Kreuztal. Der neue Vorsitzende des Kulturrings Siegerland-Wittgenstein Holger Glasmachers fordert für die Kunstszene: Mehr Netzwerk, weniger Konkurrenz.

Holger Glasmachers, Leiter des Kreuztaler Kulturamts, ist seit April 2018 Vorsitzender des Kulturrings Siegerland-Wittgenstein. Übernommen hat er das Amt von Otto Marburger (Kulturgemeinde Bad Berleburg), der wiederum 2007 einem anderen Kreuztaler nachgefolgt war: dem damaligen Kulturamtsleiter Michael Townsend, der damals Beigeordneter in Bochum geworden war. Über seine neue Aufgabe hat Glasmachers mit Steffen Schwab gesprochen.

Was ist eigentlich der Kulturring Siegerland-Wittgenstein?

Das sind mehr als 20 kulturtreibende Vereine und Kultureinrichtungen, teilweise auch Einzelpersonen – da gehört die Veranstaltungsagentur von Martin Horne ebenso dazu wie die Siegerlandhalle.

Was verbindet die Mitglieder?

Dass es eine Kommunikationsplattform gibt, ein Netzwerk entsteht, aus dem Kooperationen hervorgehen können, wo Spiel- und Zeitpläne abgestimmt werden. Wir können Anker setzen und Termine schützen – Kultur Pur zum Beispiel oder die Biennale im Apollo. Natürlich soll das Publikum frei wählen können, wo es hingeht. Aber das wäre natürlich schwierig, wenn es 20 Highlights an einem Tag gäbe.

Das funktioniert?

Ganz gut, aber Überschneidungen kann man nicht ausschließen. Es gibt solche Tage, an denen fünf Kabarettisten auf den verschiedenen Bühnen stehen.

Verstehen sich die Mitglieder des Kulturrings als Konkurrenten?

Sicher gibt es eine Art Konkurrenzdenken. Aber das ist in den letzten Jahren viel weniger geworden. Jeder entwickelt sein eigenes Profil. Kreuztal zum Beispiel sitzt zwischen zwei Theaterstädten, Hilchenbach und Siegen. Es wäre kontraproduktiv, wenn wir jetzt auch noch ein Theaterangebot auf die Beine stellen würden. Gebrüder-Busch-Theater und Apollo machen das sehr gut, und das ist auch völlig ausreichend, zumal es ja auch noch das Heimhoftheater in Burbach und die Kooperation von Wilnsdorf und Haiger gibt. Wir stehen für Kabarett, Comedy und Konzerte, die immer so ein bisschen neben dem Mainstream sind. Und damit fahren wir auch ganz gut. Auch andere positionieren sich auf diese Weise.

Spielt dabei auch die Not eine Rolle? Die Finanzen waren schon immer knapp, das Publikum wird kleiner …

Kultur Pur als Kooperationsveranstaltung war 1991 auch eine Initialzündung. Die Leute hatten Spaß, Politik und Kommunen ließen sich überzeugen und haben es sehr zu schätzen gelernt, was Kultur an Lebensqualität bringt und als weicher Standortfaktor für die Entwicklung von Unternehmen bewirkt. Die Kommunen haben den Faden aufgenommen und das im Rahmen ihrer Möglichkeiten umgesetzt. Und das ist wirklich fantastisch zu sehen, was wir im Kreisgebiet mit knapp 300 000 Einwohnern aufgestellt haben. Die Zuschauerzahlen gehen mal rauf, mal runter, aber im Grunde genommen sind die Kollegen im Kulturring mehr oder weniger zufrieden. Es ist aber auch Aufgabe kommunaler Kulturpolitik, mal Genres oder Künstler anzubieten, die etwas sperriger sind – da kalkuliert man von vornherein nicht mit 500 Zuschauern.

Das Experimentieren ist die eine Seite. Auf der anderen Seite scheinen aber auch überlieferte Formen mit ihrer Publikumsgeneration auszusterben – Klassiker füllen dann auf einmal den Theatersaal nicht mehr. Muss man das dann einfach akzeptieren, oder muss man dagegen arbeiten?

Die Wahrheit liegt in der Mitte. Es ist sehr berechtigt, dass diese klassischen Produktionen auf den Spielplänen bleiben, eben weil die Leute das sehen wollen, auch wenn es weniger werden. Ein vergleichbares Beispiel ist die Entwicklung der Chöre: Da war Siegen-Wittgenstein einmal bundesweit führend. Viele haben mittlerweile mit Mitgliederschwund zu kämpfen oder lösen sich sogar auf. Das heißt aber nicht, dass die Menschen nicht mehr selbst singen wollen. Rudelsingen ist Zeitgeist: Man bindet sich nicht, man muss nicht öffentlich auftreten. Man singt halt mit, hat Spaß mit seinen Freunden – und das bei einer guten Qualität. Das Singen hört nicht auf, aber es verändert sich. Und Veränderung ist doch das, was den Menschen ausmacht. Und hoffentlich können auch die Chöre davon profitieren, wenn die Menschen sich wieder verbindlicheren Formen zuwenden wollen.

Was möchten Sie als Vorsitzender des Kulturrings bewirken?

Ich empfinde das als sehr spannend, in diesem großen, bunten Kreis vieler Kollegen vielleicht etwas bewirken zu können. Eine wichtige Rolle spielt auch das Kulturbüro des Kreises, das Jens von Heyden mit ganz viel Power wieder ganz bewusst geöffnet hat, um zu schauen, was wir gemeinsam auf die Beine stellen können oder auch jeder für sich, ohne Einzelkämpfer zu werden. Wir sprechen auch über Kulturförderung und kulturelle Bildung, laden Referenten ein und schaffen so Möglichkeiten, über den Tellerrand zu gucken oder zu kooperieren.

Das Kulturbüro ist aber doch von Anfang an als eine Dienstleistungsstelle für Kulturtreibende im Kreis eingerichtet worden.

Das ist eine seiner originären Aufgaben, die aber eine Zeit lang etwas aus dem Blickwinkel verschwunden ist. Ich finde das gut, dass der Kreis seinen Aufgaben klar definiert und konsequent verfolgt.

Welche Themen haben für Sie Priorität?

Die Prioritäten orientieren sich natürlich an der Vielfalt der Mitglieder. Da ist die Philharmonie Südwestfalen genauso dabei wie die Kantorei und der Philharmonische Chor, aber eben auch Apollo, Siegerlandhalle und Kreuztal Kultur, die ganz unterschiedliche Ziele und Arbeitsweisen haben. Da gibt es nicht so viele gemeinsame Nenner. Aber die, die wir haben, sollten wir stärken, zum Beispiel die gemeinsame Homepage buehnen-suedwestfalen.de, die gerade ein aufwändiges Relaunch erfährt. Ich hoffe, dass wir im September ans Netz gehen. Viele Möglichkeiten, in gedruckten Medien auf sich aufmerksam zu machen, sind weggefallen. Gerade wirtschaftlich weniger starke Veranstalter hatten die Möglichkeit, sich in den diversen Veranstaltungsmagazinen zu präsentieren.

Das ist aber doch durch Online-Medien mehr als ausgeglichen worden.

Wir haben es aber auch mit großen Besuchergruppen jenseits der 50 zu tun. Da bin ich mir nie ganz sicher, ob die wirklich so internet-affin sind oder doch lieber ein Print-Medium in der Hand halten wollen, sich immer noch über Plakate informieren. Die „Xpeditionen@kreuztal“ bewerben wir als einzige Veranstaltungsreihe massiv mit Plakaten: Wir haben dort tatsächlich noch bis zu 150 Menschen an den Tageskassen – bei anderen Veranstaltungen sind es vielleicht noch zehn.

Kultur braucht nicht nur eine Bühne und einen Saal, sondern auch Ambiente. Was wäre da wünschenswert?

Wir haben in Kreuztal erst einmal damit angefangen, den Saal nicht mit 10 000 Watt auszuleuchten, als ob man im Schlachthof stünde. Eine warme, entspannte Atmosphäre ist für die Besucher wichtig. Man genießt seine Freizeit, gibt dafür ja auch nicht wenig Geld aus, lässt die Seele baumeln, bildet sich weiter, möchte auf jeden Fall, dass es einem gut geht. Diesen Spielball sollte man schon aufgreifen. Der Gast sollte möglichst stressfrei einen Parkplatz finden, den Weg zu seinem Platz finden, von Mitarbeitern freundlich begrüßt werden. Er sollte sich als Gast fühlen, denn er ist Gast. Es sollte ein angemessenes kulinarisches Angebot geben, nicht nur Wasser und lauwarmen Kaffee, sondern auch mal einen Sekt und einen guten Rotwein.

Vor ein paar Jahren haben wir auch Snacks eingeführt, die wir nicht irgendwo einkaufen. Wenn man von der Arbeit kommt, kann man bei uns etwas Schmackhaftes bekommen. Die Künstler bekommen bei uns auch nicht Pommes und Currywurst, sondern ein leckeres Essen in stressfreier Atmosphäre. Letztlich kommt das auch von der Bühne wieder zurück. Wenn die Zuschauer entspannt in den Saal gehen und nicht schon irgendeinen Kleinkrieg um die besten Plätze ausgetragen haben, dann prägt das die Atmosphäre. Deshalb haben wir auch schon vor vielen Jahren die freie Platzwahl abgeschafft, damit das einfach ein Ende hat, dass Leute in den Saal laufen und mit Jacken Plätze für andere belegen. Das sind Szenen, die werde ich nicht vergessen …

Was können andere daraus lernen?

Ich würde auf jeden Fall mit den Gastronomen am Veranstaltungsort ins Gespräch gehen, was dort angeboten werden kann. Das würde ich nicht dem Zufall überlassen

Es gibt die Großen, es gibt die vielen Kleinen. Wie entwickelt sich das weiter?

Ich finde das bewundernswert, dass die so genannten „Kleinen“, die ich ausdrücklich in Anführungszeichen setze, sich überhaupt nicht einschüchtern lassen. Sie haben vielleicht nicht dieses voluminöse Kulturangebot, aber sie bieten etwas an. Und sie erkennen die Wichtigkeit und die Notwendigkeit eines Kulturangebots in ihrer Gemeinde, in ihrer Stadt. Ich freue mich, wenn ich in der Zeitung lese, was zum Beispiel in Neunkirchen auf die Beine gestellt wird, und ich finde es noch besser, dass sich der Bürgermeister daneben stellt und sich zur Kultur bekennt. Auch die Bemühungen in Netphen sind klasse: Auch wenn der Geschäftsführer aktuell nicht aktiv sein kann, führen die Kollegen das Angebot fort, weil es einfach nicht in Frage kommt, aufzuhören. Diese Unterscheidung von „groß“ und „klein“ gibt es in meinen Augen nicht. Es ist für die „Kleinen“ allerdings schwieriger, zu werben, es ist weniger Geld, weniger Wirtschaftspower dahinter als bei den „Großen“. Die Kollegen sind aber sehr erfinderisch und suchen sich ihre Wege, um ihr Kulturprogramm darzustellen. Das ist aller Anerkennung wert.

Nur wenige Kommunen leisten sich Kulturamtsleiter, einen Kulturreferenten beim Kreis gibt es auch nicht mehr. Personen, die die Szene geprägt haben, hören auf und werden nicht ersetzt. Macht das dem Kulturring Sorgen?

Ich habe diesen Trend noch nicht festgestellt. Die Zeit ist spannend. Man muss sehen, wohin die Reise geht – man muss denen, die Aufgaben neu übernehmen, auch Zeit lassen sich zu entwickeln. Es ist bewundernswert, was die, die da sind, auf die Beine stellen. Da mache ich mir keine Sorgen.

Wie wird Kultur in Siegen-Wittgenstein in 20 Jahren aussehen?

Ich wünsche mir, dass ein Kulturring dann noch besteht und die Menschen, die dann aktiv sind, noch mehr zusammenrücken und noch mehr Projekte gemeinsam auf die Reise schicken können. Vielleicht ein zweites, drittes Festival. Vielleicht, dass alle zwei Jahre in wechselnden Ortschaften mal etwas Größeres aufgezogen wird. Siegen als Kulturstandort steht ja wie eine Eins. Das hat Siegen auch verdient. Aber ich wünsche mir, dass das Umland dabei nicht in Vergessenheit gerät. Dafür müssen mehrere Hände in einer Richtung an einem Seil ziehen. Ich könnte mir vorstellen, dass Genres an Attraktivität gewinnen, die wir in der Gegenwart noch gar nicht auf dem Radar haben.

Zur Person

Holger Glasmachers (56) ist seit 2008 Kulturamtsleiter der Stadt Kreuztal, im April 2018 wurde er zum Vorsitzenden des Kulturrings Siegerland-Wittgenstein gewählt.

Er hat 1988, wie sein Vorgänger Michael Townsend, zunächst in der städtischen Jugendpflege gearbeitet und unter anderem einen Jugendtreff geleitet. 1993 ging er als Veranstaltungsmanager in das neu geschaffene Kulturreferat.

Digitaler als heute?

Vielleicht ist irgendwann die Stadthalle leer. Dafür stehen unsere Techniker hinter 20 Kameras und wir verkaufen die Produktion ticketweise in die Wohnzimmer der Menschen. Wer weiß es?

Oder die gucken alle in der Stadthalle auf ihre Tablets.

Oder so. Es gibt ja genug Kinos, die Opernübertragungen anbieten. Etwas, das dem Public Viewing beim Fußball entspricht, kann in der Kultur durchaus auch zum Tragen kommen. Ich bin gespannt. Wichtig ist, dass die Künstler nicht nachlassen, dass die Talente auf die Bühnen streben, dass alle darstellerischen Formen, über die Menschen verfügen, auch gezeigt werden. Dann werden die Menschen auch nicht müde Kultur in all ihren Formen live und wahrhaftig erleben zu wollen.

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