Siegen-Wittgenstein/Olpe. . Kommunen und Einzelhandel in Siegen-Wittgenstein und Olpe können Erhebung nutzen, um Prozesse anzustoßen. Keine Konkurrenz zwischen den Städten.

Wie lässt sich die Attraktivität in den Innenstädten steigern, der Einzelhandel stärken? Die Industrie- und Handelskammer Siegen hat dazu eine umfassende Studie in Auftrag gegeben, die den Kommunen in den beiden Kreisen der Kammer mögliche Handlungsfelder aufzeigen kann. In 18 Städten und Gemeinden wurden die Bürger zu ihrem Einkaufsverhalten befragt; was sie wo kaufen, wo sie dazu hinfahren, wieviel Geld sie ausgeben.

 
  © IHK Siegen

„Der Einzelhandel ist der Hauptfaktor für attraktive Zentren“, sagt IHK-Vizepräsident Jost Schneider. Bei Waren des täglichen Bedarfs sind die Menschen überall in der Region weitgehend zufrieden mit der Situation in ihrer eigenen Stadt. Darüber hinaus ist das Angebot eher unattraktiv, so ein Fazit von Prof. Hanna Schramm-Klein, die die Studie erstellt hat.

Verfahren

Die gut zweimonatige Befragung war enorm aufwendig: Im Zentrum einer jeden der 18 Städte wurden Bürger zu ihren subjektiven Einschätzungen befragt, wie sie ihr Zentrum sehen. Das betrifft Anwohner und Passanten, also auch die, die nicht vor Ort wohnen. 4602 Befragte waren es insgesamt (1,29 Prozent der Bevölkerung), 2313 Anwohner und 2289 Passanten, analog zur Bevölkerungszahl.

In Siegen wurden die Daten in den Zentren der Bezirke Mitte, Weidenau, Geisweid, Eiserfeld, Niederschelden und Kaan-Marienborn erhoben. Bezogen auf die Landkreise ist die Studie repräsentativ, in den Kommunen liegt die statistische Signifikanz bei 90 Prozent. Finanziell unterstützt haben die Studie die Sparkassen und Volksbanken.

 
  © Jan Hendrik Schulz

Ziele

Die Vollversammlung der IHK Siegen hat die Geschäftsführung mit der Studie beauftragt, weil der Einzelhandel, zentrales Betätigungsfeld der Kammer, in Zeiten zunehmenden Onlinehandels immer mehr Probleme hat. „Wir möchten die Kommunen unterstützen im Wettbewerb der Regionen“, sagt Vizepräsident Schneider. Langfristiges Ziel, ebenso simpel wie herausfordernd: Die Innenstädte attraktiver machen.

Erkenntnisse

1. Das Kaufverhalten zwischen Stadt und Land unterscheidet sich praktisch nicht. Tendenziell sind Innenstadt-Bewohner etwas weniger onlineaffin als die, die außerhalb wohnen. Neben dem Einkaufen als wichtigstem Faktor für Innenstadtbesuche werden Arztbesuche und Behördengänge erledigt, man trifft Freunde, geht ins Kino, zu Konzerten oder Essen. Wichtig neben der Produktpalette sind die Erreichbarkeit mit dem Auto, Sicherheit, Sauberkeit, die Architektur, Grünanlagen (siehe Grafik). All dies trägt dazu bei, die Einstellung der Menschen zu ihrem Zentrum zu prägen. „Generelles Ambiente“ und „Lebendigkeit“ sind diese Komponenten in der Studie benannt.

 
 

2. Die Großstadt Siegen steht nicht in Konkurrenz mit den kleinen und mittleren Städten der Region, sondern zu anderen Großstädten. Siegen liegt mit 43,9 Prozent der „Einkaufseinpendler“ aus den beiden Kreisen zwar an der Spitze, aber auch Köln und Dortmund sind beliebte Ziele. Entscheidend für die Fahrt in eine andere Stadt ist weniger deren Attraktivität (33 Prozent), sondern vielmehr die Produktauswahl (72,8 Prozent). „An eine Großstadt werden andere Maßstäbe und Erwartungen gesetzt“, so Hanna Schramm-Klein.

3. Internetkäufe finden nicht (nur) statt, weil Städte unattraktiv sind, sondern auf Grund der hohen Zentralität des Internets. Das ist die schlechte Nachricht: Gegen den Onlinehandel ist kein Kraut gewachsen – könnte man schlussfolgern. Städte haben nur Einfluss darauf, ob hier oder woanders gekauft wird, aber nicht, ob sich der Anteil der Internetkäufe verringert, egal wie attraktiv sie sind. Aber: Attraktive Innenstädte sind mehr als nur Einzelhandel. Und umgekehrt: Es geht darum, insgesamt ein positives Umfeld zu schaffen. Ohne Geschäfte weit und breit wären die Siegener Neuen Ufer wenig wert. Der Einzelhandel wiederum profitiert vom attraktiven Aufenthaltsbereich.

4. Alle Verbraucher kaufen gerne in Geschäften – auch die jungen. Das wiederum ist eine gute Nachricht: „Mode ist das wichtigste Profilierungssegment für Innenstädte“, so Hanna Schramm-Kleins Analyse der Befragungsergebnisse. Natürlich ist der Anteil der Online-Käufer unter den 15- bis 24-Jährigen am höchsten. Aber auch sie shoppen am liebsten (mehr als 70 Prozent) im Geschäft vor Ort. Und in allen Altersklassen – Schramm-Klein hat dazu Cluster nach der Einkaufsorientierung der Verbraucher erstellt – gibt es onlineaffine Käufer.

5. Kaufkraft wandert meist nicht die Nachbargemeinde ab, sondern in die nächste größere Stadt. Denn: Dinge des täglichen Bedarfs, Lebensmittel etwa, gibt es überall zufriedenstellend. Für „Ausgefalleneres“ fährt ein Hilchenbacher eher nicht nach Kreuztal, sondern nach Siegen. Oder eben Köln.

6. Das Image einer Innenstadt zu verändern, ist ein langfristiger Prozess. Elementar ist die Einstellung der Menschen zu den Innenstädten, ob ihre verschiedensten Bedürfnisse dort erfüllt werden können. Ob sie den Besuch „ihrer“ Innenstadt Freunden und Bekannten empfehlen können. Diese generelle Einstellung ist eine verfestigte Meinung, „wenn sich das negativ weiter verfestigt, haben wir langfristig ein Problem“, sagt Schramm-Klein. Bauliche Veränderungen vorzunehmen, brauche Zeit. Und noch mehr Zeit werde benötigt, um eine Veränderung in den Köpfen der Menschen herbeizuführen. „Langfristig müssen die Kommunen die ‘Kundenbindung’ der Bürger an ihre Stadt steigern“, so die Professorin.

Akteure

Der Blick in den Spiegel ist nicht immer glanzvoll. Viele Kommunen kommen in vielen Punkten nicht allzu gut weg. Aber es geht darum. das gezielt ändern zu können. „Wir verteilen keine Haltungsnoten, sondern stellen eine Datengrundlage zur Verfügung“, sagt Klaus Gräbener, es gehe nicht um eine Rangfolge, welche Stadt am attraktivsten ist. „Wir wollen Prozesse anstoßen“, so Gräbener. Politischen Gremien und Werbegemeinschaften wird die Studie zur Verfügung gestellt, sie können die Erkenntnisse nutzen, um aktiv zu werden, nachzubessern, eingeschlagene Wege weiter zu verfolgen. Dazu will die IHK auch Veranstaltungen vor Ort durchführen, um die komplexen Ergebnisse für jede Kommune passgenau zugeschnitten einzuordnen.

Mit den 18 Bürgermeistern in Siegen-Wittgenstein und Olpe sind die Kernaussagen besprochen. „Wir sind sehr dankbar für die Studie in ihrer Komplexität“, sagt der Kreuztaler Walter Kiß als Vorsitzender der Siegen-Wittgensteiner Bürgermeisterkonferenz. Durch die Daten und die Vergleichbarkeit mit anderen Kommunen werde deutlich, wo man sich kümmern, an welchen Stellschrauben vor Ort gedreht werden müsse und wo die Region als Ganzes gefragt sei. Es gehe nicht um Konkurrenz, sondern um interkommunale Absprachen und Verbesserungen für die ganze Region.

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