Kreuztal. . Bestandsaufnahme öffnet Geldquellen für Investitionen. Eine der ersten „familiengerechten Kommunen“

Vielleicht ist die Geschichte, die hier erzählt wird, gar nicht spektakulär. Aber im Kreis der kleineren und mittleren Städte im Umland von Siegen ist sie schon einzigartig: Kreuztal wirbt nicht nur, wie fast jede Kommune, um junge Familien – sie leistet sie sich auch. „Wenn man von außen auf Kreuztal schaut, ist das wirklich beeindruckend“, sagt Edelgard Blümel. Sie hat das vom Ruhrgebiet aus getan. 2014 wurde sie vom Kreuztaler Rat zur Beigeordneten für das Sozial- und Schuldezernat gewählt.

Was die Stadt getan hat

2005 wird im Kreuztaler Rathaus ein Amt für Kinder, Jugend, Familie und Stadtteilmanagement eingerichtet – das gab es nirgendwo sonst. „Das war immer schon ein Bereich, der besser ausgestattet war als im kreisweiten Vergleich“, sagt Amtsleiter Uwe Montanus. Als erste Stadt außerhalb Siegens hatte Kreuztal einen Jugendpfleger: Michael Townsend, der später Stadtdirektor in Bochum wurde und in Kreuztal den Stab an Uwe Montanus weitergab. Bereits vorhanden war zu diesem Zeitpunkt das Familienbüro.

2007 erforscht das Zefir-Institut der Universität Bochum die Lebenssituation für Familien in Kreuztal. Als Teilnehmer am Pilotprojekt bezahlt die Stadt für ihren ersten Familienbericht nichts. In der Hand hält die Verwaltung nun Daten, mit denen sie nachweisen kann, wie ungleich schwieriger die Lebensbedingungen in der Stadtmitte im Vergleich zu anderen Stadtteilen sind. „Ein Aha-Erlebnis“, sagt Montanus, „das war der Auslöser für alles Weitere.“

Junge Stadt braucht auch die Älteren

„Mit allen Mitteln und Maßnahmen“, so Stadträtin Blümel, werde sich Kreuztal auch weiter um Familien kümmern – wozu im Übrigen auch das Integrationskonzept gehöre. „Es wäre schön, wenn wir alle Kinder und Eltern erreichen und halten könnten.“ Keinen Zweifel lässt die Beigeordnete daran, dass das auch einen Preis hat: „Ohne Personal kann man solche Strukturen nicht schaffen“, sagt sie, „doch davon holen wir ein Vielfaches für die Kommune wieder heraus.“

„Der dynamische Teil der Gesellschaft muss stark sein“, sagt Uwe Montanus. Kreuztal ist eine junge Stadt geworden – für die ihre Alten wichtig sind. „Eine gesunde Mischung ist auch für Familien wichtig“, sagt Edelgard Blümel, „nur junge Familien würden die Infrastruktur der Stadt auch überstrapazieren.“

2008 formiert sich das „Kreuztaler Bündnis für Familie“ und schmiedet Pläne, wer in der Stadt was tun kann: Schulen, Kitas, Vereine, Kirchen, Unternehmen, Kammern, Beratungsstellen, Wohlfahrtsverbände... Die Menschen dafür zusammenzubekommen, sei „überhaupt kein Problem gewesen“, erinnert sich Montanus an die Aktion vor zehn Jahren, „im Grunde haben alle darauf gewartet.“ Allererstes Projekt war der „Begrüßungsbesuch“ in den Familien mit Neugeborenen.

2010 gehört Kreuztal zusammen mit sieben weiteren Kommunen zu den ersten in NRW, die als „Familiengerechte Kommune“ zertifiziert werden. Nach einem bestandenen Audit wird das Zertifikat 2015 erneuert.

Wie die Stadt sich verändert

Familienpolitik ist Bundes- und Landessache. Die Kommune könne eigentlich nur „Begleitmusik spielen“, sagt Uwe Montanus. Wobei, zuerst bei den B egrüßungsbesuchen und später bei vielen anderen Vorhaben die Ehrenamtlichen mit im Boot sind. „Im Grunde sind alle gefragt“, sagt Montanus – zusammen komme ein „unglaubliches Knowhow“. Stadträtin Blümel bestätigt: „Wir haben von Anfang an eine gute Beteiligungskultur.

Die Infrastruktur ist der andere Baustein – denn 2005 startet auch der bundesweite „Stadtumbau West“. Mit den Daten aus dem Familienbericht in der Hand lassen sich Förderanträge gut begründen. Die ersten 2,9 Millionen Euro werden bewilligt, unter anderem für das Quartiersmanagement in der Fritz-Erler-Siedlung. „Im Grunde hatten wir einen Blankoscheck bekommen“, sagt Uwe Montanus: der Startschuss für die Erneuerung der Siedlung, für den Heugraben, für den Roten Platz mit der Bibliothek. Heute heißt es Programm „Soziale Stadt“ – und ist immer noch nicht abgeschlossen. Aktuell in Bau: die Jugendbegegnungsstätte. Und demnächst: der S chul- und Sportcampus.

„Das hat Kreuztal gut getan“, stellt Stadträtin Edelgard Blümel fest: Dass die Stadt an Einwohnern zugelegt hat, sei sicher auch auf ihr Engagement für Familien und keineswegs nur auf den Zuzug von Geflüchteten zurückzuführen. 2016 liegt der zweite Familienbericht vor: Die Familieneinkommen sind deutlich gestiegen. Der Anteil der Alleinerziehenden, die als arm gelten, hat sich mehr als halbiert – auch deshalb, weil mehr von ihnen die Möglichkeit hatten, einen Vollzeitjob anzunehmen. Entsprechend erhöhen sich die Belegungszeiten der Kitas und die Nutzung des offenen Ganztags in den Grundschulen. Gestiegen ist der Anteil derer, die mit ihrer Wohnsituation zufrieden sind. Wobei es immer noch deutliche Defizite in der Stadtmitte gibt.

Was weiter zu tun ist

Infrastruktur: Auch im integrierten Handlungskonzept mit 22 Projekten, das die Stadt jetzt aufgestellt hat, sei „ein dicker Teil Prävention“, sagt Uwe Montanus, „vieles für Kinder, Jugendliche und Familien“, zum Beispiel der Familienstützpunkt, der an der Grundschule an Dreslers Park entsteht.

Wohnen: „Es ist wichtig, dass wir uns schnell auf den Weg machen“, sagt Stadträtin Edelgard Blümel, das Wohnbaulandkonzept sei ein „nötiger und wichtiger Schritt“. Die Erlersiedlung sei „voll“, die Zeiten vergessen, in denen wegen der vielen Leerstände von einem Teilabriss die Rede war: „Man merkt, dass die da was tun.“

Das tut Kreuztal für Familien: Vom Elternabend bis zum preiswerten Bauplatz

Familienbüro: Das Familienbüro ist die zentrale Anlaufstelle für Familien, es befindet sich im Sparkassengebäude neben dem Rathaus. Der Online-Familienwegweiser steht im Netz: familie.kreuztal.de, das Infotelefon hat die Nummer 02732/51-240.

Frühe Hilfen: So heißt der Arbeitskreis von Haupt- und Ehrenamtlichen, der sich 2008 zum Auftakt des „Kreuztaler Bündnisses für Familie“ gebildet hat. Dabei sind auch Kinderschutzbund, Hebammen-Kreisverband, Ärzte, Kitas und Caritas. 2017 sind 92 Prozent aller 288 möglichen Besuche in Familien, die neuen Nachwuchs bekommen haben, auch zustande gekommen. Neben Informationen hat das Besuchsteam auch einen Geschenkgutschein dabei, an dem sich 64 Sponsoren beteiligen.

Familienbildung: „Knirps, Fratz & Co“ heißt der halbjährliche Programmkalender, den das Familienbüro herausgibt. Er enthält Angebote für Eltern sowie für Eltern und Kinder gemeinsam. Das Spektrum reicht vom Baby- und Kleinkindschwimmen („Wasserflöhe“) bis zum Elternabend zu Rechts- und Linkshändigkeit.

Ferienbetreuung bietet die Stadt in allen Schulferien für Grundschulkinder an, außerdem betreute Ferienfreizeiten. Erprobt wurde auch die Ferienbetreuung im Sekundarbereich; dafür reichte allerdings die Nachfrage nicht.

Sprachkurse werden für Kinder und Erwachsene angeboten. Es gibt Konversationskurse sowie Kurse, die sich speziell an Frauen und an Kinder richten. „Mama lernt Deutsch“ wird an fünf Standorten eingerichtet.

Stadtpass: Familien mit mindestens einem Kind und geringem Einkommen bekommen den Stadtpass, der Vergünstigungen von 50 Prozent bei Bildungs- und Freizeitangeboten einschließlich Klassenfahrten und Musikschule, Kinderbetreuung und Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen ermöglicht. Mit den 219 Stadtpässen, die 2017 ausgestellt waren, wurden 847 Personen erreicht.

Familienkarte: Sie berechtigt zum Rabatt beim Einkaufen, 2000 der 4000 Familien mit mindestens einem Kind unter 18 nutzen das Angebot. 61 Partnerunternehmen aus Dienstleistung, Handel, Handwerk und Gastronomie haben sich angeschlossen.

Förderprogramm für Baugrundstücke und Jung kauft alt: Ihre eigenen Bauplätze verkauft die Stadt an Familien günstiger. Zuschüsse bekommt, wer ein vor 1970 errichtetes Haus kauft.

Schuldner- und Insolvenzberatung: Caritas und Diakonie bieten montags und dienstags Sprechstunden im Haus Martin-Luther-Straße 2 an; finanziert wird die Beratung von der Stadt.

Mehrgenerationenhaus: Seit 2010 ist das Stadtteilbüro in der Erlersiedlung Mehrgenerationenhaus. Unterstützung gibt es dort in den Bereichen Alter und Pflege sowie Integration und Bildung.

Heinzelwerker: Seit 2014 gibt es diesen Zusammenschluss von älteren Ehrenamtlichen, die kostenlos einfache handwerkliche Arbeiten ausführen – ein Projekt unter dem Dach des Mehrgenerationenhauses.

Taschengeldbörse: Für ein Taschengeld helfen Schülerinnen und Schüler in Haus und Garten. Ein Projekt des Mehrgenerationenhauses, das – wie bei den Heinzelwerkern – das Miteinander der Generationen und gute Nachbarschaften pflegen soll.

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