Siegen. . Die Darstellung des Todes in der Kunst hat sich im Laufe der Jahrhunderte deutlich verändert. Prof. Ursula Blanchebarbe gibt einen Überblick:

Der Bergmann tritt aus der Dunkelheit. Mit der rechten Hand schützt er die Augen vor dem Sonnenlicht, mit der linken hält er sich am Stolleneingang fest. Er wirkt benommen, unsicher, als betrete er unbekanntes Terrain.

Symbole

„Das hat Auferstehungscharakter“, sagt Prof. Ursula Blanchebarbe, Leiterin des Siegerlandmuseums, über den Bergmann und seinen ursprünglichen Kontext. Heute steht die Bronzefigur des Künstlers August Hagen am Eingang des Schaubergwerks im Oberen Schloss. Ursprünglich war ihr Platz aber am Gruftenweg auf dem Siegener Lindenbergfriedhof, am Grabmal der Familie Marx. Der Bergwerksdirektor Friedrich Marx hatte die Grabstätte wie einen Stolleneingang gestalten lassen, und der Bergmann kann als Symbol gesehen werden: Für den Menschen, der aus dem Dunkel des Todes kommt, ein Tor durchschreitet und wieder ins Licht tritt.

Der Bergmann von August Hagen stand einst auf der Grabstätte der Familie Marx am Gruftenweg. Dort verließ er einen dunkeln Stollen und trat ins Licht: Eine Auferstehungssymbolik. Heute steht die Figur am Eingang zum Schaubergwerk im Oberen Schloss.
Der Bergmann von August Hagen stand einst auf der Grabstätte der Familie Marx am Gruftenweg. Dort verließ er einen dunkeln Stollen und trat ins Licht: Eine Auferstehungssymbolik. Heute steht die Figur am Eingang zum Schaubergwerk im Oberen Schloss. © Florian Adam

Ureigenes

Der Tod ist eines der Grundthemen der Kunst, seit die ersten Männer und Frauen mit den Fingern an Höhlenwände malten. „Das ist tief in uns verankert“, sagt Blanchebarbe; wobei die Art, wie der Tod dargestellt wird, sich veränderte. Bei den Siegerländer Künstlern übrigens findet sich dazu in der Malerei erstaunlich wenig, „die beschäftigten sich eher mit Landschaften“.

Friedhöfe

Aber in der Skulptur findet sich einiges, beispielsweise diverse Arbeiten am Gruftenweg und auf dem Lindenbergfriedhof insgesamt. Und es waren nicht immer Figuren: Auch Relief-Grabplatten mit Porträts waren verbreitet. Der Siegener Bildhauer Friedrich Reusch etwa gestaltete viele Gräber, nicht nur in seiner Geburtsstadt.

Kirche

Die Kunstgeschichte war lange durch die Kirche geprägt, die die Themen vorgab. „Die Macht der Kirche war groß“, sagt Blanchebarbe. Es gebe allein für die Passion Christi als Motiv „unzählige Beispiele“. Eines sei die Kreuzabnahme von Peter Paul Rubens, entstanden um 1600 und als Leihgabe im Siegerlandmuseum ausgestellt. „Es könnte sogar das allererste bekannte Ölgemälde von Rubens sein“, sagt die Museumschefin. „Wobei ich bei der Kreuzabnahme nicht unbedingt an Tod und Sterben denke.“ Laut Biel ging die Geschichte schließlich anders aus – aber natürlich ist der Tod in solchen Darstellungen präsent. Die Expertin weist aber noch auf eine Besonderheit hin: Im Mittelalter sei Christus oft als der geschundene Mensch gezeigt worden. Nach der Reformation wurden die Darstellungen eher ästhetisiert.

Pragmatik

Sterben als Bildmotiv konnte aber auch eine Funktion erfüllen. Ein Beispiel dafür, so Blanchebarbe, sei die Sterbeszene von Friedrich Heinrich von Oranien. Der Kupferstich eines unbekannten Künstlers aus dem 17. Jahrhundert zeigt den Statthalter der Niederlande auf dem Sterbebett, umringt von einer großen Schar von Würdenträgern, dem Schwiegersohn, seinem Hund (weit im Vordergrund) und wenigen weiblichen Angehörigen (weit im Hintergrund). Solche Auftragsarbeiten „waren gang und gäbe“, erklärt Blanchebarbe, „auch um zu zeigen, dass es einen neuen Herrscher gibt.“ In solchen Werken war die Darstellung des Todes eher pragmatisch als spirituell motiviert. Und es ging auch darum, den eigenen Status zu kommunizieren: Zum Ausdruck gebracht durch den Rang und die Anzahl der Personen, die sich für die Sterbeszene auf dem Bild versammelten.

Idealisierung

In der kirchlich geprägten Kunstwelt, in der auch Märtyrer wie der heilige Sebastian häufige Motive sind, ist die Sicht auf Tod und Sterben vielfach verklärt. Eine inhaltliche Ausweitung stellt sich mit dem Entstehen des Bürgertums ein; einer Klasse nicht adeliger Menschen, die – zunächst vornehmlich in den Städten – zu Geld kommen und sich Gemälde nicht nur leisten, sondern diese auch nach eigenen Vorstellungen in Auftrag geben können. Idealisierung und Selbsterhöhung bleiben wesentliche Triebfedern. Ähnliches gilt lange auch für Kriegsdarstellungen, die bis ins 19. Jahrhundert das Geschehen auf den Schlachtfeldern sehr abgemildert darstellen – glorifiziert, als pompöse Aufmärsche von heroischen Akteuren in schmucken Rüstungen und Uniformen.

Andere Zeiten – andere Sicht

In früheren Zeiten „war der Zugang zum Tod ein ganz anderer“, sagt Prof. Ursula Blanchebarbe: hohe Kindersterblichkeit, geringere Lebenserwartung und eine Kultur, in der Menschen meist zu Hause im Kreise der Familie starben. Dass das Sterben an sich aus dem Alltagsleben ausgegliedert wurde – vor allem natürlich in Krankenhäuser, schließlich auch in Hospize – ist eine relativ neue Entwicklung.

Auf die Kunstwerke vergangener Epochen „haben wir den Blickwinkel aus heutiger Sicht“, betont Blanchebarbe. Es sei mehr als einen Gedanken wert, sich vorzustellen, „was das früher für eine Wirkung auf Menschen hatte“.

Gerade Sakralbauten, Kathe­dralen, Heiligenbilder, in der Gotik dann die aufwendigen bunten Fenster dürften auf viele Betrachter noch weit überwältigender gewirkt haben, als sie es heutzutage tun.

Zeitloses

„Extrem wird es erst bei Goya – fast dokumentarisch“, sagt Blanchebarbe. Die teilweise albtraumhaften Szenarien des spanischen Malers und Grafikers Francisco de Goya (1746 – 1828) haben allerdings einen Sonderstatus in der Geschichte, weil sie selbst aus moderner Perspektive verstörend wirken – eine Art zeitlosen Grauens auf Leinwand.

Neue Grenzen

Einen endgültigen Bruch in der Darstellung von Tod und Sterben markiert der Erste Weltkrieg. Die Frontbilder von Otto Dix, seine Schreckensvisionen aus den Schützengräben, die verzerrten Fratzen der Sterbenden, die anonymisiert-entmenschlichten Soldaten mit den Gasmasken fangen das Entsetzliche in einer neuen Dimension ein. Nach 1918 war nichts mehr wie zuvor, auch nicht in der Kunst. Das ebnete den Weg zu einer Gegenwart, in der nahezu alles als darstellbar gilt – und in der die Kunst ihre Aufgabe auch darin sieht, die Grenze des Darstellbaren weiter auszudehnen.