Siegen. . Mangel an bezahlbarem Wohnraum: Seit 1985 ist die Zahl an Sozialwohnungen in Siegen um fast 70 Prozent zurückgegangen.
Die Zahl der Sozialwohnungen ist in Siegen innerhalb von rund 30 Jahren um fast 70 Prozent gesunken. Gab es 1985 insgesamt 8714 Sozialwohnungen im Stadtgebiet, waren es 2017 noch 2853: 5861 – oder rund 67,3 Prozent – weniger. Das legte Diana Brixius von der städtischen Fachstelle für Wohnungsnotfälle im Ausschuss für Soziales, Familien- und Seniorenfragen dar. Bis 2030 werde die Zahl ohne weitere Neubauten um weitere 40 Prozent sinken, prognostizierte die Expertin. Der Mangel an so genanntem bezahlbarem Wohnraum ist vor allem für Menschen mit geringen und mittleren Einkommen ein zunehmend drängendes Problem.
Wie können Sozialwohnungen überhaupt verschwinden?
Die Wohnungen an sich verschwinden in aller Regel nicht – sofern nicht ausgerechnet die Abrissbirne zum Einsatz kommt. Was aber verschwindet, ist die Zweckbindung. Die Auflagen für mit öffentlichen Fördermitteln errichtete Wohngebäude gelten nicht unbegrenzt. Bei Sozialwohnungen lässt sich zwar festlegen, dass die Miete einen vorgegebenen Quadratmeterpreis nicht überschreiten darf – beziehungsweise dass nur Menschen mit Wohnberechtigungsschein als Mieter zugelassen sind. Läuft eine solche Frist aber nach zehn, 20 oder 30 Jahren aus, können die Eigentümer selbst entscheiden, welche Zielgruppe sie im Haus haben möchten. „Wenn solche Wohnungen einmal vom Markt sind, haben wir das Problem, dass wir keine neuen kriegen“, sagt Diana Brixius.
Warum ändern so viele Eigentümer das Konzept ihrer Immobilien nach Ablauf der Zweckbindung?
Ganz einfach: Weil es viel lukrativer ist. Ehemalige Sozialbauten lassen sich spätestens nach einer Sanierung zu deutlich höheren Quadratmeterpreisen wieder vermieten. Geringverdiener, erst recht Hartz-IV-Empfänger, sind damit aus dem Rennen. Auch Imageeffekte spielen eine Rolle: Wenn Objekte oder Quartiere im Ruf stehen, hauptsächlich von Menschen mit bescheidenen finanziellen Mitteln bewohnt zu werden, verlieren viele Besserverdienende das Interesse daran. Und wenn die Nachfrage dieser Klientel sinkt, fallen auch die Mieten, die die Eigentümer verlangen können.
Experten helfen in Notfällen
Die Fachstelle für Wohnungsnotfälle der Stadt Siegen hilft laut Homepage „bei drohendem Wohnungsverlust“ – etwa bei Mietrückständen, Kündigung oder Räumungsklage – und „bei bestehender Wohnungslosigkeit“.
Das Team unterstützt Betroffenen unter anderem bei Behördengängen, Verhandlungen mit Vermietern und Rechtsanwälten und durch Vermittlung zu anderen sozialen Diensten.
In Notfällen versorgt die Fachstelle Betroffene auch kurzfristig mit einer Unterkunft.
Werden denn keine neuen Sozialwohnungen gebaut?
Doch. Aber relativ wenige. Von 2007 bis 2017 sind nach Angaben von Diana Brixius im gesamten Siegener Stadtgebiet nur 167 Sozialwohnungen neu gebaut worden. Das ist kein Siegener Phänomen, sonder deutschlandweit zu beobachten. Für private Unternehmer ist es wesentlich attraktiver, hochpreisigen Wohnraum zu schaffen, weil sich damit mehr verdienen lässt und auch in diesem Segment die Nachfrage ungebrochen ist. Zudem argumentiert die Baubranche oft, dass das Verhältnis aus Fördermitteln, Zweckbindung und maximalen Mietpreisen mittlerweile wirtschaftlich gar nicht mehr darstellbar sei.
Was machen Politik und Verwaltung?
Das Problem ist erkannt. Die Stadt Siegen ließ im Jahr 2014 ein Wohnbaukonzept erstellen, das auch eine Analyse der Situation enthält. Darüber hinaus wird der Verkauf von städtischen Baugrundstücken seit 2017 an die Auflage geknüpft, dort (auch) preisgebundene Mietwohnungen zu errichten. Anders als in der Vergangenheit werden dabei allerdings gemischte Quoten angestrebt: Um die Entstehung sozialer Brennpunkte zu vermeiden und eine möglichst heterogene Mieterschaft zu erzielen, soll jeweils nur ein Teil der Einheiten als Sozialwohnungen, die übrigen auf dem freien Markt angeboten werden. Die Stadt kann solche Bedingungen allerdings nur an den Verkauf ihrer eigenen Grundstücke knüpfen. Und da sie selbst nicht als Bauherrin von Wohnbauprojekten auftritt, sind ihre Einflussmöglichkeiten damit relativ begrenzt.
Im politische Diskurs weist vor allem die Linke im Rat und seinen Ausschüssen seit Jahren immer wieder mit Nachdruck auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum hin. Auch in anderen Fraktionen wird das Problem klar benannt. Die Ausführungen von Diana Brixius „zeigen, wie verfehlt unsere Wohnungsbaupolitik in den letzten Jahren war“, sagte Christiane Luke (Grüne) im Sozialausschuss. Der Trend setze sich dennoch fort – Luke verwies auf das Johann-Moritz-Quartier, das an der Bahnhofstraße errichtet werden soll: Auch dort entstünden wieder „hochwertige Wohnungen für gut verdienende Leute“.
Gerade in attraktiven Lagen wie der Innenstadt gäbe es zunehmend Wohnbereiche, die nur finanziell gut gestellten Menschen vorbehalten seien, fand auch Günther Langer (UWG): „Wir bauen Luxus – und verdrängen die kleinen Einkommen.“
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