Siegen. . 1960 machte der Professor Abitur am Gymnasium in Weidenau. In Physik bestand er mit einem „sehr gut“ – heute versteht er die Aufgabe nicht mehr.

Die alte Schule, kaum wiederzuerkennen. Jahrzehnte ist es her, dass Joachim Frank am Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium (FJM) Abitur gemacht hat: 1960 war das. Damals musste man sich noch für die Abiturprüfung bewerben, handschriftlich. Alle Lehrer prüften. Der Jahrgang war nur einen Bruchteil so groß wie heute. Die Schulgemeinde platzt vor stolz, dass ihr berühmtester Absolvent, der Chemie-Nobelpreisträger, Biophysiker und US-Professor, sich Zeit nimmt, um ihr, sein FJM von heute neu kennenzulernen.

Flavio erklärt  Joachim Frank  ein Experiment.
Flavio erklärt Joachim Frank ein Experiment. © Hendrik Schulz

Nach dem Abi habe er erstmal große Ferien gemacht, sagt Frank. Die Schüler im Chemiesaal – ein Teil hat am Tag zuvor die Physik-Abiprüfung geschrieben – glucksen. Ferien ...

Aber dann ging es an die Uni, nach Freiburg, erst Elektrotechnik, nach wenigen Wochen der Schwenk zur Physik. Für ihn ein Schock: Mathe und Physik fielen ihm in der Schule immer leicht. Und dann die Uni: lineare Algebra, mathematische Beweise, ... „Ich war völlig verzweifelt“, sagt Frank – zum Glück traf er andere, denen es genauso ging. Sie taten sich zusammen, um sich durch den Stoff zu beißen. Es entstanden Freundschaften.

Frank vermisst deutsches Brot

Ob ihm etwas aus Deutschland fehle, wird Frank gefragt. „Das Brot“, antwortet er. Brot wird es nicht, aber das Geschenk des FJM hat auch mit Getreide zu tun: Fürstenbier, FJM Stout und FJM Lager, gebraut von den Schülern, exklusiv.

Biologie sei eigentlich gar nicht so sein Fachgebiet gewesen, sagt Frank und erzählt, wie es zu seiner Forschung kam: Als er seine Doktorarbeit in München schrieb, hatte sein Mentor ein „vorsintflutliches Elektronenmikroskop“. Damit hatte er kleinste Schuppen im Schmetterlingsflügel entdeckt, die die Farbe der Flügel beeinflussen. „Das faszinierte mich.“ Er landete im Labor eines Röntgenstrukturanalysten, Auftrag: Statt Röntgenstrahlen das Elektronenmikroskop einsetzen.

Lochkarten für die Bildverarbeitung

Dafür war digitale Bildverarbeitung nötig – aber die gab es quasi nicht. Frank begann, Programme zu schreiben, mit den riesigen Computern dieser Zeit. „Das war der Ursprung der Technologie, die ich später entwickelt habe.“ 1970 war er das erste Mal für zwei Jahre in den USA – „ein Kulturschock“ –, konnte die fortschrittlichen Computer für seine Bildverarbeitungsprogramme nutzen und lernte Forscherkollegen kennen, profitierte von diesem Netzwerk.

Joachim Frank besucht FJM in Weidenau

Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau besucht seine alte Schule. Diskussion mit Oberstufenschülern.
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau besucht seine alte Schule. Diskussion mit Oberstufenschülern. © Hendrik Schulz
Enthüllung Wandbild.
Enthüllung Wandbild. © Hendrik Schulz
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau mit seiner Ehefrau Carol Saginaw.
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau mit seiner Ehefrau Carol Saginaw. © Hendrik Schulz
Schulleiter Rüdiger Käuser.
Schulleiter Rüdiger Käuser. © Hendrik Schulz
Enthüllung Wandbild.
Enthüllung Wandbild. © Hendrik Schulz
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau mit seiner Ehefrau Carol Saginaw.
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau mit seiner Ehefrau Carol Saginaw. © Hendrik Schulz
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau mit seiner Ehefrau Carol Saginaw.
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau mit seiner Ehefrau Carol Saginaw. © Hendrik Schulz
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse.
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse. © Hendrik Schulz
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse.
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse. © Hendrik Schulz
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse.
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse. © Hendrik Schulz
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse.
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse. © Hendrik Schulz
Diskussion mit den Oberstufenschülern.
Diskussion mit den Oberstufenschülern. © Hendrik Schulz
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse.
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse. © Hendrik Schulz
Diskussion mit den Oberstufenschülern.
Diskussion mit den Oberstufenschülern. © Hendrik Schulz
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse.
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse. © Hendrik Schulz
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse.
Vorführung Chemiekurs in der 8. Klasse. © Hendrik Schulz
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau besucht seine alte Schule.
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau besucht seine alte Schule. © Hendrik Schulz
1/17

Erinnern kann er sich noch an den „schönen Willi“ (Schröder), den bekannten Mathelehrer des FJM. Dessen Sohn Eckhard hat alte Fotos herausgesucht. „Der hieß so, weil er täglich die Haare mit feinster Pomade in Form gebracht hat“, erzählt Frank. Der alte Trafo aus dem Physikunterricht ist noch da, die Lehrer benutzen ihn weiterhin. Funktioniert einwandfrei. Lochkarten waren es, mit Hilfe derer Joachim Frank seine Bildverarbeitung umsetzte, die Computer: Ganze Schränke. Die Bilder aus dem Elektronenmikroskop waren so groß, dass der altertümliche Rechner sie nicht in einem Stück erfassen konnte. Ausgedruckt wurden sie schließlich als riesige Druckfahnen. Zur Betrachtung wurden sie wiederum abfotografiert und verkleinert.

Nobelpreisträger fühlt sich mit FJM verbunden

Physik sei immer sein bestes Schulfach gewesen – Frank schrieb im Abitur ein „sehr gut“. Mit Schulleiter Rüdiger Käuser hat er sich den Aufsatz angeschaut: „Ich verstehe das heute nicht mehr“, sagt er, grinst. „Keine Ahnung, wie ich die 1 geschrieben habe.“ Die anderen Fächer – naja. Chemie: zwischen 3 und 4. „Ziemlich langweilig...“

Rüdiger Käuser hatte die Idee, den berühmten Absolventen an seine alte Schule einzuladen. Seit bekannt wurde, dass Frank den Nobelpreis erhält, hat der Schulleiter Mailkontakt zu ihm, Frank fühlt sich seiner alten Schule sehr verbunden.

Ein Wandbild wird enthüllt: Die Achtklässler von Nina Evers haben im Obergeschoss des Foyers Franks Konterfrei auf den Putz gemalt. Der Professor lächelt gerührt mit seinem Konterfei an der Wand um die Wette.

Englisch als Befreiung

Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau in Siegen.
Nobelpreisträger Joachim Frank aus Weidenau in Siegen. © Hendrik Schulz

Interdisziplinäres Arbeiten machte ihn zum erfolgreichen Forscher: Als Physiker beschäftigte sich Frank mithilfe der Informatik mit biologischen Systemen – Zellen. „Ich hatte ein Ziel, biologische Moleküle darzustellen. Das konnte ich nur erreichen, wenn ich meine eigenen Werkzeuge produziere.“ Und die ermöglichten weitere Erkenntnisse. Er hätte sich nie träumen lassen, dass er als Physiker so große Beiträge für die Biologie beisteuern würde, sagt Frank.

Sprache war für ihn immer wichtig. Frank schreibt Gedichte und Kurzgeschichten, „nur Wissenschaft ist langweilig“, sagt er. Als er in die USA übersiedelte, war das Englische für ihn die Lösung eines Problems: „Die deutsche Sprache war durch die Nazizeit verstümmelt, manche Wörter konnte man nicht mehr gebrauchen – ich konnte mich nicht richtig ausdrücken.“ Englisch ermöglichte ihm das. „Das war wie eine Befreiung für mich.“

Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook.