Siegen. . Unkontrollierter Harn- und Stuhlverlust: Experten referieren über Therapiemöglichkeiten in Siegen. Sie wollen das Thema aus der Tabuzone holen.
Das Thema unkontrollierter Harn- und Stuhlverlust aus der Tabuzone holen: Dieses Ziel haben sich Fachleute verschiedener medizinischer Bereiche bei der Veranstaltung „Harn- und Stuhlinkontinenz bei Frauen und Männern“ gesetzt. Rund 60 Besucher folgten der Einladung des Diakonie Klinikums Jung-Stilling ins Haus Obere Hengsbach. Dort verdeutlichten Experten, dass bei unwillkürlichem Abgang von Urin oder Stuhl der Gang zum Arzt nicht gescheut werden sollte. „Für die Leiden können unterschiedliche Gründe ursächlich sein, deren Auswirkungen individuell behandelt werden müssen“, sagte Dr. Peter Weib, Chefarzt der Urologie.
Harnverlust
Bei einer Inkontinenz spielen verschiedene medizinische Fachbereiche eine Rolle. „Patienten mit Blasenproblemen sollten demnach nicht verwundert sein, wenn ihr Urologe nach Rückenbeschwerden fragt“, so Professor Dr. Veit Braun, Chefarzt der Neurochirurgie. Eine Harninkontinenz könne unter anderem durch einen Bandscheibenvorfall ausgelöst werden. Behandelt wird eine solche sogenannte Reflexinkontinenz zunächst medikamentös.
Vor allem bei Frauen stelle Blasenschwäche oft ein verstecktes Leiden dar. Je nach Fall kommen unterschiedliche Krankheitsformen infrage:
Belastungsinkontinenz: Wer Sport macht, niest oder lacht und dabei Harn verliert, ist von einer Belastungsinkontinenz betroffen. Geburten, eine Bindegewebsschwäche und höheres Alter sind meist ursächlich. „Helfen kann es, wenn der Beckenboden beim Gehen immer wieder angespannt wird, um die Muskeln im Unterleib zu trainieren“, so Dr. Dieter Hofmann, Facharzt für Gynäkologie. Auch könne ein sogenanntes Würfelpessar sinnvoll sein, welches Patientinnen sich morgens wie einen Tampon einführen und abends wieder entfernen. Auch ein operativer Eingriff sei möglich. Bei Männern könne eine Belastungsinkontinenz nach Entfernung der Prostata entstehen. Ihnen können Beckenbodentraining, Medikamente oder Elektrotherapien helfen.
Dranginkontinenz: Ist die Blase überaktiv, sprechen Mediziner von einer Dranginkontinenz. Betroffene Frauen und Männer verspüren trotz geringer Urinmenge starken Harndrang. „Bis eine Toilette aufgefunden wird, ist es meist schon zu spät“, erklärte Dr. Friedericke Winter, Fachärztin für Urologie. Erkrankungen wie Schlaganfälle, eine Demenz, Gebärmuttersenkung oder vergrößerte Prostata können eine Dranginkontinenz auslösen. Per Botox-Injektion kann die überaktive Muskulatur erschlafft und der Drang gelindert werden. Mit einer sogenannten Blasenaugmentation entfernen Chirurgen den krankhaft veränderten Blasenbereich und vergrößern die Blasenkapazität, indem sie einen Teil des Darms auf die Blase nähen.
Stuhlverlust
Auch die willentliche Darmentleerung kann beeinträchtigt sein. Ausgelöst durch unter anderem eine schwache Beckenbodenmuskulatur, Darmrisse, einen geschädigten Anal-Schließmuskel oder neurologische Krankheiten gehen Darmgase, flüssiger sowie fester Stuhl unkontrolliert ab. „Bevor eine Darminkontinenz therapiert wird, sollten zunächst mögliche Grunderkrankungen wie eine Darminfektion behandelt werden“, so Dr. Andreas Müller, Chefarzt der Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie. Erst dann helfe es, weitere Maßnahmen einzuleiten. Neben Beckenbodengymnastik und Medikamenten könnten Nervenschäden per Schrittmacher stimuliert und ein intakter Schließmuskel per Muskelgewebe aus dem eigenen Bein ersetzt werden.
Hilfsmittel
Wer von Harn- oder Stuhlinkontinenz betroffen ist, braucht oft Hilfsmittel. „Ob Urinbeutel, Katheter, oder Windeln – ihr Einsatz sollte stets hygienisch gehandhabt werden, um Hautreizungen und Infektionen vorzubeugen“, sagte Bernd Ginsberg vom Sanitätshaus BEGI in Siegen. Bei einem Bauchdeckenkatheter ist zu beachten, dass der Schlauch nicht knickt und der Urin optimal abfließt.
Außerdem sei es wichtig, die Hilfsmittel frühzeitig nachzubestellen und dass das Rezeptdatum vor dem Lieferdatum liegt, da sonst eine Zuzahlung nötig wird.