Siegen. . Thema Demenz: Ein Gespräch mit Dr. Tabea Stoffers von der Alzheimer Gesellschaft Siegen über Behandlung, Teilhabe und ein Leben in Würde.

Mit dem Vergessen kommt oft die Verzweiflung. Kaum eine Diagnose ist für Erkrankte und ihre Angehörigen so erschütternd wie Demenz. Die Alzheimer Gesellschaft Siegen hilft seit 30 Jahren Menschen, mit diesen schwerwiegenden Veränderungen besser zurechtzukommen. Florian Adam sprach mit Vorstandsmitglied Dr. Tabea Stoffers über Behandlung, Beratung und die Bedeutung von Normalität für die Betroffenen.

Wie sind Alzheimer und Demenz gegeneinander abgegrenzt?

Dr. Tabea Stoffers: Demenz ist der Obergriff, Alzheimer ist eine besondere Form – und die am meisten verbreitete in Deutschland. Generell ist Demenz eine organische Erkrankung, bei der das Gehirn abbaut. Als Alzheimer Gesellschaft Siegen beraten wir bei all ihren Formen.

Was sind typische Symptome?

Das Auffälligste ist das Vergessen. Erinnerungen verblassen immer mehr. Dieser Prozess läuft rückwärts: Was kürzlich geschah, ist schnell weg – und was in der Kindheit war, bleibt lange abrufbar.

Werden Betroffene aggressiv?

Auch interessant

Das kommt auf den Einzelfall an. Eine permanente Überforderung kann Aggressionen auslösen, ebenso die Wut darüber, dass das Leben anders verläuft als geplant. Die so genannte frontotemporale Demenz ist eine Form, die häufig mit Persönlichkeitsveränderungen einhergeht. Wer früher sanft war, kann hier durchaus aggressiv werden.

Der Betroffene verändert sich in jedem Fall deutlich. Was macht das mit den Menschen in seinem Umfeld?

Für Angehörige ist es sehr schwer, mit solchen Veränderungen umzugehen, die aus dem einst vertrauten Menschen einen Fremden machen. Damit müssen sie zurechtzukommen.

Wie kann das gelingen?

Mit Geduld und Verständnis. Die Angehörigen müssen diese Veränderung hinnehmen und akzeptieren, anstatt dagegen zu kämpfen.

„Die erste Phase ist für die Erkrankten die schwerste“

Wie ist es für die Betroffenen selbst?

Die erste Phase ist für die Erkrankten die schwerste: Man merkt, dass man sich nicht mehr zurechtfindet. Man weiß nicht mehr, wo man im Parkhaus das Auto abgestellt hat, oder findet den Weg nach Hause nicht. Viele wollen sich das nicht eingestehen und behelfen sich mit Zettelwirtschaft oder sehr aufwendigen Kalendereinträgen. Irgendwann reicht aber auch das nicht mehr.

Das Sich-Eingestehen fällt schwer?

Ja. Viele verbinden die menschliche Würde damit, dass sie im Gehirn richtig funktionieren. Das hört man oft: Egal, was sonst ist, die Leute sagen ,Hauptsache, ich kann noch klar denken’. Da gilt der Satz ,Ich denke, also bin ich’ – und Betroffene müssen lernen zu akzeptieren, dass sie auch dann noch sind, wenn sie nicht mehr so klar denken können. Je mehr ein Mensch sich dabei sein Leben lang über seine kognitiven Fähigkeiten definiert hat, umso schwerer wird es, das hinzunehmen. Außerdem haben viele die Angst: ,Sobald ich die Diagnose habe, muss ich ins Heim.’ Dabei gibt es vieles, was man machen kann.

Eine Heilung gibt es bisher nicht.

Richtig. Aber es gibt Medikamente, die den Verlauf verzögern, außerdem ambulante Hilfsleistungen. Und eine gezielte Beratung kann helfen, damit die Menschen länger in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Es gibt zum Beispiel eine Reihe von Hilfsmitteln wie automatische Herdabschaltungen oder Bewegungsmelder, die das Licht einschalten, um Stürze im Dunkeln zu vermeiden. Der Entlastungsdienst Atempause unterstützt Betroffene und ihre Angehörigen ganz praktisch in der eigenen Häuslichkeit. Es gibt viele Möglichkeiten, bevor eine vollstationäre Behandlung erforderlich wird. Je früher man von der Krankheit weiß, desto eher kann man ein Hilfssystem aufbauen.

„Man muss es als Angehöriger offen ansprechen“

Mit dem Fortschreiten der Krankheit verschieben sich Rollen: Kinder müssen sich plötzlich um die Eltern kümmern?

Man muss sich darauf einstellen: ,Da kommt als Familie etwas auf uns zu’. Oft trifft das Kinder, wenn sie mitten im Leben stehen und beruflich eingebunden sind. Viele wohnen auch gar nicht mehr vor Ort und müssen dann aus der Ferne ein Netzwerk organisieren, das den Betroffenen hilft.

Mit dieser Verschiebung müssen auch die Eltern erst einmal klarkommen.

Ja. Wer vielleicht immer der Mittelpunkt der Familie war, wer die Familie immer zusammengehalten hat, braucht auf einmal Hilfe. Diejenigen, die ihre Krankheit selbst bemerken und akzeptieren, kommen damit meist besser zurecht als diejenigen, die auf ihrer alten Rolle beharren. Man muss es als Angehöriger offen ansprechen.

Und wie? Das Thema ist heikel ...

So, wie man alle schwierigen Themen anspricht: in einem ruhigen Gespräch mit der Familie, vielleicht auch mit Freunden. Da kommt es auf Fingerspitzengefühl an.

„Es geht um Teilhabe am normalen Leben“

Die Alzheimer Gesellschaft Siegen gibt es seit 30 Jahren. Hat sich das öffentliche Bewusstsein für Demenz und das Verhältnis zu der Krankheit in dieser Zeit verbessert?

Wir sind da schon auf einem richtigen Weg. Ich glaube, dass da eine Enttabuisierung stattgefunden hat. Es gibt ein stärkeres Bewusstsein dafür, betroffene Menschen nicht auszuschließen, sondern ihnen zu signalisieren: Du bist auch so Teil der Gesellschaft. Es geht um Teilhabe am normalen Leben, um eine normale Einbindung in den gewohnten Alltag – statt eines Disneylands für demente Erwachsene.

Disneyland?

Früher schickte man die Menschen zum Malen oder zur Sitzgymnastik, auch wenn sie ihr Leben lang nichts damit zu tun hatten. Wieso sollte man auf einmal dahin gehen? Man hat die Normalität im Umgang mit Dementen entdeckt. Wenn ich jemanden ganz normal bitte: ,Könntest Du den Tisch abwischen oder die Blumen gießen?’ – dann ist ihm völlig klar, was das soll und dass er in den Alltag eingebunden ist.

Zur Normalität gehören aber auch besondere Erlebnisse wie der Besuch kultureller Ereignisse. Aber drei Stunden in einer Wagner-Oper sind für jemanden mit Demenz sicher nur bedingt amüsant ...

Es gibt spezielle Angebote wie Konzerte für Menschen mit Demenz, deren Programm extra kürzer ist. Oder die „Museumsmomente“, die Führungen für Menschen mit Demenz im Museum für Gegenwartskunst.

„Das Emotionale bleibt“

Herzlose Zeitgenossen könnten sagen: Was bringt es, mit Oma ins Museum zu gehen, wenn sie das nach einer Minute wieder vergessen hat.

Sie hat es vielleicht kognitiv vergessen. Aber das Emotionale bleibt. Und man genießt einfach den Moment. Vielleicht spricht sie bei diesem Erlebnis auf einmal wieder oder erinnert sich an etwas. Es ist immer ein Hier und Jetzt. Man muss sehr spontan sein und reagieren können auf das, was gerade ist.

Wie helfen Sie als Alzheimer Gesellschaft dabei?

Durch Beratung. Früher geschah das alles ehrenamtlich. Bei der Gründung 1988 waren wir eine der ersten Alzheimer Gesellschaften überhaupt in Deutschland. Da konnten viele Menschen mit dem Thema Demenz noch nicht viel anfangen – da hieß es dann oft, „Oma wird halt tüdelig“. Damals herrschte noch ein großes Wissensdefizit, da mussten wir allgemein informieren und beraten. Heute haben wir zusätzlich auf Honorarbasis drei Fachkräfte im Team, die sehr gezielt beraten.

Sie haben zwei Diplomarbeiten zum Thema geschrieben. Was interessiert Sie daran so?

Es hat mich als Kind fasziniert, wie sich ein Vorgang im Gehirn so sehr auf das Leben auswirken kann. Aber natürlich hat es mich auch betroffen gemacht – auch, wie es sich auf die Angehörigen auswirkt.

Was sind die besonders schweren Momente bei Ihrer Arbeit?

Wenn man von manchen Schicksalen hört. Was rät man, sagt man, wenn Angehörige verzweifelt sind? Manchmal kann man das zunächst nur mitaushalten – und dann überlegen, was zu tun ist.

  • Mehr Nachrichten, Fotos und Videos aus dem Siegerland gibt es hier.
  • Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook.