bis drei Wochen bietet Frank Zulauf Führungen durch den Ruheforst an. Bei Auswahlterminen versucht er, Wünsche nach Bestattungsplätzen herauszufinden und zu erfüllen: Am Weg oder lieber abgelegen? Eiche oder Buche? Junger Baum, alter Baum? Der Hilchenbacher Ruheforst, formal ein kommunaler Friedhof, hat einen Einzugsbereich weit über das Stadtgebiet hinaus, bis nach Netphen, Olpe und Lennestadt.

Dimensionen, die beruhigen

Ganz weit ab vom Weg steht eine dunkel gekleidete Frau in der Nähe eines Baumes. Frank Zulauf kennt die Menschen, die die Gräber besuchen, über denen sich der Waldboden längst wieder geschlossen hat. Manche kommen zu Jahrestagen, andere öfter. Manche zum ersten Mal – die App navigiert sie zu dem nummerierten Baum. Und einige kommen an einen leeren Platz: Den sie für sich selbst gekauft haben, vielleicht auch komplett für Freunde und Familien. 99 Jahre lang, also über zwei bis drei Generationen, können dort bis zu zwölf Urnen beigesetzt werden. Solche Dimensionen beruhigen, weiß Frank Zulauf: „Nicht nur Menschen entwickeln sich in Generationen“, sagt er, „sondern auch der Wald.“ Und weil in diesem Wald niemand mehr mit dem Holzverkauf Geld verdienen muss, „kann eine gesunde Buche auch 250 Jahre alt werden.“ Zwei bis drei Menschenleben sind das.
Fakten: Gejagt wird in diesem Revier nicht – auch das unterscheidet diesen Wald von jedem anderen. Als Friedhof ist er „befriedeter Bezirk“. Frank Zulauf: Es kann schon sein, dass mal ein Reh über die Fläche läuft.“

Zahlen, die es nicht geben soll

Oben in einer Baumkrone hat sich ein weißer Luftballon verfangen. Von der wievielten Beerdigung der wohl gewesen sein mag? „Die Frage kommt immer wieder“, sagt Frank Zulauf. Und erklärt, warum er sie nicht beantwortet: Jeder Mensch, jede Beisetzung, jede Grabstätte ist einmalig. Weil sie das auch in den Köpfen der Ruheförster bleiben soll, nimmt Frank Zulauf solche Zahlen gar nicht erst zur Kenntnis: „Die laufen irgendwo in der EDV mit.“

Baumbestattungen im Siegerland

Einen weiteren Begräbniswald gibt es in Siegen. Die Stadt selbst betreibt einen Friedhofswald oberhalb des Hermelsbacher Friedhofs. Ausgewählt wurde dafür ein Rotbuchenbestand. Die Stadt bietet auch an, auf einer Waldwiese einen neuen Baum zu pflanzen.

Die Gemeinde Burbach hat auf einer Wiese auf dem Friedhof Holzhausen Bäume angepflanzt. Dort wächst ein neuer Bestattungswald.

Die Stadt Kreuztal ermöglicht Baumbestattungen auf dem Friedhof in Eichen. Die Ruhezeit dort ist allerdings – wie für Urnengräber in anderen Bereichen der Friedhöfe – auf 20 Jahre begrenzt.

Die Stadt Freudenberg bietet auf allen Friedhöfen Urnen-Baumfeld-Bestattungen für bis zu vier Urnen an, bei Erwerb zu Lebzeiten mit 40-, sonst 20-jähriger Nutzungszeit.

Baumbestattungen werden un

Fest steht aber: In der dunklen Jahreszeit wird mehr gestorben, in manchen Wochen finden bis zu 20 Beisetzungen statt. Der Blick fällt auf einen Baumstamm, auf dem Spuren eines Herzens aus Moos liegen. Der Förster schaut auf das Täfelchen an dem Baum mit der dreistelligen Nummer: Ein Kind hat an den Geburtstag seines Vaters gedacht. „Das ist auch für mich eine besondere Stelle.“
Fakten: Der Ruheforst duldet keinen Blumenschmuck. Der Abfall von Dekorationen ist nicht erwünscht, der Samen der Blüten stört den Wald.

Gespräche, die unter die Haut gehen

„Das war etwas Neues“, sagt Frank Zulauf, der ganz normaler Förster gewesen ist, bevor er in diesen besonderen Wald wechselte, auf den er nur aufpassen, den er nur pflegen muss und den er nicht verändern soll. Ja, sagt Frank Zulauf, das ist immer noch ein besonderes Gefühl, mit jemandem durch den Wald zu gehen, der sich sein eigenes Grab aussucht — das er, todgeweiht, auch schon bald benötigt. Oft sind es die Besucher selbst, die die Beklommenheit vertreiben. Sie suchen schließlich nicht in erster Linie ein pflegeleichtes Grab. „Sondern den Wald.“ Der noch da sein wird, wenn sich an sie niemand mehr erinnert. Die Hilchenbacher Glocken läuten. Die Rothaarbahn pfeift.