Siegen-Wittgenstein. . Ausbildungsberaterinnen für Abiturienten der Agentur für Arbeit Siegen: Chance für Jugendliche und Unternehmen gleichermaßen.
Mehr als die Hälfte eines Schülerjahrgangs strebt nach dem Abschluss ein Studium an. Gleichzeitig klagen Industrie und Handwerk über Fachkräftemangel. Karrieren sind längst nicht mehr nur mit akademischem Titel möglich und auch die Bezahlung ist in vielen Lehrberufen – oft mit Zusatzqualifikation – ordentlich. Die Ausbildungsberaterinnen Christina Sand und Sandra Henrichs von der Siegener Agentur für Arbeit erklären im Gespräch mit Hendrik Schulz, wie man Abiturienten für eine Laufbahn im dualen System aus Ausbildung und Studium gewinnen kann.
Wie steht die Region in Sachen dualer Ausbildung, duales Studium da?
Christina Sand: Möglichkeiten zum dualen Studium sind in der Region recht verhalten vorhanden. Das wird von den Betrieben noch eher wenig angeboten.
Sandra Henrichs: Die Angebote in Siegen-Wittgenstein sind vor allem im Bereich Wirtschaft und Technik, also BWL, VWL und die MINT-Fächer. Auch soziale Berufe würden sich für ein duales Studium zum Beispiel anbieten, aber das gibt es eher weniger.
Worauf legen die Jugendlichen Wert, wenn es an die Berufswahl geht?
Sand: Die Jugendlichen sagen in den Beratungsgesprächen oft, dass Freizeit für sie nicht den höchsten Stellenwert hat. Viele haben großes Interesse an einem dualen Studium.
Henrichs: Wir werden häufiger gefragt, ob ein Auslandsaufenthalt möglich ist. Das gibt es ja auch im Handwerk, über die Kammern.
Es heißt doch immer, die Generation Y und Z lege so großen Wert auf die Work-Life-Balance?
Sand: Viele scheuen die Eigenverantwortung eines Studiums. Im dualen Studium sind Module und Zeiten von den Betrieben vorgegeben, vielen sind diese Rahmenbedingungen sehr wichtig. Genügend Freizeit ist auch ein wichtiger Aspekt, aber die Schüler sind das häufig schon gewohnt: Sie werden schon in der Schule mit dem Leistungsdruck konfrontiert.
Henrichs: Manche brauchen jemanden, der ihnen auf die Füße tritt, für sie ist es ein Anreiz, wenn der Betrieb ein Auge auf sie hat. Viele sind bereit, mehr Zeit zu investieren, sie sind sich bewusst, dass sie dann auch mal am Wochenende weniger Freizeit haben.
Welche Rolle spielt der Verdienst?
Henrichs: Auch im Handwerk gibt es da gute Möglichkeiten. Arbeitgeber sind gefragt, Perspektiven aufzuzeigen. Wer gerne Verantwortung übernehmen möchte, sich selbstständig machen möchte – dafür bietet das Handwerk gute Möglichkeiten. Viele Betriebe haben Schwierigkeiten mit der Unternehmensnachfolge.
Welche Vorteile bietet ein duales Studium noch?
Sand: Die Unternehmen investieren in die jungen Leute und wollen sie an sich binden – der Berufseinstieg nach der Ausbildung ist also gesichert.
Henrichs: Die Betriebe finanzieren natürlich das Studium. Die Studienfinanzierung ist ja für manche schwierig. Ein Hauptkriterium ist sicher die enge Verzahnung von Theorie und Praxis.
Wie sieht Ihre Arbeit aus?
Henrichs: An Gymnasien und Gesamtschulen bieten wir im Rahmen der Berufsorientierung Beratungen an. Das wird von den Schulen organisiert, zusätzlich auch bestimmte Veranstaltungen je nach Nachfrage. Wer genau weiß, dass er Lehramt studieren will, braucht eher weniger Beratung. Pro Schule gibt es dann etwa fünf bis sechs Veranstaltungen während der Oberstufenzeit eines Jahrgangs.
Beraten Sie gezielt in Richtung Ausbildung?
Henrichs: Wir beraten grundsätzlich in alle Richtungen und informieren über alle Wege. Das ist ja auch immer eine Frage der Anschlussperspektiven, es gibt Branchen, da ist eine praktische Lehre sehr hilfreich für ein späteres Studium. Im Hotel- und Gaststättengewerbe zum Beispiel: Viele können sich vorstellen, später so einen Betrieb zu managen. Da ist es gut zu wissen, wie so ein Unternehmen tickt, wie es läuft. Und da hilft es, wenn man alles schon einmal durchlaufen hat.
Was bräuchte es von der Arbeitgeberseite, damit die Ausbildung attraktiver wird?
Henrichs: Das hängt von der Branche ab. Wenn ein Beruf später eine gute Vereinbarkeit von Arbeit und Freizeit ermöglicht, wenn man die Möglichkeit hat, sich fortzubilden, in andere Unternehmensbereiche zu wechseln, ist das attraktiv.
Sand: Das hängt auch von der Schulform ab. Der Anteil der Gymnasiasten, die eine Ausbildung beginnen, ist wesentlich geringer als bei den Gesamtschülern.
Henrichs: Die Gymnasiasten sind überwiegend seit der Unterstufe auf dem Gymnasium. Wer vorher auf einer Realschule war und in die Oberstufe gewechselt ist, fragt gezielter nach den Möglichkeiten zur Ausbildung – natürlich auch, um sich die Möglichkeit eines Studiums weiter offenzuhalten.
Haben Studienabbrecher Chancen auf dem Ausbildungsmarkt?
Sand: Auf jeden Fall, das steht mehr und mehr in den Stellenangeboten, dass gezielt Studienabbrecher angesprochen werden. Auf den Erfahrungen des Studiums und dem vorhandenen Wissen lässt sich ja aufbauen. Da können bereits erbrachte Leistungen auch in einem dualen Studium anerkannt werden, es gibt oft auch die Möglichkeit, die Ausbildung abzukürzen. Bei den Unternehmen ist das Bewusstsein deutlich vorhanden, dass hier ein Potenzial schlummert.
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