Siegerland. . Ein Doppelband ist die aktuelle Ausgabe geworden. Im Blickpunkt: Neue Erkenntnisse und Forschungsbeiträge zur Geschichte des Siegerlands.
„Wir haben alles reingepackt, was vorlag“, sagt der Historiker Dr. Bernd Plaum. Gemeint ist die aktuelle Ausgabe der „Siegener Beiträge“, für deren Inhalt Plaum zusammen mit Ludwig Burwitz, Leiter des Siegener Stadtarchivs, und Christian Brachthäuser redaktionell verantwortlich ist. Ein Doppelband ist es geworden mit neuen Erkenntnissen und Forschungsbeiträgen zur Geschichte des Siegerlands.
Ausgewählte Beiträge
1. Baugeschichte Oberes Schloss. Der aktuellste und umfassendste Aufsatz über die Geschichte des Bauwerks, freut sich Plaum. Autor und Burgenfachmann Jens Friedhoff habe den Beitrag mit viel Herzblut geschrieben und sich dabei einem Thema gewidmet, das trotz guter Quellenlage nur wenig Aufmerksamkeit in der Forschung erfahren habe. Bislang.
Friedhoff beginnt logischerweise am Anfang: 1224 wird eine Burg in Siegen indirekt genannt – erwähnt werden in einer Urkunde „Burgmannen“ – die offensichtlich zu einer Festung gehören müssen. Friedhoff sieht hier am Zusammenfluss von Sieg und Weiß die Keimzelle der späteren Stadt Siegen. Eine Befestigung im 13. Jahrhundert weisen auch die archäologischen Funde hin: Ein massiver Bergfried – nicht ganz so eindrucksvoll wie der der Ginsburg – thronte zu dieser Zeit über der Burg und sicherte die Hauptangriffsfront zur Stadt hin.
Geschleift wurde der Rundturm im 16. Jahrhundert – die Kriegsführung hatte sich verändert, die Türme waren militärisch nur noch begrenzt hilfreich: Durch Beschuss mit mauerbrechenden Feuerwaffen war ein Bergfried über dem Burgherrn zusammengestürzt und das fürchtete wohl auch der Siegener Graf Wilhelm der Reiche von Nassau. Weg mit dem Gemäuer.
In der Zeit des Barock wandelte sich der Charakter von der Festung zu Residenz – Graf Johann VII. ließ einen Hofgarten anlegen. Fürst Johann Franz Desideratus ließ dann in den 1680ern aber doch die Befestigungsanlagen erneuern.
Das schien auch bitter nötig, denn der Streit zwischen katholischem und evangelischem Zweig des Fürstenhauses wurde intensiver: Ein Geschützturm am Haingarten (im Volksmund „platte Merje“) war auf die protestantischen Vettern im Unteren Schloss gerichtet. Den wiederum demolierten aufgebrachte Untertanen mit Hilfe preußischer Truppen, der entmachtete damalige Landesherr Fürst Hyazinth plante trotz Exils einen neuen, noch stärkeren Geschützturm.
Erhältlich im örtlichen Buchhandel
Die Siegener Beiträge – Jahrbuch für regionale Geschichte 2017/18 sind e
rhältlich im Buchhandel und im Stadtarchiv Siegen im Krönchen-Center.
Die nächste Ausgabe soll 2019 erscheinen – die ersten Beiträge liegen bereits vor. „Es ist nicht hoch genug anzuerkennen, dass die Autoren die Beiträge ehrenamtlich und ohne Honorar verfassen“, sagt Ludwig Burwitz – erst recht, weil die Redaktion und die Autoren selbst hohe Ansprüche an die Qualität der Beiträge haben.
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bäumte sich der verblassende Herrschaftssitz ein letztes Mal gegen die zunehmende Bedeutungslosigkeit auf, mit Bau- und Restaurationsarbeiten.
2. Der Vaterländische Frauenverein für den Kreis Siegen. Plaum selbst beschäftigte sich mit dem Thema Sozialpolitik, unter anderem der „Vagabundenfrage“ – umherziehende Arbeitslose in der Zeit der Industrialisierung. In diesem Zuge wurde der Historiker aufmerksam auf den 1895 gegründeten Frauenverein, arbeitete dessen Geschichte auf – und „muss das Gründungsjahr der Kinderklinik revidieren“, sagt er: Bereits 1904 wurden im Walderholungsheim im Charlottental unter ärztlicher Betreuung arme Kinder aufgepäppelt.
„Die Kinderkrippe von 1917 diente nur dazu, dass Mütter im Kriegsdienst arbeiten können“, so Plaums Befund. Einen weiteren medizinischen Hintergrund habe die Krippe nicht gehabt. Im Walderholungsheim hingegen wurden sie medizinisch und pflegerisch betreut.
Gegründet jedenfalls wurde bereits der Frauenverein zu diesem Zweck: Die Frauen leisteten Unterstützung im Kriegssanitätsdienst an der Heimatfront. Weil zu dieser Zeit mal kein Krieg herrschte und die Sozialfürsorge des Staates um die Jahrhundertwende noch in den Kinderschuhen steckte, widmeten sich die Frauen der Kranken- und Armenpflege – und der Kindererziehung. „Die Kommunalverwaltungen machten sich die ausbreitende Privatwohltätigkeit zunutze“, schreibt Plaum.
1896 gab es im Siegerland bereits zwölf Ortsgruppen, 1900 waren es schon 15. 2037 Mitglieder hatte der Frauenverein, bot Frauen eine Plattform für ihr soziales, ehrenamtliches und zunehmend berufliches Engagement – und war für die provinzielle Industriegesellschaft von entscheidender Bedeutung: Wohnungsnot, Mangelernährung, Krankheiten waren Begleiterscheinungen, der Frauenverein engagierte sich entsprechend in der „sozialen Hygiene“, die sich an die Unterschicht richtete – die Arbeiterschaft.
Heutige Strukturen wurden dabei teils vorweggenommen: Die Verwaltungen mussten sich in diesen Fragen personell nicht stärker engagieren, sondern finanzierten die Projekte. Der Frauenverein bildete Krankenpflegerinnen aus, lehrte die Arbeiterfrauen und -töchter in der Industrieschule Weidenau „geschicktes Haushalten“ – im Siegerland wurden eher schlechte Löhne gezahlt, die Ehefrauen mussten die finanziellen Ausfälle kompensieren.
Der Frauenverein beschaffte Kleidungsstücke, Nahrung und Haushaltsgegenstände für die Armen, betrieb eine Volksküche, einen Kinderhort, verteilte Milch an Schüler und sorgte für die Unterbringung kranker Kinder in Kureinrichtungen und Krankenhäusern. In diesem Zuge wurde ab 1902 auch das Walderholungsheim im Charlottental gegründet, um Kinder möglichst in Nähe zur Stadt Siegen wieder aufzupäppeln, die Kinder wurden im vierwöchigen Wechsel „ausgetauscht“.
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