Kreuztal. . Vor 85 Jahren: SA-Mann Karl Pfeifer erschießt Sozialdemokraten Karl Dornseifer nach einem Streit auf offener Straße. Stolperstein geplant.
Zwei Schüsse auf offener Straße am Samstagabend. Am 5. August 1933, am Sonntag (5. August 2018) vor 85 Jahren, treffen Täter und Opfer zwischen 21 und 21.30 Uhr an der Nordstraße, heute „Zum Ameisenberg“ aufeinander. Nach einem Wortgefecht zieht SA-Mann Karl Pfeifer eine Pistole und schießt Karl Dornseifer, 42 Jahre alt, Weltkriegsinvalide, in den Bauch. Dornseifer ist nicht sofort tot. Pfeifer schießt ihm in den Kopf, um sicherzugehen, dass die „gewollte Wirkung“ auch erzielt werde, wie der Mörder später der Polizei sagen wird.
Karl Dornseifer ist eines der ersten Opfer des Nationalsozialismus im Siegerland. Nur wenige Monate nach der Machtergreifung, wenige Monate, nachdem die SPD verboten worden war. Der Mörder kommt weitgehend ungeschoren davon. SPD-Stadtverband Kreuztal, Verband der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten Siegerland-Wittgenstein (VVN/BdA) und Stadtarchiv Kreuztal haben den Fall aufgearbeitet, der zeigt, wie schnell die demokratischen Institutionen der Weimarer Republik schon kurz nach der Machtergreifung ausgehöhlt waren.
Das Opfer
Karl Dornseifer wurde am 9. September 1891 in Weidenau geboren, lernte den Beruf des Blechschlossers. Im Ersten Weltkrieg wurde er schwer verwundet, konnte seinen Beruf nicht mehr ausüben und arbeitete als Händler. 1923 heiratete er die Kreuztalerin Hedwig Münker, das Paar hatte einen Sohn und wohnte in dem kleinen Haus auf dem Gelände des heutigen Kreisels Ernsdorfstraße/Ameisenweg. Dornseifer war SPD-Mitglied und bekannt als Gegner der Nazis.
Ein Stolperstein zum Gedenken
Karl Dornseifer ist nach Ernst Schweisfurth (Ferndorf) und Robert König (Müsen) das dritte Mordopfer der Nazis aus dem nördlichen Siegerland, das VVN/BdA und SPD vor dem Vergessen bewahren.
Auch vor seinem letzten Wohnsitz, also im Bereich des Kreisels, soll ein Stolperstein verlegt werden.
Der Täter
Karl Pfeifer, geboren am 13. Januar 1894 in Weidenau, war 1930 nach Kreuztal gezogen, arbeitete als Monteur. Er war ein „Alter Kämpfer“: Eintritt in die NSDAP am 1. März 1932.
Die Tat und ihre Folgen
Dr. Erich Moning war 1932 Amtsbürgermeister von Kreuztal und damit Polizeichef geworden. Der Streit entbrannte seiner Aussage nach über ein Bild Adolf Hitlers: Dornseifer wollte das Portrait, das er in einer Verlosung gewonnen hatte, mit Brettern einer Margarinenkiste einrahmen und auf den Abort hängen. Pfeifer habe erwidert: Jemand vom Schlage Dornseifers müsse verschwinden. Dann fielen die Schüsse. Pfeifer wurde verhaftet. SA-Führer und Architekt Paul Giesler aus Siegen besuchte noch am Abend den Mörder in der Zelle. Die SA-Männer begrüßen sich mit Handschlag und den Worten „Treue um Treue“. Giesler macht später Karriere, als Gauleiter Bayerns unterzeichnete er die Todesurteile der Weißen Rose.
August Wehmeier war 1933 Pastor in Kreuztal und Fellinghausen, 1984 erzählte er den Schülern von Jochen Schreiber im Rahmen eines Projekts von dem Fall: Die Beerdigung Karl Dornseifers am 9. August 1933 wurde begleitet von SA-Schießübungen auf dem nahen Schießstand, zur Einschüchterung. Die Schergen versuchten, Wehmeier von einer scharfen Predigt abzuhalten. Der aber nahm kein Blatt vor den Mund: „Herr wärest du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben“ (Johannesevangelium, Kapitel 11, Vers 21). Die Nazis hatten die Presse bereits so weit unter Kontrolle, dass in seiner Todesanzeige die Umstände Dornseifers Tod mit keinem Wort erwähnt werden. Auch berichtet wird über den Fall nicht.
Im Dezember 1933 wird Pfeifer vom Schwurgericht Arnsberg zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Er kommt nach kurzer Zeit frei, erhält eine Stelle an der SA-Sportschule in Hamm. Auch dort greift er zur Waffe, bedroht laut seiner Personalakte einen Vorgesetzten. Pfeifer stirbt vor Kriegsende.
Die Forscher
Torsten Thomas, VVN/BdA, war durch einen einzigen Satz auf Karl Dornseifer aufmerksam geworden: „Karl Dornseifer erschossen“, steht in einem Artikel des Historikers Ulrich Opfermanns im Internetportal „Widerspruch und Widerstand“. Thomas suchte nach dem Entschädigungsantrag von Dornseifers Witwe – sie erhielt eine Einmalzahlung und eine Rente. 1948 wurde Hedwig Dornseifer als Angehörige eines Verfolgten anerkannt, nach einer Gesetzesänderung wurde der Fall 1953 noch einmal überprüft, dabei sagte auch Dr. Moning an Eides statt aus. Thomas forschte in weiteren Akten und rekonstruierte mit Hilfe von Jochen Schreiber und Ria Siewert die Geschichte Dornseifers.