Siegen. . Wachmann und Sozialberater schildern Verhältnisse in der Burbacher Einrichtung aus ihrer Sicht. Erinnerungen nach mehr als vier Jahren dürftig.
Am zweiten Tag des „Burbach-Prozesses gibt es die ersten Einblicke in die dortigen Verhältnisse aus Sicht jener Angeklagten, die sich zu einem Geständnis entschlossen haben, gegen Zusicherung einer günstigeren Strafe. Bevor die beiden Männer das Wort erhalten, deren Einigung mit Staatsanwaltschaft und Gericht bereits am vergangenen Donnerstag bestätigt wurde, kündigt Richterin Elfriede Dreisbach für nächste Woche eine weitere Einigung an.
Dann geht es los, allerdings mit starken Gedächtnisproblemen der Angeklagten. „Ich erinnere mich nicht“, wird zum wiederkehrenden Satz in beiden Aussagen, was Oberstaatsanwalt Christian Kuhli schon zur einen oder anderen kritischen Anmerkung veranlasst, die ernsthafte Kooperationsbereitschaft des Duos betreffend. Auch die Vorsitzende ist nicht begeistert: „Wir waren nicht dabei. Wie sollen wir sie verurteilen, wenn Sie immer wieder sagen, nichts mehr zu wissen!“
Zunächst kommt der frühere Sozialberater B. (44) zu Wort, ein gelernter Koch, der nach nur eintägiger Einarbeitungszeit als Betreuer eingestellt wurde. Ihm wurde bei einem Geständnis eine Geldstrafe avisiert.
Nie ohne Rücksprache entschieden
Seine Aufgabe sei unter anderem das Dolmetschen gewesen, erklärt der Mann, dem fünf Fälle der Freiheitsberaubung vorgeworfen werden. Außerdem habe er die Papiere der Bewohner für die Vorstellung beim Bundesamt ausfüllen müssen, 100 pro Tag. Er habe die Information bekommen, das „Problemzimmer“ solle vor allem zur Ausnüchterung verwendet werden, für wenige Stunden. In allen Fällen habe zunächst sein unmittelbarer Vorgesetzter informiert werden müssen, der auf dem Gelände wohnte, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Dieser allein habe entscheiden dürfen. Ohne Rücksprache mit einem Sozialberater wiederum seien die Sicherheitsleute nicht aktiv geworden.
Kein Audiomitschnitt des Prozesses zugelassen
Es wird keinen Audio-Mitschnitt der Verhandlung geben. Die Kammer hat einen Antrag zweiter Verteidiger abgewiesen. Trotz des ungewöhnlichen Umfangs des Verfahrens sehe das Gericht die Zahl der Beteiligten und der Vorwürfe gegen die einzelnen Personen nicht derart umfangreich, dass eine Mitschrift für jeden Interessierten nicht dennoch möglich sei.
Der erste Fall ist gleich jener inzwischen „berüchtigte“, bei dem Karim M. auf der Matratze mit seinem Erbrochenen liegen musste und schließlich sogar in erniedrigender Lage fotografiert wurde. Erst will sich B. überhaupt nicht erinnern, identifiziert nach einer Unterbrechung dann aber seinen Eintrag im „Buch der Sozialberater“, in dem unter dem Namen des Bewohners unter anderem „viel gekotzt“ vermerkt ist. Der Mann habe viel getrunken gehabt und sei schließlich eingeschlafen, sagt der Angeklagte. Er habe in der Nacht noch zweimal nach ihm gesehen, „er hat immer geschlafen“. Zu den weiteren Vorfällen äußert er sich nicht. Allgemein erfahren die – im Vergleich zum ersten Verhandlungstag deutlich weniger gewordenen – Zuschauer und Medienvertreter vom ehemaligen Sozialbetreuer, dass es nur ein Problemzimmer gegeben habe, dessen Ausstattung sich kaum von anderen Räumen unterschieden hätte. Nur ein Waschbecken sei nicht darin gewesen. Innen sei die Türklinke abmontiert worden. Für Toilettengänge hätten die Eingesperrten klopfen und die Sicherheitsleute informieren müssen. Bei Besuchen der Polizei wurde die Klinke wieder angeschraubt. Die Beamten seien mehrfach in den Räumen gewesen, sagen beide Angeklagte und deuten einige Male an, die Polizei sei über die Zustände in der Notaufnahmeeinrichtung (NAE) die ganze Zeit informiert gewesen. Auf genauere Nachfrage des Oberstaatsanwaltes schränken die Männer das allerdings wieder ein. Dass es auch rechtswidrigen Freiheitsentzug für Ordnungsverstöße gegeben habe, sei den Polizisten wohl nicht bekannt gewesen.
Der zweite Angeklagte hat als Sicherheitsmann gearbeitet, kommt nach eigenem Bekunden „aus der Veranstaltungs-Security“ und bekam das Angebot, in der NAE Burbach zusätzliches Geld zu verdienen. Er habe meistens 48-Stunden-Schichten gemacht, berichtet der 28-jährige H., dem neben diversen Freiheitsberaubungen auch einige Körperverletzungen vorgeworfen werden. Mehrfach soll er Insassen des „Problemzimmers“ geschlagen haben, einmal gab es nach der Anklage auch Tritte.
Mit der flachen Hand ins Gesicht habe er zweimal geschlagen, gibt H. zu. Die Männer seien ihm jeweils aggressiv gegenübergetreten. An die Identität der Bewohner erinnert er sich nicht, an die genauen Daten oder Umstände auch nicht. Nur beim Vorfall mit Schlägen und Tritten kann er dem Gericht mehr erzählen. Das spätere Opfer sei sturzbetrunken durch die Anlage gestolpert, mehrfach draußen zwischen den Gebäuden auf den Asphalt gefallen, auf die Schulter und das Gesicht. „Der Mann tat mir einfach leid“, beteuert der Angeklagte. Mit einem Kollegen habe er ihn in sein Zimmer gebracht und auf das Bett gelegt. Später in der Nacht sei es dann zum Diebstahl einer Halskette gekommen: „Ich hätte nicht gedacht, dass der noch etwas stehlen kann.“ Nach Rücksprache mit einem Sozialbetreuer sei dann die Verbringung des Betrunkenen in ein „Problemzimmer“ erfolgt. Dort sei es später zu einer Aggression gegen ihn gekommen: „Er stand da mit einer Flasche Wodka in der Hand.“
H. gibt zu, den Bewohner mit Schlägen und Tritten gebändigt zu haben, mit Unterstützung eines weiteren Kollegen, dessen Namen er auch bestätigt. Wenn im späteren Attest von Schulterschmerzen und Abschürfungen die Rede sei, müssten die vorherigen Stürze bedacht werden. Bei allem solle das Gericht auch berücksichtigen, dass die Sicherheitskräfte stark überfordert gewesen seien, betont H. zwischendurch. Auch sein Anwalt erinnert daran, dass an manchen Tagen bis zu 1000 Menschen in der Einrichtung gewesen seien, im Normalfall aber nur drei Sicherheitsleute. Eine vierte Person saß jeweils an der Eingangskontrolle.
Dienstbücher nicht immer korrekt
Auch die Sicherheitsleute führten ein Dienstbuch, in dem die Namen der jeweiligen Beteiligten und wichtige Vorkommnisse vermerkt wurden. Beide Männer verweisen jedoch darauf, dass die Eintragungen nicht unbedingt korrekt sein müssten. Manchmal sei der Dienst getauscht worden, ohne dies in den Kladden zu notieren. Im Gegensatz zu B. bestätigt H. die Existenz mindestens eines weiteren „Problemzimmes“, das in der späteren Phase seines Dienstes eingerichtet worden sei, „in der Zeit von April bis Juni“.
Für eine Abtrennung der beiden Verfahren sieht die Vorsitzende noch keinen Anlass. Die Kammer müsse sich erst noch einmal zusammensetzen. In einer Woche geht es weiter.