Siegen. . Digitale Datenhandwerker: Statmath, entstanden aus einem Start-up der Uni, ist eines der führenden Institute für die Analyse riesiger Datenmengen

Daten sind überall. Ob wir wollen oder nicht, Datenschutzgrundverordnung hin oder her. Daten sind, grundlegend betrachtet, Zahlen, die sich über einen bestimmten Zeitraum verändern. Aus diesen Veränderungen lassen sich Informationen herauslesen. Das ist im Wesentlichen das, was Statmath tut: Das Siegener Unternehmen, entstanden aus einem Start-up der Uni, generiert Mehrwert aus digitalen Spuren. Die Datenanalytiker und Softwareentwickler sind eine der führenden deutschen Firmen in diesem Segment.

Firmengeschichte

„Wir machen solides digitales Handwerk.“

Die Ausgangslage.
Dr. Alexander Hoffmann und Christian Friedrich haben zusammen an der Uni Siegen studiert, Mathematik. Wie das so ist: Sie haben Nachhilfe. Und stellten fest, dass sich das in Gruppen professioneller aufziehen lässt. Später erweiterten sie ihren „Geschäftsbereich“, übernahmen für Hausarbeiten oder medizinische Doktorarbeiten die statistische Auswertung. Sie führten Datenquellen zusammen, um Erkenntnisse zu gewinnen, mit Hilfe eines Algorithmus’: Dass es besser ist, wenn der Empfänger einer Organspende das gleiche Alter hat wie der Spender zum Beispiel. „Das war die Idee: Es gibt überall Daten“, sagt Alexander Hoffmann – man muss sie nur nutzen. ,„Bis einer eine Rechnung haben wollte“, sagt Alexander Hoffmann. So was hatten sie nie geschrieben – als Studenten? Sie wandten sich an das Gründerbüro der Uni, dort war man ihnen behilflich beim Schritt ins Kleinunternehmertum.

Potenzial für den Einzelhandel

Dem Lokalpatrioten Hoffmann liegt Siegen am Herzen: Von Statmath ist zum Beispiel die Demografie-Uhr im Krönchen-Center.

Potenzial sieht er etwa beim Einzelhandel: „Amazon ist der Gegner“, sagt er grinsend. Wenn hiesige Geschäftsleute gegen den Internetriesen bestehen wollten, müssten sie die gleichen Werkzeuge benutzen – große Datenmengen.

Wenn verschiedene regionale Akteure an einem Strang ziehen würden, hätte das durchaus Schlagkraft, sagt er.

Die Initialzündung.
Das Studium hatten beide fertig – Job suchen oder volles Risiko, selbstständig machen. Sie erhielten ein Stipendium, 800 Euro Monatsgehalt, ein Büro an der Uni, 12 000 Euro für Sachmittel, befristet auf ein Jahr. Und legten los: Netzwerken, potenzielle Kunden abklappern. Die Sparkasse Siegen zeigte Interesse: An einem Demografie-Projekt. Hoffmann und Friedrich steckten alles in die Firma, was sie hatten; gründeten eine GmbH, stellten Softwareentwickler an, legten los. Nur auf die Zusage, dass die Sparkasse die Software auch tatsächlich kauft.

Der Durchbruch.
Und das tat sie. Die Sparkasse hat einen sehr hohen Marktanteil in der Region, ihr Erfolg ist massiv abhängig von der Demografie Entwicklung – den Kunden. Hoffmanns und Friedrichs Programm ermöglichte es dem Geldinstitut die Bevölkerungsentwicklung vorherzusagen: Zum Beispiel gibt es das Phänomen des „Pillenknicks“ – die Geburtenrate sank. Für die Bank ist es – etwa für die Personalplanung oder die Zahl der Geschäftsstellen – wichtig zu wissen, wann wie viele Menschen in einem bestimmten Alter sind – wann zahlen Familien ihre Kredite ab? Wann wollen Jugendliche ihr erstes Girokonto eröffnen?

Die Etablierung.
Das Programm, „demosim“, war ein Erfolg, „Ohne gäb’s uns nicht“, sagt Hoffmann. Statmath hatte seinen Großkunden. In der Folgezeit wurde demosim weiterentwickelt – für alle möglichen Kunden, die Uni zum Beispiel. Denn auch die ist von der Demografie abhängig. Und von politischen Entscheidungen: Wann kommen die doppelten Abiturjahrgänge? Welchen Effekt hat die Abschaffung der Wehrpflicht? Statmath konnte all diese Dinge zusammenführen und Aussagen für die Zukunft treffen, auf diese Weise langfristige Planungen ermöglichen.

Alexander Hoffmann. 
Alexander Hoffmann.  © Carsten Schmale

Heute arbeiten 24 Leute in elf Vollzeit bei Statmath, dazu kommen viele Studierende. Hoffmann ist selbst Dozent an der Uni Siegen, betreut Masterarbeiten – auch, weil Statmath wächst und er gute Leute braucht. „Für Mathematiker und Informatiker gibt’s im Umkreis nicht viel“, sagt er. Viele Angestellte kommen aus dem Ausland. „Die lernen das Siegerland als eine tolle Region kennen“, sagt Hoffmann. Er ist durchaus so etwas wie Lokalpatriot: „Bei uns bist Du nicht einfach nur eine Nummer in der großen Stadt“, sagt er.

Die Zukunft.
„Die großen Firmen sind zu träge. Bis die so etwas selber aufgezogen haben, sind wir längst fertig.“ Für diesen Status hat Statmath jahrelang gekämpft. Konkurrenz? „Quasi nicht vorhanden.“ Die Nachfrage nach Datenanalyse wachse stetig, quer durch alle Branchen, am stärksten im produzierenden Gewerbe. Die großen Autokonzerne, Energieversorger sind Statmath-Kunden, es geht weiter aufwärts. „Es gibt nichts, was man nicht durch Datenanalyse optimieren kann: Das Streckennetz von Bus und Bahn, die Ärzteversorgung. Auch Bankberater fragen nach Konzepten der Industrie 4.0.“ Für alle Lebensbereiche ließen sich ein Mehrwert herausziehen, Fehlplanungen vermeiden.

Anwendungsbeispiele

„Wir bringen die Daten zum Sprechen.“

Um die Zukunft vorherzusagen. Das Prinzip des Big Data: Informationen sind in einer solchen Menge verfügbar, dass sich daraus Muster ableiten lassen. Beispiel: Die Strecke eines Fahrradkuriers wird per GPS aufgezeichnet, es entsteht eine Linie. Werden die Strecken aller Fahrradfahrer aufgezeichnet, entsteht das Straßennetz der Stadt. Maschinen in der Industrie erzeugen Daten genauso wie Kunden, „man lernt viel über menschliches Verhalten“, sagt Hoffmann.

Championsleague: Anhand von Datenauswertung hat Statmath festgestellt, dass Supermärkte im Eingangsbereich Knabbereien an prominenter Stelle platzieren sollten, wenn internationale Fußballspiele stattfinden – denn die Kunden sind dann eher bereit, Chips und Co zu kaufen.

Logistik: Anhand riesiger Retourendaten von Onlinehändlern kann Statmath präzise prognostizieren, welche und wie viele Sendungen zurückgeschickt werden. Die Logistikunternehmen können ihre Fahrzeuge als „virtuelles Lager“ nutzen und Waren schon wieder verkaufen, die sich noch in der Zustellung befinden. „Dank der Datenauswertung wissen wir, dass der Kunde ein Produkt vermutlich nicht will, dass es wahrscheinlich zurückkommt“, sagt Hoffmann.

Produktion: Anhand maschinenerzeugter Daten aus der Prozessüberwachung kann die Effizienz gesteigert werden.

Werbung in Innenstädten: Wenn man Statmath alle Daten des Siegener Einzelhandels gäbe, könnten sie optimieren – auch hier gibt es Muster, Strukturen: Zum Beispiel könnten gezielt Sonderaktionen oder Veranstaltungen platziert werden, damit Potenzial nicht ungenutzt verpufft: Wann ist der optimale Zeitpunkt, um den vollen Preis für ein Produkt zu verlangen, wann gibt es besser Rabatte?

Daten sind nicht der Feind. Sie sind menschengemacht und sie können das Leben der Menschen besser machen: Wenn man sie nicht einzeln betrachtet, sondern anonymisiert, aus einer Art globalen Perspektive. Das ist so etwas wie das das Statmath-Credo.