Siegen. . Es gibt Verstorbene, die keine nahen Verwandten mehr haben oder deren Angehörige unauffindbar sind. In diesem Fall springt die Stadt ein.
Ein Mensch wird beerdigt, aber niemand nimmt Abschied. Es ist ruhig, gibt weder Blumen noch Gedenkstein. Eine Urne wird vorsichtig im Boden versenkt. Das Leben eines einst geliebten Menschen ist vorbei – ein anonymes Wiesengrab auf dem Lindenbergfriedhof ist alles was bleibt.
Wenn sich niemand kümmert, sorgt die Stadt für eine Beerdigung auf Staatskosten
Wenn sich Angehörige nicht um den Verstorbenen kümmern wollen, unauffindbar sind oder es keine nahen Verwandten mehr gibt, ist Natalia Stoll vom Siegener Ordnungsamt gefragt. Sie sorgt dafür, dass der Mensch würdevoll seine letzte Ruhestätte erreicht – oft auf Kosten der Staatskasse. „Bestattungen von Amts wegen“ nennt sich das.
Landet ein Fall beim Ordnungsamt Siegen auf dem Schreibtisch, gestaltet sich der Ablauf wie folgt:
Die Suche: Krankenhaus, Altenheim, Hospiz oder die Polizei benachrichtigen Stoll über einen Toten, der keinen bestattungspflichtigen Angehörigen hat oder bei dem sich die Verwandten geweigert haben, ihrer Pflicht nachzukommen. Natalia Stoll bleiben ab dem Todestag zehn Tage Zeit, um über Meldebehörden, Freunde, Bekannte, Betreuer, Standesämter und Nachlassgerichte Angehörige ausfindig zu machen.
Und das ist nicht immer einfach. „Das ist eine richtige Spurensuche", sagt Stoll. „Oft bekommen wir erst am Tag drei bis sechs überhaupt Bescheid gegeben, dass es einen Toten gibt.“ Dann steige der Zeitdruck. „Das ist manchmal eine abenteuerliche Suche. Ich habe auch schon in Amerika, Italien, Spanien und Neuseeland nach Angehörigen gesucht“, berichtet Stoll. Auch Botschaften schreibe sie an.
Ihr Kollege Sven Klein erzählt, dass es besonders bei älteren Menschen schwierig sei, durch die Familienverhältnisse durchzusteigen. Die Daten seien früher nur in Büchern erfasst worden. „Interessant wird es dann, wenn es auch nicht viele Umzüge gab“, sagt er.
Der Kontakt: Alle Betroffenen werden – sofern die Mitarbeiter des Amts welche finden – telefonisch oder schriftlich benachrichtigt.
Suche positiv: „Im besten Fall meldet sich die Person und sorgt für die Bestattung“, sagt Stoll. Dann habe sich der Fall für sie erledigt. „Manchmal treffe ich auf geschockte Menschen. Die muss ich am Telefon dann erst einmal beruhigen“, sagt Natalia Stoll. „Das berührt schon.“ Wenn der oder die Betroffene nicht für die Kosten aufkommen, besteht die Möglichkeit einer Kostenübernahme durch das Sozialamt der Stadt Siegen oder des Kreises Siegen-Wittgenstein, sagt Stoll. Bei einer sogenannten Sozialbestattung stellt das zuständige Amt die finanziellen Mittel für eine einfache, aber würdevolle Bestattung zur Verfügung.
Negative Suche oder Widerstand: „Meistens sind die Familien zerstritten oder es gibt keine Angehörigen“, sagt Stoll. Oft hätten Verwandte Angst vor den Kosten und würden sich nicht melden. Es sei nicht selten, dass Natalia Stoll auf Widerstand oder Gleichgültigkeit stoße. „Einer hat einmal gesagt, wir sollten den Verstorbenen in eine Mülltonne werfen. Ihm wäre egal, was mit dem passiert“, erzählt Stoll. Doch fehlende Verbundenheit entbinde nicht von der Bestattungspflicht. Erst wenn bei Härtefällen nachgewiesen werden könne, dass die Hinterbliebenen beispielsweise misshandelt wurden und deshalb mit dem Toten nichts mehr zu tun haben möchten, würden sie von der Pflicht entbunden. Werden innerhalb der zehntägigen Bestattungsfrist keine Angehörigen gefunden oder die Pflicht verweigert, so veranlasst das Ordnungsamt eine Bestattung von Amts wegen.
Die Beisetzung
Ein Bestatter wird beauftragt und die Kremierung des Toten eingeleitet. Per Ordnungsverfügung werden dann die Angehörigen aufgefordert, die Urne beizusetzen. Tun sie dies, ist das Verfahren beendet. Kommen sie der Pflicht nicht nach, folgt ein Festsetzungsbescheid. Zwei bis maximal drei Wochen bleiben den Hinterblieben dann, um sich zu kümmern – sonst veranlasst die Stadt die Beisetzung.
Bestattungen von Amts wegen sind meist sehr einsam. „In der Regel soll ein Pfarrer mitgehen und wenigstens die Standardsätze sagen, damit es pietätvoll bleibt“, sagt Stoll und ergänzt: „Man weiß ja nie, welches Schicksal dahinter steckt.“ In seltenen Fällen würden Freunde vorbeikommen und Blumen oder Grabplatten besorgen. „Wir dürfen keine Trauerfeier organisieren.“ Sie darf sich nur um ein Mindestmaß kümmern: „Dazu gehören der Sarg, Transportkosten, die Kremierungsgebühren, Abmeldegebühren und beispielsweise ein Sterbehemd, wenn der Verstorbene keine Kleidung hatte.“
Die Kosten
Rund 3000 Euro für eine Feuerbestattung und in seltenen Fällen auch 5000 Euro für eine Erdbestattung: Das kostet eine anonyme Beisetzung inklusive aller anfallenden Kosten für die Abwicklung. Das Geld versucht sich das Ordnungsamt zurückzuholen. Bei rund der Hälfte der Fälle klappe das, weiß Stoll. Doch spätestens wenn ein Gericht eingeschaltet werde, ziehe sich der Prozess in die Länge – mehrere Jahre könnten dann vergehen. Wenn es keine Angehörigen gibt, schafft es Natalia, einen Sterbefall innerhalb von zwei Monaten zu den Akten legen zu können.
Die Fälle
81 solcher Fälle hat Natalia Stoll im vergangenen Jahr bearbeitet – und die Zahl steige. 2018 seien es bereits im August 55 Fälle gewesen. „Die Familien sind kleiner geworden und die Leute sind öfter zerstritten. Es gibt mehr Scheidungen und früher gab es Sterbegeld – da wurde ein Teil der Kosten erstattet. Heute ist das nicht mehr so“, sagt Stoll. 46 Mal habe sie es 2017 geschafft, Angehörige zu überzeugen, sich selbst um die Bestattung zu kümmern. Das habe Vorteile, denn dann dürfen sie entscheiden, wie und wo der Verstorbene beerdigt werden soll. Dennoch: Um 38 Menschen hat niemand geweint.