Buschhütten/Siegen. . Nächtliche Messerstecherei in Buschhütten: Angeklagter hat laut Gutachten eine Persönlichkeitsstörung.
Was wirklich in jener Nacht im Mai 2017 in der Wohnung an der Kölsbachstraße geschah – „das konnten und können wir wohl nicht aufklären“, seufzt Richterin Elfriede Dreisbach. Im neu aufgerollten Prozess vor dem Siegener Landgericht gegen den Mann, der in jener Nacht von vier Männern heimgesucht wurde, von denen schließlich einer mit fünf Messerstichen im Krankenhaus landete, attestierte der psychiatrische Gutachter dem Angeklagten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung.
Einmal mehr in diesem Verfahren bleibt vieles im Dunklen – der Angeklagte will nicht mit dem Psychiater sprechen, der sich für sein Gutachten auf die Akten, die Beweisaufnahme und Briefe des Angeklagten stützen muss.
„Etwas ist nicht in Ordnung mit ihm. Ich habe für ihn gebetet.“ Ein Nachbar, dessen Aussage der Gutachter zitiert, habe bereits Wochen vor dem Tattag „Unruhe im Haus“ wahrgenommen, Gerüchte über Gewalttaten gehört, der Angeklagte sei mit „irrem Blick“ umhergelaufen. Ähnlich äußerte sich ein weiterer Nachbar.
„Kampfgeräusche gab es fast jeden Abend.“ Auch die Aussage des Hausbesitzers wird zitiert, nahezu täglich habe es Polizeieinsätze gegeben. Das sei für die anderen Mieter irgendwann nicht mehr tragbar gewesen.
„Vor der Spielhalle hat er mir Kokain angeboten. Er sagte, er hätte noch mehr davon.“ Einer der vier, die den Angeklagten in der Tatnacht aufsuchten, kannte den Mann bereits. Er war es auch, der vorsorglich die Gaspistole einsteckte, aus der später ein Schuss fiel – „bei ihm wussten wir nicht, was auf uns zukommt.“
„Mamma Mia, was habe ich gemacht!“ In einem Brief an seine Ex-Frau bezieht sich der Angeklagte auf Fotos des Opfers mit fünf Messerstichen im Rücken. „Ich wollte es nicht tun, aber er hatte das Messer“, zitiert der Gutachter weiter. „Ich habe sie [die Ex-Freundin, Red.] schreien hören, bin zurückgegangen und habe ihr geholfen. Ich wollte das nicht tun.“
„Ich habe sie und mich selbst verteidigt“, nimmt der Angeklagte in einem Brief an seinen Vater ein weiteres Mal Bezug auf die Tat. Er habe seiner Freundin geholfen, den Arm des späteren Opfers festgehalten, als der habe zustechen wollen. Der Angeklagte schreibt auch von den näheren Tatumständen: „Wir standen uns gegenüber“, heißt es dort – er habe nicht von hinten auf den Mann eingestochen.
„Ein Persönlichkeitsbild zu zeichnen ist wie ein Mosaik aus verschiedenen Inhalten.“ Der Gutachter kommt zu dem Schluss, dass beim Angeklagten eine „deutliche Normabweichung“ vorliegt: Er sei affektlabil, aggressiv, habe eine schlechte Impulskontrolle. Die Diagnosekriterien dazu seien mehr als erfüllt. Obwohl die Tat eine Eskalation sei im Vergleich zu bisherigen Delikten – Drogen, Körperverletzung, Diebstahl, Nötigung, Urkundenfälschung – sei dies situativ bedingt und keine Verschlechterung der psychiatrischen Störung: Immerhin wurde der Mann nachts in seiner Wohnung überfallen. Dass ihm diese Reaktion durch den Angriff aufgezwungen wurde, wie das Gericht nachfragt, weist der Gutachter zurück: „Ein normaler Durchschnittsmensch hätte nicht fünfmal zugestochen. Es hätte Handlungsalternativen gegeben – aufgrund seiner Störung griff er zur gewalttätigen Gegenreaktion.“