Nauholz. . Vor 50 Jahren übernimmt der Netphener Amtsdirektor als Staatskommissar das Regiment im von den letzten Einwohnern verlassenen Nauholz.
1968 beginnt der Bau der Obernautalsperre. Alt-Brauersdorf und Obernau sind heute vom Wasser überspült, von Nauholz ist eine Wüstung geblieben, die sich die Natur in 50 Jahren nach und nach zurückholt. Der Gastwirt Helmut Werthenbach und seine Familie zogen als Letzte weg. Den formalen Akt vollzog der Innenminister am 6. August 1968: Weil Nauholz keinen beschlussfähigen Gemeinderat mehr hatte, setzte er den Netphener Amtsdirektor Robert Ermert als Staatskommissar ein.
Was damals war
1953, am 9. September , wird im Kreuztaler Gasthof Münker der Wasserverband Siegerland gegründet, der seinen Sitz zunächst in Hilchenbach hat — denn dort beginnt im selben Jahr der Bau der Breitenbachtalsperre. Dass die nicht ausreicht, um das ganze Siegerland zu versorgen, erweist sich im Dürresommer 1959. Der Verband entscheidet sich gegen eine Dreisbachtalsperre oberhalb von Eckmannshausen und nimmt das Obernau-Projekt in Angriff. 1960 beginnen die Vermessungen.
1961steht fest, dass außer Alt-Brauersdorf auch Obernau überflutet wird. „Nauholz braucht nicht ausgesiedelt zu werden“, heißt es in einem Sitzungsprotokoll. Festgelegt wird, dass eine Trinkwassertalsperre angelegt wird – das hat Folgen für die Schutzzonen.
Allerdings wird 1961 noch darüber nachgedacht, Wassersport und Badebetrieb in den Vorstaubecken zuzulassen. 1963 beginnen die Beauftragten des Wasserverbands, mit den Bewohnern zu sprechen. „Es ist zu erwarten, dass die Grundstücksverhandlungen sehr lange dauern und problematisch sind.“
1964 ist im Januar die „konsequente Beachtung der Richtlinien für Trinkwassertalsperren“ Grund für die Entscheidung, auch Nauholz aufzugeben: „Der Vorstand bedauert, wenn ein falscher Eindruck (...) entstanden ist, da nicht die Absicht bestand, die Bewohner von Nauholz bewusst im Unklaren zu lassen.“
1968 und in den Jahren davor: Tränen fließen, Argwohn und Misstrauen machen sich breit, wenn die Männer vom Wasserverband von den Nachbarn herauskommen: Haben die unterschrieben? Zu welchem Preis? Wenige bauen anderswo einen neuen Hof auf, viele arbeiten nun in der Industrie, einige beim Wasserverband. Und einer sattelt gleich ganz um: Heinrich Schäfer macht das Ausfluglokal „Zur Heinrichshöhe“ auf, oben über dem Talsperrendamm. Neu-Nauholz in der Wüste Beienbach ist nie gebaut worden.
Die 365 Einwohner zogen in die anderen Brauersdorfer Baugebiete, nach Netphen in die Junge Ecke und nach Deuz in den Beienbacher und Nauholzer Weg. 71 landwirtschaftliche Anwesen, vier Gaststätten, zwei Schulen und zwei Kapellen wurden abgebrochen. Angezündet von der Feuerwehr. „Daran denke ich heute noch, wenn ich Feuer sehe“, sagte eine ehemalige Nauholzerin, als sie von dieser Zeitung nach ihren Erinnerungen gefragt wurde — 1982, zehn Jahre nach Eröffnung der Talsperre. „Das von den Bewohnern der Allgemeinheit gebrachte Opfer muss hoch bewertet werden“, sagte Netphens Beigeordneter Ulf Stötzel 1972 aus Anlass der Eröffnungs-Festtage. Nauholz hätte 2028 seine 700-Jahrfeier feiern können, Obernau schon 2011.
Was heute ist
Obernau gibt es wieder: Der Straßenplan im Siegerländer Weiler, der im Freilichtmuseum Detmold steht, ist dem untergegangenen Talsperrendorf nachempfunden.
Schon 2001 wurde die alte wiederaufgebaute Werthenbacher Kapelle mit dem Ölgemälde von der Heiligen Genoveva an der Wand in Detmold wieder geweiht; in Werthenbach, wo sie seit 1737 stand, war sie 1965 abgetragen worden. 2010 wurde in Niederschelden die Tankstelle (Baujahr 1951) zerlegt und bis 2013 wieder aufgebaut — das neue „Obernau“ bekommt die Infrastruktur aus den 1960er Jahren, die der Ort selbst nie richtig erlebt hat.
Gerade begonnen hat der Aufbau des Hauses Stöcker: Das Fachwerkhaus aus dem Jahr 1797 war 1965 in Burgholdinghausen abgetragen worden; 2020 soll es wieder stehen. Aus den Talsperrendörfern selbst wurden der Brauersdorfer Gasthof Werthenbach (Baujahr 1750) und die alte Brauersdorfer Wassermühle in Detmold eingelagert.
„Nauholz lebt“ heißt die Homepage der ehemaligen Nauholzer, die sich zuletzt in diesem Sommer in ihrer alten Ortsmitte wiedergesehen haben. Bei einem Ortsrundgang haben sie Tafeln mit den Bildern ihrer Häuser aufgestellt — da, wo sie bis zum Abriss auch standen.
Geblieben sind ein paar Obstbäume zwei Haus-Eschen und natürlich der Nauholzbach. Als Treffpunkt zum Feiern dient der hinter der Höh stehengebliebene Lagerschuppen. Übrig geblieben sind die Waldgenossenschaft und das Jagdrevier. Die Glocke der Nauholzer Kapelle hat, zusammen mit den Glocken aus Obernau und Brauersdorf, ihren Platz im Glockenturm auf dem Talsperrendamm in Brauersdorf gefunden.