Siegen. . Nina Silbersdorf ist Trageberaterin und zeigt Eltern, wie sie Tücher binden und den Alltag meistern. Körperkontakt sei wichtig für die Kleinen.

Es ist ein riesiger Berg aus Stoff, der in der Tasche in der Wohnung der Trageberaterin Nina Silbersdorf liegt. Etwa vier Meter lang ist das regenbogenfarbene Tuch, mit dem Mütter oder Väter ihre Kinder tragen können. Wie genau aus dem bunten Stoff eine sichere Transporthilfe für Babys wird, erklärt Nina Silbersdorf Eltern bei ihrer Trageberatung „Gut gebeutelt“.

Ausbildung als Erzieherin

Nina Silbersdorf ist Mutter von zwei Kindern im Alter von neun und sechs Jahren.

Die 38-Jährige ist gelernte Erzieherin und hat als Familien- und Kinderintegrationsberaterin gearbeitet.

Eine Trageberatung bei ihr kostet 30 Euro pro Stunde. Weitere Infos unter: www.trageberatung-siegen.de

Tragetücher gibt es ab 35 Euro im Handel und Tragehilfen kosten bis zu 150 Euro.

Die Beratung

In der Beratung können die Eltern verschiedene Tragehilfen testen, erklärt Silbersdorf. Neben den klassischen Tüchern gibt es auch Varianten, die an eine Art Rucksack erinnern. Nach einem Theorieteil heißt es dann aber in der Stunde für die Eltern nur eins: Üben, üben, üben! Doch kompliziert sei es nicht: „Wer Schuhe binden kann, kann auch ein Tuch binden.“ Die Technik des Tuchbindens funktioniert allerdings etwas anders als eine Schleife in die Schnürsenkel zu knoten: Die Mitte des Tuchs muss über die Brust gelegt werden. Von dort wird es um den Bauch und über die Schultern gewickelt – sodass jeweils ein Strang über jeder Schulter liegt. Es entsteht eine Schlinge um den Bauch, in die das Baby gesetzt wird. Wichtig sei dabei, stets eine Hand am Köpfchen des Säuglings zu haben, erklärt Silbersdorf. Wenn das Kind richtig im Tuch sitzt, werden die Enden am Rücken verknotet. In der Beratung üben die Eltern zunächst mit einer Puppe, bis sie sich sicher fühlen. „Sie können sich ihren Favoriten bei mir ausleihen und die Tragehilfe im Alltag testen“, erzählt die Beraterin. Das Angebot an Tragehilfen sei sehr groß und es „ist wichtig, dass die Tragehilfe zu den Eltern und ihren Wünschen passt“.

Der Weg

Angefangen hat alles, als Nina Silbersdorf selbst Mutter geworden ist. „Ich hatte keine Familie vor Ort, die mich unterstützen konnte.“ Zudem habe ihre Tochter sehr viel Nähe gebraucht. Um den Alltag zu meistern, habe sie aber zwei freie Hände gebraucht; die Lösung: ein Tragetuch. Weil es ihr so sehr geholfen habe, wollte sie ihr Wissen über die Tragehilfen weitergeben – anfangs ehrenamtlich, mittlerweile seit fünf Jahren als selbstständige Trageberaterin.

Die gelernte Erzieherin hat dazu eine Ausbildung bei der Trageschule NRW gemacht und schon davor vier Jahre Trageerfahrung gesammelt. Silbersdorf erklärt, dass der Beruf nicht geschützt sei und sich auch Personen ohne eine solche Schulung Trageberater nennen dürfen. „Es braucht viel Eigeninitiative, um als Trageberaterin zu arbeiten.“ Der Markt entwickle sich schnell und sie tausche sich regelmäßig aus, um auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Der Hintergrund

„Kinder sind Traglinge“, sagt Silbersdorf. Die Säuglinge haben einen Greifreflex und würden auch aus Reflex die Beine spreizen, um sich gut am Körper der Mutter oder des Vaters halten zu können. Die menschlichen Babys „sind physiologische Frühgeburten“, was bedeute, dass Kinder nach der Geburt „noch nicht reif seien“, erklärt Silbersdorf. Der Begriff geht auf den Schweizer Anthropologen Adolf Portmann zurück. Grund für die zu frühe Geburt sei der aufrechte Gang des Menschen sowie die Weiterentwicklung des menschlichen Gehirns und dessen zunehmende Größe, führt die Trageberaterin aus. „Die Tücher sind eine Verlängerung der Schwangerschaft.“ Die Kinder würden beim Tragen von allein eine natürliche Haltung einnehmen, die beispielsweise für ihre Hüftentwicklung positiv sei.

Der Erziehungsstil

Historisch habe die Zeit des Nationalsozialismus den Erziehungsstil nachhaltig geprägt, sagt Silbersdorf. Den Frauen sei beigebracht worden, das Kind nicht auf den Arm zu nehmen und zu wiegen, wenn es schreit. „Die Kinder sollten nicht verweichlicht werden.“ Schon bei den Babys habe der Gedanke mitgespielt, dass diese zu „Kämpfern für die Front“ ausgebildet werden sollten. Den Müttern sei dazu geraten worden, wider ihre Emotionen und ihre Instinkte zu handeln. Diese Art von Erziehungsstil habe auch noch nach der Zeit des Nationalsozialismus nachgewirkt.

Mittlerweile seien einige Eltern von anderen Erziehungsmethoden überzeugt. Silberdorf selbst setzt auf eine bindungsorientierte Elternschaft, wozu auch das Tragen des Kindes zählt. Beim sogenannten „Attachment Parenting“ als Erziehungsstil gehen Eltern stark auf die Bedürfnisse ihrer Kinder ein und behandeln sie altersentsprechend.

Die Vorteile

„Ideal ist es mit dem Tragen mit einem Neugeborenen zu beginnen.“ So könne sich die Muskulatur bei der tragenden Person langsam aufbauen. Für Silbersdorf ein klarer Vorteil der Tragetücher, denn beim Transport von Kindern in einem „Maxi-Cosi“ sei die einseitige Belastung für die Mütter und Väter sehr schlecht.

Durch das Tragen des Kindes werde die Bindung zwischen ihm und seiner Betreuungsperson gestärkt. „Beim Körperkontakt passiert sehr viel.“ Es werde die Körpertemperatur der Kinder ausgeglichen, erklärt die Trageberaterin. Wenn die Säuglinge noch klein sind, werden sie mit dem Gesicht zum Bauch hin getragen, was sie vor zu vielen Eindrücken schütze und Geborgenheit biete. Wenn die Kinder älter sind, werden sie auf dem Rücken getragen und bekämen so auch neue Eindrücke.

Im Kinderwagen hingegen könnten die Babys keinen Blickkontakt zu den Eltern halten. „Neugeborene sehen nur zehn bis 20 Zentimeter weit“, weiß Nina Silbersdorf. Wenn die Kinder getragen werden, statt im Kinderwagen zu liegen, würden die Eltern auch viel schneller merken, wenn das Kind beispielsweise Hunger habe. Für den Alltag der Eltern biete eine Tragehilfe den Vorteil, dass sie „beide Hände frei haben“. Zudem sei zum Beispiel die Fahrt in Bussen oder Bahnen sehr praktisch ohne Kinderwagen.

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