Müsen. . Hilchenbach lernt, was Friedhofskultur für die Gegenwart bedeutet und was die Vergangenheit lehrt. Ein Rundgang mit dem Experten:

Die Bank wirkt ein bisschen verloren auf der Wiese zwischen den Gräbern, das Bäumchen ein bisschen zu klein. Für Ulrich Bensberg zählt der Gedanke: Der Friedhof, sagt der 68-jährige Tischlermeister und Bestatter, ist ein sozialer Ort. Ein Ort zum Hingehen, Verweilen, Erinnern. Ein Ort, der in die Mitte des Lebens gehört. So, wie das jemand auf einem der Grabsteine auf einem Wiesengrab ausgedrückt hat: „Du bist und du bleibst.“ Ein Ort, der mitten ins Leben und in jedes Dorf gehört. Wie die Feuerwehr. Und der Turnverein. Ein Rundgang.

Wiesengräber

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Man sieht dem Müsener Friedhof auf der Höh nicht an, dass er schon 1878 eröffnet wurde. Jedenfalls nicht auf Anhieb. Die Friedhofshalle ließ die Gemeinde Müsen noch 1968 vor ihrer Eingemeindung bauen, den neuen Glockenturm spendierte die Stadt Hilchenbach 2005.

Bis zu vier Urnen werden in einem Wiesengrab beigesetzt.
Bis zu vier Urnen werden in einem Wiesengrab beigesetzt. © Steffen Schwab

Direkt vor der Kapelle sind Gräber, die nur hier und da durch ein dorthin gestelltes Grablicht erkennbar sind – anonyme Beisetzungen. Auf der großen Wiese daneben, da wo auch die Bank aufgestellt wurde: ein Grab neben dem anderen, das erst auf den zweiten Blick erkennbar ist. Pflegeleichte Wiesengräber, mit flachen Namensplatten abgedeckt. Hier und da ragt ein Grabstein empor. Was wie ein Schritt zurück aussieht, ist eine Errungenschaft des städtischen Friedhofs-Arbeitskreises, in dem Vertreter von Politik und Verwaltung zusammenarbeiten: „Wir wollen, dass Verstorbene und ihre Geschichte wahrgenommen werden“, sagt Ulrich Bensberg, der die UWG im Hilchenbacher Rat vertritt.

Gräberverwandlung

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Erinnerung hin, pflegeleicht her: Bensberg führt zu den Spuren des Dilemmas. Das Grab von Günter Nockemann, dem vor nunmehr 38 Jahren gestorbenen Bäckermeister, müsste es eigentlich nicht mehr geben. Die Müsener haben den Grabstein stehen lassen. Woanders sollte das auch möglich sein, so früh wie nötig. Ulrich Bensberg hat die Idee, den Rückbau von Wahl- zu Wiesengräbern zu ermöglichen und von der Grabfläche dann nur noch einen bepflanzbaren Streifen vor dem Grabstein übrig zu lassen, „und wenn es nur ein halber Quadratmeter ist“. Über einen überschaubaren Zeitraum ein Grab pflegen können, ohne das 30 Jahre tun zu müssen: Das wäre eine Alternative, klassische Bestattungsformen über die Zeiten zu retten.

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Ulrich Bensberg führt an ein altes Ende des Müsener Friedhofs, in dem Jahr für Jahr um die 40 Verstorbene beigesetzt werden: Das große Familiengrab dort hinten, erzählt er, ist jedes Jahr Ort eines Familientreffens. Die letzte Anlaufstelle in Müsen, die die weit verstreut lebende Verwandtschaft noch hat. Wie ein Obelisk steht daneben der Grabstein des Königlichen Geheimen Bergrats Johann Ernst Wilhelm Schmidt, 1812 bis 1906, und der „Frau Geheimrat Schmidt“, Ururenkelin von Johann Ebert Jung, des Großvaters von Jung-Stilling. Unweit davon eine Inschrift, die an den Lederfabrikanten Hermann August Wurmbach erinnert, der von 1872 bis 1911 lebte. Weiter vorn die Setzers, die Siepers, die Bensbergs. Der Friedhof erzählt Ortsgeschichte. Deshalb, fordert Ulrich Bensberg, „muss man Gräber erhalten, die einmal geschichtsträchtig werden.“ Vorausgesetzt, sie werden überhaupt erst angelegt.

Das kleinste Grab

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Je ein Wiesengrab nimmt zwei Särge oder vier Urnen auf. Das Wiesengrab für nur eine Urne ist eine neue Hilchenbacher Erfindung. Ohne das Holzkreuz wäre dieses Grab fast unsichtbar: Es ist nicht größer als die Namensplatte, die nach Entfernung des Kreuzes übrig bleibt. Für immer sichtbar aber bleibt es durch das Lebensbäumchen, das auf ihm gepflanzt wird.

„Frau Geheimrat“ war mit Jung-Stilling verwandt.
„Frau Geheimrat“ war mit Jung-Stilling verwandt. © Steffen Schwab

Friedhofspark

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Oben an der Hecke ein einzelnes Wiesengrab: Ein Wahlgrab, das man sich anderswo nur kaufen kann, wenn man sich für eine klassische Beisetzungsform entscheidet. Dass es so abgelegen ist, hat praktische Gründe, die Grabstätte muss für schweres Gerät erreichbar bleiben, weil die zweite Beisetzung durchaus erst viele Jahrzehnte später erfolgt. Schöner fände Ulrich Bensberg ein Feld mit Wahlgräbern für alle: an einem Rundweg in einem Friedhofspark, wo Einzel-, Doppel-, Sarg-, Urnen- und Wiesengräber nebeneinander Platz fänden. „Menschen, die im Leben zusammen waren, könnten auch hier zusammen bleiben.“ Freundeskreis-Felder kennt die Friedhofssatzung noch nicht. Das hat der privat betriebene Bestattungswald mit seinen Freundeskreis-Bäumen voraus. Nur: Der Wald ist nicht so leicht erreichbar, gibt Bensberg zu bedenken. „Manche merken das zu spät.“

Trauerfeiern

Oder: Was für Öffentlichkeit spricht

Zurück Richtung Tor. Die Wege zwischen den neun Reihengräbern sind breiter angelegt worden, rollatorgerecht, auch das auf Initiative des Friedhofs-Arbeitskreises. An einem Grab liegen frische Kränze. Das war eine große Beerdigung, berichtet Ulrich Bensberg, wie noch sehr viele hier in Müsen. Der Bestatter hält nichts von der Privatisierung des Beisetzens: „Es geht auch um die Überlebenden“, sagt er, „um das Erhalten sozialer Kontakte.“ Auch deshalb wirbt er für die Trauerfeier in der Kapelle auf dem Friedhof, nicht im privaten Andachtsraum des Beerdigungsinstituts. „Jeder soll daran teilnehmen können. Jeder muss Gelegenheit haben, sich gedanklich mit Menschen zu verbinden, mit denen er im Leben vielleicht nicht mehr ins Reine gekommen ist.“ Weil er davon so überzeugt ist, hat Ulrich Bensberg selbst dafür gesorgt, dass die Lebenden mit Blick auf die Gräber verweilen können. Als der Sturm den kleinen Fichtenwald vor dem Tor umgeblasen hat, hat er selbst den kleinen Park mit der Eiche und der Bank um den Stamm angelegt. Man kann auf den Friedhof schauen. Auf die Höh. In die Winterbach. Auf die Kirche. Ins Dorf. Es gehört alles zusammen.

Im Bekanntmachungskasten neben der Kapelle sind die Gebühren angeschlagen. Und die Namen der Gräber, die bald eingeebnet werden, die meisten nach Ablauf der Ruhezeit, nur zwei, weil sie niemand mehr pflegt.

Ulrich Bensberg.
Ulrich Bensberg. © Steffen Schwab

Begegnungspark

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Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Für Ulrich Bensberg, dessen Familie in der fünften Generation Müsener auf ihren letzten Wegen begleitet, gehört der alte Friedhof am Ende der Poststraße dazu, der 1770 angelegte „Todtenhof“ mit dem Ehrenmal und den Namen der Kriegstoten. „Von den Millionen hat jeder einen Namen.“ Unter den Müsener Opfern des Ersten Weltkriegs ist auch Ludwig Bensberg, „ein Bruder meines Großvaters“. Auf der Skulptur, die einem Sarkophag nachempfunden ist, fällt ein einziger weibliche Vorname auf. Eva Maria lebte von 1939 bis 1945. „Im Krieg geboren, im Krieg gestorben.“ Ulrich Bensberg könnte sich vorstellen, dass dieser Friedhof ein Begegnungspark wird.

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