Bürbach. . Der Verein deutsch-türkischer Akademiker VDTA möchte das Wohnheim in Siegen-Bürbach für alle Studierenden öffnen. Gegründet für Migrantenkinder.

Weil sie bei der Wohnungssuche diskriminiert wurden, gründeten türkischstämmige Studenten das Wilhelm-von-Humboldt-Studentenwohnheim Bürbacher Weg. Heute hat der Betreiber, der Verein Deutsch-Türkischer Akademiker (VDTA), Probleme, alle Plätze zu besetzen. Durchaus seltsam angesichts der Knappheit bei studentischem Wohnraum in Siegen.

Der Verein

1995 gründete eine Handvoll Siegener Studenten mit Migrationshintergrund den VDTA. „Sie alle hatten die Erfahrung gemacht, dass ihre Schullaufbahn problematisch verlaufen ist“, erzählt Enes Güneş, Assistent der Geschäftsleitung und Hausverwalter des Wohnheims. Als Kinder hatten sie mit Sprachschwierigkeiten zu kämpfen, „diese Probleme wollten sie nachfolgenden Generationen ersparen und gaben privat Nachhilfeunterricht“, so Güneş. Nach kurzer Zeit wurde der Verein gegründet, betrieb eine Nachhilfeschule.

Das Wohnheim in Zahlen

27 Plätze hat das Wilhelm-von-Humboldt-Wohnheim, acht Personen wohnen auf einer Etage, ihnen stehen jeweils vier Toiletten und Duschen in Sanitärräumen zur Verfügung – die Zimmer selbst haben Waschbecken. Es gibt einige wenige Doppelzimmer, sagt Enes Güneş.

22 Quadratmeter im Durchschnitt hat ein Zimmer, die Größe variiert zwischen 14 und 34 m2. Einzelzimmer kosten 300, Doppelzimmer 200 Euro – inklusive Strom, Gas, Internet und Fernsehen.

Eine Gemeinschaftsküche und Mensa sowie Gemeinschaftsräume stehen zur Verfügung.

Nach einiger Zeit wurde festgestellt, dass die Migrantenkinder nicht allein mit ihren Problemen waren: „Viele Eltern hatten keine Ahnung vom deutschen Bildungssystem“, sagt Güneş. Manche schickten ihr Kind in die Hauptschule, einfach weil es die nächstgelegene Bildungseinrichtung war. Also stockte der Verein sein Angebot auf und bot Elternseminare an.

Es kamen immer mehr Leute dazu, das Angebot wuchs weiter: Die Jugendorganisation NIYO wurde gegründet, die Fraueninitiative EBRU, der Vorschulkinderclub GONCA. Aktuell liegt ein Schwerpunkt der Vereinsarbeit auf der Flüchtlingshilfe.

Die Vereinsarbeit wird vorwiegend von Studierenden und Absolventen, die in der Region geblieben sind, getragen. „Manche Generationen sind sehr engagiert, dann gibt es wieder Zeiten mit weniger Angeboten“, sagt Enes Güneş. Ziel des Vereins ist es, gemäß dem Vereinsslogan „Bildung als Investition in die Zukunft“, Schülerinnen und Schüler so gut wie möglich in ihrer Bildung und Schullaufbahn zu unterstützen, und sie damit als erfolgreiche, selbstbewusste und tolerante Individuen für eine in Harmonie funktionierende multikulturelle Gesellschaft vorzubereiten.

Das Wohnheim

Die Geschichte

2012 kaufte der Verein das lange leer stehende Gebäude. Ursprünglich war hier das Anna-Helenen-Stift, ein Kinderheim, untergebracht. Auch Studierende wohnten hier eine Zeit lang: Das Studierendenwerk hatte das Haus angemietet, als sich deren große Wohnheime noch im Bau befanden. Als die fertig waren, ging das Haus zurück an die Stadt. Zwischenzeitlich übernahm das Sozialwerk St. Georg das Gebäude, danach stand es leer, bis es der VDTA übernahm. Weil die erneute Einrichtung als Studentenwohnheim mit öffentlichen Mitteln gefördert werden sollte, bescheinigte Detlef Rujanski, Geschäftsführer des Siegener Studierendenwerks, den Bedarf an studentischem Wohnraum. Nach dem Umbau zogen die ersten Studenten 2014 ein.

Der Name wurde bewusst mit Bezug zu den Vereinszielen gewählt: Wilhelm-von-Humboldt-Wohnheim. Humboldt war immerhin für Preußen eine Art geistiger Vater des Neuhumanismus’.

Die ersten Bewohner hatten als Abiturienten keine Probleme mit dem deutschen Bildungssystem – aber mit dem Wohnungsmarkt. „Es gab mehrere Fälle von Diskriminierung bei der Wohnungssuche“, sagt Güneş – die Uni Siegen expandierte, die Zahl der Studenten stieg, bezahlbarer Wohnraum wurde zusehends knapper, Bewerber mit türkisch klingenden Namen immer wieder benachteiligt.

Der VDTA erkundigte sich nach Interessenten und hatte nach relativ kurzer Zeit eine Liste mit 30 Namen – genug, dass sich Kauf und Umbau einer Immobilie lohnt. Das Gebäude am Bürbacher Weg hatte ein paar Jahre leer gestanden – die Kalkulation stand.

Und dann sprangen die Interessenten wieder ab. Zu dieser Zeit verschärfte sich die innenpolitische Situation in der Türkei, „der VDTA ist dafür bekannt, dass er nicht gerade hinter Erdogan steht“, sagt Güneş. Die Anhänger des damaligen türkischen Ministerpräsidenten unter den potenziellen Bewohnern machten Rückzieher. Die Spannungen verschärften sich mit dem Putschversuch 2016, über Nacht zogen Leute aus, „seitdem haben wir Probleme, das Wohnheim voll zu besetzen“, sagt Güneş.

Die Zukunft

Das Wohnheim liegt zentral am Bürbacher Giersberg, Innenstadt und Haardter Berg sind gut zu erreichen, die Miete ist günstig und all inklusive. „Wir versuchen, das Wohnheim weiter zu öffnen“, sagt Hausverwalter Güneş – nur einer der derzeitigen Bewohner habe keinen Migrationshintergrund. „Wir freuen uns über jeden, egal welcher Herkunft“, betont er.

Vor allem für Erstsemester sei das Wohnheim geeignet, sagt Güneş: Bei den üblichen Anlaufschwierigkeiten zu Beginn des Studiums könnten erfahrene Bewohner den Neulingen helfen, etwa mit dem Stundenplan. Denn die meisten Bewohner kommen von außerhalb. „Wir hatten noch keinen Siegener hier.“

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