Siegen. . In Siegen mangelt es massiv an Wohnraum für Menschen mit geringem Einkommen. Zu diesem Ergebnis kommen zwei Erhebungen unabhängig voneinander.

Für Menschen mit geringem Einkommen und für Familien sieht es auf dem Siegener Wohnungsmarkt nicht gerade gut aus. Zu diesem Ergebnis kommen sowohl das erstmals veröffentlichte Wohnungsmarktbarometer der Stadt Siegen als auch eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie. Laut letzterer fehlen in Siegen 4665 Wohnungen „zu günstigen Mieten, damit rechnerisch alle Haushalte mit leistbarem Wohnraum versorgt werden können“, wie es in der Auswertung heißt.

Wohnungsmarktbarometer

Zielsetzung: Das für Siegen neue Wohnungsmarktbarometer soll „einen Einblick in die Stimmung auf dem örtlichen Wohnungsmarkt“ ermöglichen, wie die Verwaltung in einer Mitteilung erläutert. Es dient dazu, „das ,qualifizierte Bauchgefühl’ der örtlichen Akteure kennenzulernen und den ,harten Daten’ der Statistik gegenüberzustellen“, erläutert Thomas Daschke von der Arbeitsgruppe Stadtentwicklung. „Das ist wichtig, weil zwischen der Problemsicht der Akteure und den vorliegenden Daten manchmal eine Diskrepanz besteht.“ Darüber hinaus könne die Einschätzung der Fachleute „bei der Interpretation unklarer statistischer Befunde helfen“.

Methodik: 70 Akteure oder Institutionen erhielten im Januar 2018 einen Online-Fragebogen mit 15 Fragen, 40 sandten ihn beantwortet zurück – darunter Wohnungsunternehmen, Kommunal- und Kreisverwaltungen, Banken, Mietervereine, Sozialverbände, Makler, die Uni Siegen und das Studentenwerk. „Mit circa 57 Prozent entspricht dies einer sehr guten Rücklaufquote“, so die Stadt.

Ergebnisse: In keinem Marktsegment schätzen die Experten die Lage derzeit als entspannt ein. Für Eigenheime, Eigentumswohnungen und Mietwohnungen im jeweils oberen Preissegment gehen die Befragten aber von einer ausgewogenen Situation aus, die sich innerhalb der kommenden fünf Jahre noch verbessern dürfte, während der Markt im „normalen Preissegment“ als „angespannt“ bewertet wird. Hier vermuten die Fachleute innerhalb der kommenden fünf Jahre eine Entwicklung auf ein ausgewogenes Niveau. Schwierig ist und bleibt ihrer Einschätzung nach der Bereich der öffentlich geförderten Wohnungen: Die Lage ist „angespannt“ bis „sehr angespannt“ und werde es wohl auch unverändert bleiben. „Diese Wahrnehmung deckt sich mit dem landesweiten Trend“, heißt es im Bericht.

Neue Ansätze finden

Deutschlandweit unterliege der Wohnungsmarkt „einer starken Dynamik“, wie die Stadt Siegen anmerkt. Lokal wirke sich zudem „die sehr dynamische Entwicklung der Universität“ aus.

Die Stadt sei „bereits auf vielfältige Weise aktiv geworden“. Unter anderem sei ein Wohnungsmarktkonzept erarbeitet worden. Das neue Marktbarometer soll weitere Handlungsoptionen eröffnen, indem Experten Probleme und Hürden für weiteren Wohnungsbau benennen.

Schwierigkeiten bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum nehmen die Befragten vor allem bei Familien und Einkommensschwachen an, etwas weniger ausgeprägt auch bei Studenten und Senioren. Für gut Verdienende hingegen laufe es überwiegend entspannt. Problematisch dabei ist, dass laut Wohnungsmarktbarometer das Investitionsklima für die ohnehin ausgewogenen Bereiche eher gut, für den Neubau von öffentlich gefördertem Wohnraum aber von mehr als 80 Prozent der Experten als „schlecht“ bis „sehr schlecht“ eingestuft wird. Hemmnisse für den öffentlich geförderten Wohnungsbau sehen sie vor allem darin, dass „aufgrund der Bauvorschriften die Neubaukosten zu hoch sind, um mit der festgeschriebenen Miete von 5,25 Euro wirtschaftlich bauen zu können“. Zum 1. Februar 2018, das merkt die Stadt an, sei die Bewilligungsmiete für Siegen auf 5,55 Euro angehoben worden.

Hans-Böckler-Stiftung

Für fast 47 Prozent der Haushalte mit geringem Einkommen gibt es in Siegen keine leistbaren Wohnungen. Das geht aus der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie „Wie viele und welche Wohnungen fehlen in deutschen Großstädten?“ hervor. Die Stiftung ist nach eigenen Angaben das „Mitbestimmungs-, Forschungs- und Studienförderungswerk des DGB“.

Methodik: Wissenschaftler der Humboldt-Universität Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt glichen für die Studie die Einkommen und das Angebot an Mietwohnungen in 77 Städten miteinander ab. Grundlage der Einschätzung ist das so genannte Bundesmedianeinkommen, also das durchschnittlich zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen in Deutschland. Für einen Ein-Personen-Haushalt sind das 1484 Euro, für einen Zwei-Personen-Haushalt 2226 Euro. Ausgehend davon, dass eine Mietbelastung als „leistbar“ gilt, wenn sie nicht mehr als 30 Prozent des Budgets erfordert, lässt sich errechnen, ob für Menschen mit einem Einkommen unterhalb des Medians in einer Stadt genügend passende Wohnungen vorhanden sind.

Ergebnisse: In die Siegen fehlen demnach 4665 Wohnungen für Haushalte, die weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens haben. Wer mehr als 60, aber weniger als 100 Prozent des Durchschnittseinkommens hat, sollte rein rechnerisch eine leistbare Wohnung finden können. Die Zahlen, auf die die Studie sich stützt, stammen aus dem Mikrozensus 2014. Weil „die Mieten seitdem weiter deutlich gestiegen sind, gehen die Forscher davon aus, dass die Lücke mittlerweile sogar noch größer ist“, heißt es in einer Mitteilung der Hans-Böckler-Stiftung zur bundesweiten Situation. In ganz Deutschland fehlten 1,9 Millionen leistbare Wohnungen, davon 550 000 in Nordrhein-Westfalen – gefolgt von Berlin mit 310 000 und Bayern mit rund 192 000. Problematisch sei, dass sich die Lücke „im vorhandenen Wohnungsbestand auch theoretisch nicht schließen ließe“ – womit umfangreiche Baumaßnahmen erforderlich wären.

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