Siegen. . „Goethes sämtliche Werke…leicht gekürzt“ werden im Apollo Theater durch die Kunst von drei Hamburger Schauspielern zum Gag-Gewitter.
Im August 1831 besteigt der schon altersschwache Johann Wolfgang von Goethe in Begleitung seines Vertrauten Eckermann noch einmal den Kickelhahn, einen Aussichtsberg in der Nähe von Ilmenau. Dort hat er 50 Jahre vorher eines seiner vielen Gedichte geschrieben: „Über allen Gipfeln ist Ruh.“ Er begegnet seinem jungen Ich und rezitiert mit altersschwacher Stimme noch einmal diesen Text, der einer der bekanntesten des Dichterfürsten geworden ist.
Es ist die erste Szene eines fulminanten Abends voller intelligenter Ideen und Wortkaskaden, mit denen Kristian Bader, Jan Christof Scheibe und Michael Ehnert vom Altonaer Theater einige Lebensabschnitte und Werke des Universalgenies Goethe auf die Bühne bringen. Denn es kann nur eine Auswahl von all dem sein, was er in seinem langen Leben von 82 Jahren zu Papier gebracht hat. Darunter etwa 15.000 Briefe, 1700 davon an seine (fast) ewige Liebe Charlotte von Stein.
Wenn man nur die Titel seiner vielen Gedichte hintereinander aufsagt, braucht ein Schnellsprecher 98 Minuten. „Das schafft nicht einmal Ina Müller“, erfahren die Zuschauer im sehr gut gefüllten Apollo. Und der Abend wäre sicherlich ausverkauft gewesen, wenn mehr Theaterfreunde gewusst hätten, welches herrliche Vergnügen sie erwartet hätte. Denn nach dem nachdenklichen, leicht melancholischen Beginn auf dem Kickelhahn entledigen sich die Schauspieler ihrer Kostüme aus der damaligen Zeit und legen einen Goejde-Rap auf die Theaterbretter, der sich gewaschen hat.
Blick zurück in die Kindheit
Natürlich erfährt man einiges über die Kindheit des jungen Goethe, der im Bildungsbürgertum Frankfurts aufwuchs, sechs Sprachen erlernt hat und seine erste berufliche Station am Weimarer Hof des Herzogs Karl-August fand. Einem Lebemann, der fast 40 eheliche, vor allem aber uneheliche Kinder hatte. Im Grunde war Goethe dort „Mädchen für alles“, für den Bergbau ebenso zuständig wie als Kriegsberichterstatter und natürlich auch für das Weimarer Theater.
Die Altonaer Theaterkünstler schleppen immer wieder große, schwere Holzkisten nach vorne, die gleichzeitig als Bühnenbild fungieren, öffnen sie und haben damit auch bildlich ein neues Thema. Dass dabei immer wieder Frauen im Mittelpunkt stehen, wen wundert es. Etwa Adelheid von Waldorf, eine Rolle im „Götz von Berlichingen“, Goethes erstem Theatererfolg. Man sagt, er habe sich in diese Kunstfigur („Eine Mischung aus Ursula von der Leyen, Heidi Klum und Frauke Petry“) während des Schreibens verliebt. Dagegen haben „Die Leiden des jungen Werther“, die er in nur drei Wochen schrieb, vermutlich reale autobiografische Bezüge. Eine der Kisten wird nur kurz geöffnet: Die Schillerkiste. Die saftigen Theaterstücke von Goethes Weimarer Freund hätten sicher seinem Schreiben etwas mehr Schwung und Lebensfreude gegeben.
Manche Szene würde auch in jedem Großstadtkabarett Stürme der Begeisterung hervorrufen. Etwa Marcel Reich-Ranickis Komplettverriss nach dem Vorbild „Literarisches Quartett“ oder auch Goethes Italienreise „mit einem VW-Diesel“ mit einer kleinen Prise Winterkorn. Und zum Schreien doof und damit wieder genial gerät der Austausch der Verlobungsringe mit Christiane Vulpius. Sie „Der ist von Herder.“ Goethe: „Der ist doch Philosoph.“ Sie: „Ich meine Herder Ringe.“
„Faust“ kommt nur kurz vor
Das Theaterstück, das am meisten mit Goethe in Verbindung gebracht wird, an dem er 50 Jahre geschrieben, aber es nicht einmal auf der Bühne gesehen hat, nämlich „Faust“, kommt nur mit einem Satz vor: „Verweile doch, du bist so schön.“ Dafür das Eingangsgedicht gleich zweimal. Und das endet mit „… warte nur, balde ruhest du auch.“ Denn wenige Monate später stirbt Johann Wolfgang von Goethe. Die begeisterten Ovationen im Stehen haben sich die drei Schauspieler mehr als verdient.