Siegen-Wittgenstein. . Die Kreispolizeibehörde ist seit einem Jahr bei Facebook und Twitter: Kommunikation mit Bürgern und authentisches Bild der Polizeiarbeit im Fokus
Seit einem Jahr ist die Kreispolizeibehörde in den Sozialen Netzwerken aktiv. Hauptkommissar Georg Baum, Pressesprecher der Polizei, und Oberkommissar Thomas Heß, Social Media Manager und damit schwerpunktmäßig für die Sozialen Netzwerke zuständig, erläutern im Interview mit Hendrik SchulzHendrik Schulz die Öffentlichkeitsarbeit, Ziele der Präsenz in den Sozialen Medien und welche Chancen hier liegen.
Warum hat sich die Polizei Siegen-Wittgenstein entschieden, die Sozialen Netzwerke zu nutzen?
Georg Baum: Wir sind relativ spät aufgesprungen, wir sind ja eine vergleichsweise kleine Behörde. Geht man bis zu den Ursprüngen sozialer Netzwerke zurück, war lange offen, ob es sich womöglich um ein vorübergehendes Phänomen handelt und ob es für die Polizei nutzbar ist.
Zur Person
Georg Baum, 57 Jahre, ist seit 1980 bei der Polizei. Von 1998 bis 2003 war er Kriminalbeamter beim Polizeipräsidium Köln und Bonn, 2003 wechselte er zur Polizei Siegen-Wittgenstein und ist seither Pressesprecher.
Thomas Heß, 34 Jahre, ist seit 2001 bei der Polizei und hat ein Fachhochschulstudium abgeschlossen. Vor seinem Wechsel zur Pressestelle war Heß acht Jahre im Streifendienst in Siegen tätig.
Thomas Heß: Nachdem große Behörden damit Erfahrungen gesammelt haben, stellten auch wir fest, dass die Sozialen Medien Chancen bieten, auch, um in den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern zu treten. Auch mit der Presse können wir über unsere Accounts schneller interagieren. Eines unserer Hauptziele ist, dass wir unsere Inhalte auch deswegen ausgeben, um langfristig eine Community aufzubauen, um im Ernstfall, wenn wirklich Gefahr droht, eine große Masse Personen erreichen zu können.
Unter den Sozialen Netzwerken hat Twitter ja eher eine geringe Reichweite, zumindest in der Region.
Heß: Das stimmt, aber viele lesen dort mit und Nachrichten verbreiten sich hier sehr schnell. Zudem erreichen wir hiermit natürlich auch die Öffentlichkeit in Form der Pressevertreter sehr schnell.
Baum: Es gab bundesweit ein paar Vorfälle, nach denen ich auch meine persönliche Meinung geändert habe: Die Behörden sind dabei in Gefahrenlagen schnell in die Kommunikation mit den Bürgern getreten, haben klare, einfache Botschaften herausgegeben und so auch Ruhe in die Unsicherheit der Öffentlichkeit gebracht.
Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, womit Sie an die Öffentlichkeit gehen?
Heß: Rechtlich gibt es bei Öffentlichkeitsfahndungen hohe Hürden, etwa wenn Überwachungsbilder publiziert werden. Das läuft dann über die Staatsanwaltschaft und muss verhältnismäßig zur begangenen Straftat sein.
Baum: Wir hatten zum Beispiel Vermisstenfälle, wo Personen aus medizinischen Gründen sehr schnell gefunden werden mussten. Wir haben entschieden: Wo können wir Hinweise zum Aufenthaltsort der vermissten Person bekommen? Eben auch über die Sozialen Medien – wir konnten hier Leben retten. Das hat dann auch skeptische Kollegen überzeugt.
Heß: Bei der aktuellen Riegel-vor-Kampagne haben wir eine Facebook-Sprechstunde angeboten, Nutzer konnten uns Fragen rund um die Einbruchsicherheit ihrer Wohnungen und Häuser stellen, die unsere Experten und wir live beantwortet haben. Oder bei einem Schwertransport haben wir die Fahrzeugkolonne begleitet und bei Facebook gestreamt und dabei mehr als 130.000 Menschen erreicht. Wir probieren solche Dinge auch gern aus.
Und bei der „klassischen“ Öffentlichkeitsarbeit?
Baum: Wir sind bemüht, alles herauszugeben, was die Öffentlichkeit interessieren könnte. Das unterliegt natürlich einer ständigen Bewertung: Gibt es etwa ermittlungstaktische Gründe oder Persönlichkeitsschutz zu beachten? Wir möchten ein möglichst authentisches Bild der Polizei vermitteln.
Heß: Unser Glück ist, dass die Bevölkerung großes Vertrauen in die Polizei hat. Und wir möchten schon, dass man auch sieht, dass wir ordentliche Arbeit machen.
Die Sprache Sozialer Medien ist oft persönlich und ironisch – Duzen, Emoticons, Memes. Wie gehen Sie als Behörde damit um?
Heß: Wir verstehen uns professionell. Ein negativer Schlagabtausch soll auf unseren Seiten nicht stattfinden. Wir sind bemüht, den Ton sachlich zu halten – so, wie man mit unseren Kollegen am Streifenwagen sprechen würde. Aber natürlich möchten wir auch Hemmungen abbauen. Wann spricht man schon mal einen Polizisten am Streifenwagen an? Sie gelten ja als Autoritätspersonen. Aber bei Facebook ist die Hemmschwelle niedriger, eine Nachricht bei Facebook ist schnell geschrieben. Es ist einfacher geworden, sich an die Polizei zu wenden.
Manche Behörden punkten mit witzigen Beiträgen, zum Beispiel die „Wiesnwache“ der Münchner Polizei beim Oktoberfest.
Heß: Wir sind nicht spaßbefreit, aber es muss zu uns und zu den Leuten passen. Wenn ich versuche, ultralustig zu sein, wirkt das vermutlich irgendwie gekünstelt, das merken die Leute.
Kommt es vor, dass Sie Beiträge und Kommentare löschen?
Heß: Wir wollen nicht zensieren. Außer es handelt sich um Straftaten oder hetzerische Kommentare. Wir haben da kaum negative Erfahrungen gemacht: Als Polizei sind wir ja wenig gefährdet, dass ausgerechnet auf unserer Seite zu Straftaten aufgerufen wird oder dass Nutzer bei uns strafrechtlich beleidigt werden.
Wie nutzen Sie Social Media privat?
Heß: Ich bin da schon lange aktiv. Früher habe ich auch Seminare an Schulen im Umgang mit Social Media gegeben, für diesen Job habe ich auch Lehrgänge im Bereich Social Media Management besucht.
Baum: Für uns als Behörde ist es natürlich Gold wert, einen Kollegen wie Thomas Heß an dieser Position zu haben.
Wie sieht das Tagesgeschäft bei der Polizei aus?
Heß: 24 Stunden, sieben Tage die Woche. Zu den Dienstzeiten betreuen wir von der Pressestelle die Accounts, nachts und am Wochenende übernimmt dann die Leitstelle. Aber unser eigener Anspruch ist, dass wir auch da gute Arbeit machen wollen, deshalb haben wir auch im Feierabend zumindest ein Auge drauf. Wir möchten aber nochmals darauf hinweisen, dass in der Kommunikation mit der Polizei Facebook und Twitter keine Notfall-Medien sind. In Notfällen muss man sich unbedingt über den Notruf 110 an die Polizei wenden. Und Online-Strafanzeigen können gerne über unsere normale Internetseite erstattet werden.
Also: Experiment geglückt?
Heß: Wir stehen für Seriosität und haben in den Sozialen Netzwerken die Möglichkeit, uns menschlich darzustellen. Für viele ist die Polizei ein abstraktes Gebilde, zu dem sie kaum Kontakt haben – hier haben wir die Chance, das zu ändern. In diesem einen Jahr haben wir rund 9000 Abonnenten generiert und können über unsere diversen Kanäle fast jeden im Kreis erreichen, wenn Gefahr droht.
Baum: Die Sorge, dass unsere Glaubwürdigkeit leiden würde, hat sich nicht bestätigt: Wir bekommen fast ausnahmslos positive Resonanz.