Hilchenbach. Im Rückblick auf die Giller-Jahre schreibt der frühere Festivalleiter Klartext. Über Joints und Farben, Pleiten und das Schönreden

Kultur Pur ohne ihn? Läuft. „Ich freue mich, dass meine Nachfolger die Tradition weiterführen“, sagt Wolfgang Suttner. Vor einem Jahr hat er sich auf der großen Bühne als Festivalleiter und Kulturreferent des Kreises verabschiedet. Diesmal ist er zum ersten Mal Gast, am Donnerstag zur Eröffnung und am Montag beim Konzert von Foreigner. Suttner erinnert sich an die 27 vorangegangenen Frühlinge: Die Heide wird grün, und es scheint, als ob bei so viel Regen und Sonne „gleich weiße Pilze aus dem Boden schießen“ müssten. Das taten sie auch ohne ihn. „Ein eigenartiges Gefühl.“

Wolfgang Suttner, bald 67, hat ein Buch geschrieben, sozusagen ein Abschiedsgeschenk, das ihm das Team des Kulturbüros mit einem tiefen Griff in Fotoarchive und gestalterische Talente gemacht hat. Der opulent illustrierte Band unterscheidet sich von anderen Lebenswerk-Bilanzen: Es steht tatsächlich Neues drin. Vor allem aber: Das Buch kann man nicht kaufen. Nicht, dass es im Giftschrank unter Verschluss wäre. Aber dieses Publikum sucht sich der Kulturmanager, mehr denn je in Sachen Kunst bundesweit unterwegs, für den Deutschen Kulturrat und als Sprecher des Deutschen Kunstrats, selbst aus.

Ehrliches

Man staunt: Das sorbische Nationalensemble – „schwer zu ertragen“. Nina Cortis Flamenco-Show – „Blamage“. Die Neue-Deutsche-Welle-Show“ – „Langeweiler“. Solche schlechten Noten für nicht überzeugende Acts hat der gelernte Lehrer bisher nicht gegeben. Hat er in seinen jährlichen Festivalbilanzen etwa auch schon mal mit seinem wahren Urteil hinter den Berg gehalten? „Na klar“, gibt Suttner den „friedlichen Umgang mit den Fakten“ gern zu: „Das Festival war noch nicht so etabliert. Da wollten wir aus Verantwortung fürs Ganze nichts kaputt machen.“ Und das Ganze, das ist nun einmal die unbestreitbare Erfolgsgeschichte. Dasselbe gilt fürs Wetter, das er — wie Suttner heute zugibt — auch mal schön redet, sogar 2007, als es von Freitag bis Sonntag dauerregnete: „Wir waren angepisst.“ Ehrlich, jetzt.

Politisches

Klartext nach innen. Suttner zieht die Bilanz von 2011, als die Tickets „zäh wie Blei“ im Vorverkaufssystem blieben. 50 000 Euro, die Kultur Pur am Programm einsparen musste, unter anderem durch den Verzicht auf ein Konzert mit der Philharmonie, hatten 80 000 Euro Mindereinnahmen zur Folge. „Damit hatte die Politik ihre Quittung bekommen.“ Und die Gastronomie, bevor 2015 Jan Klappert mit seinen „Krönchen Events“ ins Geschäft kam: „Wir sind jedes Jahr unglücklich.“ Da entdeckt so mancher KulturPur-Gast einen späten, aber machtlosen Verbündeten. So ist das mit langfristigen Verträgen.

Kurioses

Nicht fehlen dürfen die Erinnerungen an das, was sich hinter den Bühnen abspielt: Wie José Feliciano ausgerechnet mit dem höchstseriösen Hilchenbacher Bürgermeister Günter Schlabach einen Joint rauchen wollte oder wie Bob Geldof sich über Suttners zu der Zeit größten Stolz, die in Siegen ausgestellten „Paintings“ von Ex-Beatle Paul McCartney, abfällig äußerte: „Danach war ich zwei Tage schlecht gelaunt.“

Persönliches

Nur Eingeweihte haben mitbekommen, dass das Jahr mit dem McCartney-Erfolg tatsächlich sein dunkelstes Jahr war: Zehn Tage vor Festivalbeginn starb Wolfgang Suttners Tochter: „Ich habe alles nur noch wie durch einen Schleier wahrgenommen.“

Aufbauauftrag in Sachen Kultur

Wolfgang Suttner war bis 2017 Kulturreferent des Kreises Siegen-Wittgenstein. Er unterrichtete als Studienrat am Peter-Paul-Rubens-Gymnasium, als Oberkreisdirektor Karlheinz Forster ihm 1990 die neue Aufgabe anbot.

Siegen-Wittgenstein hatte sich Standortnachteile in Sachen Kultur bescheinigen lassen. Dem sollten das neue Kulturbüro, das jährliche Festival KulturPur (seit 1991), später Lyz und Apollo entgegenwirken.

Kanzler Gerhard Schröder hat Journalisten strafrechtlich verfolgen lassen, die die Echtheit seiner Haarfarbe in Frage stellten. In Suttners Erinnerungen fällt der Wechsel von schwarz nach grau zwischen 2002 und 2003 auf. Keine Frage: „Das war gefärbt.“ Vor den Kadi zerren wollten katholische Organisationen den Festivalleiter 2011 für einen angeblich blasphemischen Walk Act. Das Ermittlungsverfahren blieb aber schon an einem Formfehler hängen: Nicht Suttner, sondern Georg Klein hatte den Vertrag unterschrieben – „wir waren ein besonderes Team“, sagt Suttner über die Zusammenarbeit, die 2013 mit Kleins Pensionierung endete: „Der schnellste und unkomplizierteste Organisator, den man sich vorstellen kann.“

Einen neuen Kulturreferenten hat der Kreis Siegen-Wittgenstein nicht bekommen. „Auftrag erfüllt“, sei die Botschaft des Landrats gewesen. „So kann man das sehen.“ Ob es ihn nicht doch noch juckt, sich in anderer Funktion in die Kulturpolitik des Kreises einzumischen? „Das kann durchaus sein.“

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