Siegen. . Im AndersROOM in Siegen erzählt ein Vater, wie ihm seine Tochter eröffnete, dass sie nun als Mann lebt. Heute ist er stolz auf seinen Sohn.

Plötzlich ist die Tochter der Sohn. Viele Eltern sind in dieser Situation überfordert, besorgt, ängstlich: Haben wir etwas falsch gemacht? Was sollen die Leute denken? Transgender ist ein gesellschaftliches Tabuthema, Betroffene sehen sich mit Ablehnung, Ausgrenzung und Unverständnis konfrontiert, auch in der eigenen Familie. Der Vater eines Siegeners, der vor 27 Jahren eine Tochter bekam, erzählt: Von seiner ersten Reaktion, vom Schock, aber vor allem: Von der Liebe zu seinem Kind und dem Stolz auf seinen Sohn.

Der Vater: „Wir Eltern haben ein Versprechen gegeben“

Bis zu dem Tag vor mehr als drei Jahren, als unser Sohn uns damit konfrontiert hat, hatten meine Frau und ich mit dem Thema nichts zu tun. Wir waren aber immer tolerant. Das kann man aus der Distanz sein. Wenn man selbst betroffen ist, wird das auf die Probe gestellt. Heute wissen wir, dass unser Sohn schon Jahre früher das Gefühl hatte, sein Leben als Mann verbringen zu wollen. Wir haben das nicht mitbekommen. Dann haben wir nachgedacht, über Geschichten aus der Vergangenheit. Gab es Anzeichen? Haben wir etwas verpasst? Zur Kommunion sind wir wochenlang mit unserer Neunjährigen durch die Geschäfte, kein Kleid war gut genug. Am Ende war ein weißer Hosenanzug der absolute Kracher. Solche Beispiele gibt es viele, wenn man genau hinschaut. Da denkt man erst nachher drüber nach.

D ie erste Reaktion ist wichtig. Bei uns war das ein Schock. Meine Frau sagte nachher zu mir: „Ich habe doch ein Mädchen geboren – haben wir was falsch gemacht?“ Wir hatten unsere Wunschtochter, ich wollte immer ein Mädchen. Sie war das größte Geschenk des Himmels. Mein erster, zweiter und auch dritter Gedanke war: „Da muss man doch was tun können. Da muss es doch ‘ne Pille für geben.“ Nein. Wir können nichts machen. Außer, unser Kind weiter lieben. Das einzusehen, dauerte Monate. Spezialisten haben uns das Thema wissenschaftlich erklärt. Nachher waren wir nicht schlauer. Und als wir etwas schlauer waren, war die Erkenntnis da, aber Akzeptanz nicht.

Ich hatte 20 Jahre eine Tochter. Jetzt habe ich einen Sohn. Das ist kein Verlust, sondern eine radikale Veränderung. Wir erzählen überall stolz von unserem Sohn. Die ersten Jahre war das nicht möglich. Auch nicht, alte Bilder anzuschauen. Heute lachen wir zusammen; heute ist es, wie es ist. Unterwegs gab es Zweifel, Schmerz, Vorwürfe. Das ist notwendig. Aber es wäre leichter gewesen, einfach zu sagen „Alles klar, wir lieben dich.“ Bei Eltern startet sofort ein Notprogramm: Was ist mit der Geschlechtsangleichung zum Beispiel. Dafür sind wir aber gar nicht zuständig. Unser Kind muss diesen Weg gehen. Wir begleiten es. Wenn das das einzige ist – da können ganz andere Sachen passieren. Wir Eltern haben die geringsten Probleme, wir sind doch nur am Rand betroffen. Den es betrifft, den zerreißt es.

Seit ihrer Geburt haben wir unsere Tochter geliebt. Heute lieben wir unseren Sohn. Das ist ja immer noch die gleiche Person. Das ist halt einfach so. Warum? Ich kann es nicht erklären. Niemand kann das. Auch nicht der, den es betrifft. Es ist so. Ich habe meinem Sohn versprochen: Ich bin immer für dich da. Wir können es nicht ändern – nur da sein. Wir haben gelernt, dass das schon reicht: Wir stehen zu dir, egal was kommt. Wir machen das zusammen. Als Eltern haben wir vor über 20 Jahren ein Versprechen gegeben, uns zu kümmern. Das kann man nicht einfach zurücknehmen.

Wenn uns Bekannte anriefen und sich erkundigten, was unsere Tochter macht, sagte ich: „Das ist jetzt unser Sohn.“ Schweigen. Totenstille. Man macht sich Sorgen: Was sagen Freunde, Nachbarn? Da muss man durch. Wir haben uns viel zu viele Gedanken gemacht, wie andere reagieren – was dann nie passiert ist. Die waren erst verwirrt, als wenn sie einen Fehler gemacht hätten. Aber dann war’s auch gut. Vielleicht quatschen sie hintenrum. Die Leute quatschen immer hintenrum. Wenn mir mein Nachbar wichtiger ist als mein Kind, sollte ich über mich nachdenken.

Heute brauche ich Bilder, um mich daran zu erinnern, dass wir eine Tochter hatten. Ganz selten sage ich noch „sie“. Es ist schön so. Früher habe ich gerufen „Hey Süße, komm mal her.“ Heute rufe ich „Großer, komm mal rüber!“ Als ich vergangenes Jahr krank wurde, habe ich ihn angerufen: „Ich brauche dich“. Er hat nicht gefragt, warum. Er kam sofort. Nur darauf kommt’s an. Ich kann mich heute nur dafür entschuldigen, dass er Angst hatte, sich uns zu offenbaren.

Der Sohn: „Vielleicht wollte ich zu schnell zu viel“

Ein Jahr nach meinem Outing, nach der ersten gegengeschlechtlichen Hormonvergabe fragte Papa: „Wie heißt du jetzt eigentlich?“ Das hatte ich schon lange vorher gewusst. Aber ich wollte mich meinen Eltern nicht aufdrängen. Den alten Namen hatten sie für mich ausgesucht, sich dabei etwas gedacht. Und ich nehme mir raus, einen neuen Namen zu wählen. Aber er gefällt beiden. Und ich habe meinen alten als zweiten Vornamen behalten. Um sie zu ehren.

Vielleicht wollte ich bei meinem Coming Out zu schnell zu viel. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon weiter als sie. Für sie war es ein Schock. Und ich war gestresst, genervt, auch unfair; ich habe nicht gewartet, dass beide mitgehen.

Versprecher im Alltag nehme ich niemandem übel, das kommt vor, aus Routine. Aber wenn sie mit Absicht passieren: Das tut weh. Korrigieren ist das, was zählt. Meine Oma hat lange „sie“ gesagt. Aber dann sagte sie: „Du hast ja jetzt einen Bart – da kann ich doch nicht mehr sie sagen.“

Nach langem Verkriechen und Nicht-Verstehen, was überhaupt mit mir los war, fand ich Videos von anderen, denen es ähnlich ging wie mir. Da habe ich erst wirklich verstanden, dass ich transgender bin. Schließlich bin ich bei Nicole Faerber im AndersROOM gelandet. Sie zu treffen hat so gut getan. Endlich mit jemandem zu sprechen, dem es ähnlich geht wie mir: Das war sehr wichtig für mich, ich fühlte mich nicht mehr alleine. Nicole war gerade dabei, eine Selbsthilfegruppe zu etablieren. Wir treffen uns seitdem jeden Monat samstagnachmittags, tauschen uns aus, trinken Kaffee, schauen Filme. Alltägliche Dinge unter vielleicht nicht ganz so alltäglichen Umständen. Ich habe viele wichtige Menschen kennengelernt.

Kontakt zum AndersROOM: 0271/53297 oder www.andersroom.de. Termine und Kontakte auch auf www.transgender-si.de

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