Siegen. . Köpfe der deutsch-thailändischen Bande werden bei bundesweiter Razzia in einem Bordell in Siegen festgenommen. Transsexuelle gezielt ausgebeutet.
Der Kopf einer Bande von Menschenhändlern ist Mittwochmorgen in einem Bordell an der Eiserfelder Straße in Siegen festgenommen worden. Laut Bundespolizei handelt es sich um eine 59-jährige Thailänderin und ihren Lebensgefährten (62). Durchsucht wurden zwei weitere Bordelle an der Friedrichstraße sowie drei Wohn- und Geschäftsräume.
Die Ermittlungen
In ganz Deutschland soll die Bande laut den seit einem Jahr laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hanau und der Bundespolizei agiert haben – von Siegen aus. Den 17 Hauptbeschuldigten mit deutscher und thailändischer Nationalität wird Menschenhandel, Zuhälterei, Zwangsprostitution, sexuelle Ausbeutung, Steuerhinterziehung, Veruntreuung und Fälschung von Aufenthaltstiteln vorgeworfen. Die Bundespolizei, zuständig für illegale Einreise nach Deutschland, wurde wohl durch Tipps auf die Bande aufmerksam, heißt es aus Ermittlerkreisen.
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Bundesweit wurden mehr als 100 Personen festgenommen, mehr als 1500 Polizisten durchsuchten rund 60 Bordelle und Wohnungen in zwölf Bundesländern mit Schwerpunkt NRW. Bei den Zugriffen – unter anderem auch im Ruhrgebiet und im Rheinland – unterstützte die Eliteeinheit GSG 9 die Beamten. Laut Sprecherin Martina Dressler war dies die größte Zugriffs- und Durchsuchungsmaßnahme in der Geschichte der Bundespolizei.
Die Kriminellen
Die Bande soll seit 2006 mehrere hundert Frauen und vor allem Transsexuelle in Thailand mit hohen Verdiensten und gefälschten Schengen-Visa angelockt, nach Siegen geschleust und zur Prostitution gezwungen haben: Die Betroffenen hätten ihren „Schleuserlohn“ in den Bordellen „abarbeiten“ müssen. Die Einnahmen, die Rede ist von regelmäßigen Summen von 16 000 bis 36 000 Euro, mussten sie fast vollständig abgeben, auch als „Miete“ und für Verpflegung. Nach einer Zeit in den Siegener Bordellen wurden die Opfer in einer Art Rotationsprinzip in andere Bordelle des Netzwerks im gesamten Land gebracht. Die Bande suchte wohl gezielt die „Überwachungs- und Kontroll-Lücke“ im ländlichen Raum, um ungestörter agieren zu können.
Im Fokus der Kriminellen hätten transsexuelle Personen gestanden. Innerhalb des Rotlichtmilieus solle dieses spezielle, lukrative Segment besetzt werden – nach Erkenntnissen der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft habe die Bande einen siebenstelligen Betrag verdient. Dass sie in Deutschland als Prostituierte arbeiten sollen, wurde den Prostituierten nicht verheimlicht, „sie sind aber über die Konditionen getäuscht worden“, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft.
Der Zugriff
Um sechs Uhr morgen stürmen die Beamten das Haus an der Eiserfelder Straße, treffen zehn Personen an: Die beiden mutmaßlichen Haupttäter und acht Frauen, vermutlich Prostituierte. Die Drahtzieher werden abgeführt, zehn Mannschaftswagen der Bundespolizei sind rund um das Gelände postiert, zivile Einsatzfahrzeuge und Beamte zu Fuß patrouillieren.
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Die Sicherstellung von Beweismitteln läuft an. Beamte durchsuchen die Räume des unscheinbaren, verschieferten Hauses vom Keller bis ins dritte Obergeschoss, nehmen Personalien auf, versuchen Identitäten der Opfer festzustellen, fotografieren, dokumentieren. Möbel werden auf den Hinterhof geräumt, Spürhunde kommen zum Einsatz. Gegen 10.30 Uhr werden die mutmaßlichen Prostituierten aus dem Gebäude geführt; schmale, schwarzhaarige Frauen, die Gesichter teils hinter Mundschutzen verborgen. Zum Teil werden sie nach Frankfurt gebracht, dort koordiniert die Generalstaatsanwaltschaft die Aktion. Andere kommen zunächst in Obhut der Kreispolizeibehörde, so Jens Flören, Sprecher Bundespolizeidirektion St. Augustin.
Razzia gegen Zwangsprostitution in Siegen
Der Kriminalbeamte
„Menschenhandel wird viel zu wenig verfolgt“, sagt Oliver Huth, stv. NRW-Landesvorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter: Das sei ein riesiges Dunkelfeld, die Polizeibehörden hätten aber viel zu wenig Personal. Wenn etwas ans Tageslicht komme, dann durch Kontrollen. „Menschenhandel ist eine Haupteinnahmequelle der organisierten Kriminalität in Deutschland“, sagt Huth. Riesige Summen würden mit dem Leid ausgebeuteter Menschen umgesetzt. So begrüßenswert dieser Ermittlungserfolg nun sei – „nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Die Opferberaterinnen
Das bestätigt Pfarrerin Birgit Reiche, Leiterin der Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel, „Nadeschda“, der Ev. Frauenhilfe Westfalen: „Vor 20 Jahren kamen wir zu 90 Prozent unserer Klientinnen über Razzien in Kontakt. 2017 waren es keine zehn Prozent mehr.“
Sie und ihre Kolleginnen der Prostituiertenberatungsstelle „Tamar“ bekämen kaum Zugang zu den Frauen aus Thailand, stehen vor verschlossenen Türen oder werden hinauskomplimentiert: „Es ist immer alles in Ordnung“, sagt Sabine Reeh von Tamar über die aufsuchende Arbeit – sicher auch eine Mentalitätsfrage bei Thailänderinnen. In den drei Jahren, in denen sie und ihre Kollegin Tanja Mesic mit ihrer mobilen Beratungsstelle auch nach Siegen-Wittgenstein kommen, haben sie festgestellt, dass der Anteil der Frauen aus Thailand hier im Vergleich zu anderen ländlicheren Regionen auffällig hoch sei.
Was passiert mit den betroffenen Frauen?
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