Ferndorf. . Neue Ausgabe der Zeitschrift „Siegerland“ widmet sich der Zeit, als Ferndorf eine Hochburg des Flugsports war. Rekord von 1935 steht bis heute.

Sechs Stunden, sechs Minuten, vier Sekunden. So lange bleibt der Segelflieger in der Luft, mit dem Paul Demandt 1935 von der Martinshardt abhebt. Der Rekord steht heute noch. Wie Ferndorf zum Mekka des Segelfliegens wird, hat Katrin Stein für den zweiten Band der Ferndorfer Dorfchronik dokumentiert. Um die Fliegerhalle geht es in ihrem Aufsatz für das erste Heft der Zeitschrift „Siegerland“ in diesem Jahr, das der Siegerländer Heimat- und Geschichtsverein herausgibt.

1928 bauen Jugendliche im Schuppen der Gastwirtschaft Demandt ihr erstes Gleitflugzeug, sie versuchen es zumindest. Fluglehrer Albert Klein, dessen Handicap ein Hang zur Luftkrankheit ist, spricht von einem „Lattengestell mit viel angehängtem Draht“. Der zweite Versuch gelingt: „Franz“, benannt nach Schaubstahl-Inhaber Dr, Franz Reimer, hebt erfolgreich ab. „Danach übte man zunächst auf der Ginsberger Heide, denn man wollte die Ferndorfer Landwirte schonend auf den zu erwartenden Flugbetrieb vorbereiten“, merkt Katrin Stein an.

1932 wird Dr. Franz Reimer (1898-1975) Vorsitzender des neuen „Luftfahrtvereins Kyffhäuserjugend Ferndorf“. Das große Projekt ist der Bau eines „Fliegerlagers“ am Fuße der Rode Null, das zeitgleich mit dem Arbeitsdienstlager Irlenhecken vom Freiwilligen Arbeitsdienst errichtet wird, mit Platz für neun Flugzeuge und Schlafsälen für 30 Mann. Für das Fachwerk wurde das Holz von der gerade abgebrochenen Littfelder Grube Viktoria verwendet.

1934 wird ein dreigeschossiger Anbau fertig. Ferndorf ist eine von fünf Luftfahrtschulen in Preußen, an denen Gewerbelehrer ausgebildet werden. „So mancher Erwachsene wollte nun endgültig nicht mehr dabei sein“, berichtet Katrin Stein über das Jahr 1937, als das Nationalsozialistische Fliegerkorps Herr im Hause wird. Neben Burbach und Freudenberg ist Ferndorf Standort der Flieger HJ. Geschleppt werden die Segelflieger von Menschen, Pferden oder dem Motorrad „Falke“ von Albert Klein — so weit man sich nicht für den Katapultstart mit gespannten Gummiseilen entscheidet. Friedrich Flick schenkt den Ferndorfern 1936 einen Hochleistungssegler. Das Ferndorfer Fliegerheim, so Katrin Stein, wird „weit über die Grenzen der Region bekannt als Hochburg des Segelfliegens“. Bruchlandungen bleiben nicht aus. Auch noch Schlimmeres nicht: 1933 stürzt Walter Junk über einem Müsener Weidekampen ab und ist fort tot, 1934 wird der zehnjährige Werner Schreiber von einem landenden Segelflieger erfasst und tödlich verletzt.

1935 stürzt Arthur Haardt, der in Ferndorf das „Kindelsberg Baby“ dreidreiviertel Stunden 800 Meter über der Martinshardt hält und als einer der Pioniere des Siegerländer Flugsports gilt, bei Hannover tödlich ab.

1941 werden die Schulungen in Fermdorf eingestellt, die Eisernhardt in Siegen hat sich als technisch und finanziell günstigere Alternative durchgesetzt. Bis August 1942 finden noch die 14-tägigen Modellbaukurse statt.

1945 nach Kriegsende verbrennen die Alliierten die Flugzeuge.

1946 nimmt die Adolf Binte & Co Nährmittelfabrik in dem ehemaligen Fliegerheim die Produktion von Suppenwürze für die Schulspeisung auf — die Caritas, die dort ein Erholungsheim für Kinder aus zerstörten Städten einrichten will, hat das Nachsehen. Von 1960 bis 1963 produziert dort die „Internationale Bremsengesellschaft“, die nach ihrem Konkurs von der Firma Bubenzer (Freudenberg) übernommen wird. Seit Mitte der 1960er- Jahre stellt „Siplast“ („Siegerländer Plastik“) an der Kindelsbergstraße Ringbücher, Ausweishüllen und anderes Büromaterial her. Mehrfach wird um- und angebaut. Die Fliegerhalle von 1934 gibt es aber immer noch.

1954, drei Jahre nach der Freigabe des Segelflugs, gründet sich der Luftsportverein Ferndorf neu und schließt sich gemeinsam mit Vereinen aus Freudenberg, Netphen und Lennestadt der Flugplatzgemeinschaft Hünsborn an; die Vereine schließen sich 2016 zusammen.

Eisenbahn-Kämpfe und ein desaströser Orgel-Neubau

Das sind weitere Themen aus dem neuen Heft von „Siegerland“:

Am 7. Juli 1915 fährt die Eisenbahn nicht mehr entlang der Chaussee von Kreuztal nach Hilchenbach, wo sie sich zunehmend zum Verkehrshindernis entwickelt, sondern auf dem eigenen Damm am Rande des Tals. Horst Gräfe stellt dar, dass der Weg dorthin nicht einfach war. Die Firmen in Dahlbruch und die Müsener Grubenbahn machten Druck, die Cöln-Müsener Aktiengesellschaft drohte gar mit der Schließung ihres Werks in Lohe, wenn ihre Ladestelle aufgehoben würde. Schließlich wurde auf einem zehn Meter hohen Damm ein Verbindungsgleis vom alten zum neuen Bahnhof gelegt. In Kredenbach setzten sich die Befürworter einer Brücke durch, sonst hätte da ein Damm das Dorf geteilt. Engagiert kämpfte Stift Keppel für die eigene Haltestelle – die höheren Töchter bekamen immer einen Tag früher Ferien, um ihnen die Reise in überfüllten Zügen zu ersparen.

Johannes Thies beginnt 1777 mit dem Bau einer Orgel in Müsen. Gabriel Isenberg hat die Quellen studiert und ein Desaster entdeckt. Der Ton sei „rauschend, holzigt und wankend“, „Kunst und Accuratesse hatte keinen Antheil am ganzen Werk“, der Meister sei „dergestalt an dem Brandewein überladen, dass er zur Arbeit und zum Überlegen ganz untüchtig“ gewesen sei, heißt es in den Berichten des Konsistoriums. Hundert Jahre schlagen sich die Müsener mit dem verunglückten Instrument herum, bis sie sich dann 1877 eine Ladegast-Orgel leisten können. 1893 allerdings brennt dann schon die Kirche mit der übrigen Dorfmitte ab.

Johann Heinrich Jung und Heinrich Stilling sind dieselbe Person. Ursula Broicher analysiert, wann Jung unter seinem bürgerlichen Namen und wann er unter seinem Pseudonym schreibt – die Bindestrich-Verbindung zu „Jung-Stilling“ ist erst eine Erfindung der Nachwelt.

>>>Das 120 Seiten starke Heft mit weiteren Beiträgen über Grenzsteine, Tilmann Stolz und das Hüttenwesen gibt es im Buchhandel.