Siegen. . VHS-Leiterin Anke Homfeld über Trends, zeitlosen Nutzen – und darüber, wieso das Internet keine Konkurrenz für die Volkshochschule ist.
Die Volkshochschule Siegen feiert in diesem Jahr doppelt. Die Einrichtung selbst, am 3. Oktober 1948 als „Volkshochschule für das Siegerland – Volksbildungswerk für Stadt und Landkreis“ gegründet, feiert 70-jähriges, der Förderverein 20-jähriges Bestehen. Geschichte, Trends und die Bedeutung des VHS-Angebots über die reine Wissensvermittlung hinaus erläutert Leiterin Anke Homfeld im Gespräch mit Florian Adam.
Was war vor 70 Jahren die Motivation für die Gründung der Volkshochschule?
Was heute als lebenslanges Lernen gilt, hieß 1948 „Bildung zur Erfüllung einer verantwortlichen Lebensaufgabe“. Volkshochschulen hatte es schon früher gegeben. In der Nazizeit hatte Weiterbildung aber keine Bedeutung. Im Gegenteil: Sie wurde kritisch beäugt, die Menschen sollten auf Linie gebracht werden. Dann kam eine neue Freiheit nach dem Zweiten Weltkrieg, auch der Gedanke einer Aufarbeitung der Vergangenheit. Und es kamen neue Blickwinkel: Beispielsweise darauf, dass es auch tolle Autoren im Ausland gibt, die zur Nazizeit ignoriert wurden.
Was ist aus den Anfängen überliefert?
Anfangs war es schwierig. Die VHS musste in Schulgebäude gehen, jeder Teilnehmer ein Brikett mitbringen, um die Räume zu heizen. Es gab auch nur wenige Kurse und die Leiterin arbeitete ehrenamtlich: Die Stadtverordnete Hedwig Heinzerling.
Das Angebot wurde also erst später auf offiziellere Füße gestellt?
Das Weiterbildungsgesetz ist für uns entscheidend. Wir werden seit den 1970er Jahren vom Land gefördert, davon werden vier Mitarbeiter bezahlt. Außerdem gibt es Geld und Unterstützung von der Stadt, beispielsweise werden uns Räume gestellt. All das ermöglicht nicht nur günstige Kurspreise, es ist auch Garant für unsere Unabhängigkeit. Wir müssen nicht möglichst viele Leute in viele Angebote pressen.
Sie bedienen auch Nischen-Interessen?
Ja. 2017 etwa legten wir einen Fokus auf selten unterrichtete Sprachen wie finnisch oder mongolisch. Eine Mindestgröße ist für die Kurse natürlich erforderlich, aber wir können auch Angebote für kleine Gruppen machen.
Dank Mitteln der Öffentlichen Hand.
Bildung kostet, sie ist sinnvoll: Man investiert in die Zukunft.
Wobei es Angebote gibt, die im Berufsleben weiterhelfen und damit einem wirtschaftlichen Nutzen dienen, während andere auf Freizeit ausgerichtet sind.
Ich glaube nicht, dass sich das so klar trennen lässt. Ein gesunder Rücken hilft in der Freizeit und im Beruf. Und wer in einem Malkurs seine persönliche Zufriedenheit steigert, geht lockerer ins Büro.
Lassen sich mit Blick auf 70 Jahre VHS-Geschichte Weiterbildungs-Moden erkennen?
In der 70er und 80er Jahren waren EDV- und Computerkurse sehr gefragt. Jetzt sind Gesundheitskurse sehr beliebt. Wobei: Sprachen und Gesundheit sind schon immer gut gelaufen.
Und was hat gar nicht funktioniert?
Meditatives Malen. Die Leute wollen entweder meditieren – oder malen. Aber nicht beides gleichzeitig.
Wie erkennen Sie neue Trends, die ins Programm gehören?
Wir schauen unter anderem, was andere Anbieter machen. Wir fragen auch in den Feedbackbögen zu unseren Kursen, was die Kunden sich wünschen. Taucht ein Thema mehrfach auf, versuchen wir, ein Angebot zu organisieren. Das hängt natürlich davon ab, ob wir einen Kursleiter bekommen. Da haben wir einen großen Vorteil durch die Uni. Aber Siegen ist nicht München, nicht immer werden wir fündig. Und wir achten auf Qualität. Wir bieten nichts an, nur um es anzubieten.
Macht das Internet Ihnen Konkurrenz? Es gibt online Anleitungen und Tutorials für quasi alles.
Sowas nutzen die Menschen eher zielgerichtet, wenn sie eine Lösung für ein ganz konkretes Problem suchen, etwa für eine Reparatur. Oder sie informieren sich erst einmal generell. Wer Unterricht möchte, kommt dann trotzdem oft zu uns – denn da sitze ich nicht allein vorm PC und gucke mir Youtube-Filmchen an.
Lernen als soziales Erlebnis ist vielen Menschen wichtig?
Feierstunde im Siegener Ratssaal
Die offizielle Feierstunde zum 70-Jährigen der VHS Siegen und zum 20-Jährigen ihres Fördervereins ist am Dienstag, 20. März, ab 18 Uhr im Ratssaal des Rathauses Siegen.
Die Volkshochschule Siegen ist seit Eröffnung des Krönchen-Centers im Jahr 2007 dort untergebracht – ebenso wie das Stadtarchiv und die Stadtbibliothek.
Das Jahresprogramm umfasst mittlerweile rund 300 Seiten. Zum Vergleich: 1965 füllte das Programm – allerdings für ein Semester – 40 Seiten.
Online: vhs-siegen.de
Der soziale Faktor wird sogar immer wichtiger. Die Leute sind heute viel mobiler, man arbeitet und lebt oft nicht mehr in der Stadt, in der man aufgewachsen ist. Aber wo gehe ich hin, wenn ich umziehe und neue Leute kennenlernen möchte? Da ist ein VHS-Kurs eine echte Option. Natürlich geht es um die Inhalte, aber für viele steht das Miteinander im Vordergrund. Der Mensch ist ein soziales Wesen, Lernen ist ein sozialer Prozess.
Welche Altersgruppe kommt zu Ihnen?
Im Grunde alle. Aber es gibt Lebensphasen, in denen die VHS nicht so eine Rolle spielt. Wer gerade eine Familie gegründet oder einen neuen Job angetreten hat, geht abends nicht noch in einen Kurs. Meistens sind unsere Kunden ab Ende 30, Anfang 40.
Bleiben die Kunden dauerhaft dabei?
Das variiert. Eine Sprache lernen Sie nicht in einem einzigen Kurs, da ist die längere Verweildauer vorprogrammiert. Ansonsten muss es mittlerweile zügiger gehen. Ein Angebot über 15 Abende läuft nicht mehr, über sechs Abende wird es eher gebucht.
Das verlangt von den Kursleitern eine Anpassung der Unterrichtsweise.
Das ist ohnehin so, wir müssen beweglich sein. Ein großes Plus ist in jeden Fall, dass man hier ohne Druck lernen kann. Die Teilnehmer bestimmen das Lerntempo mit. Und es gibt keine Noten. Danach fragen vorab immer noch viele Leute.
Klingt nach prägenden Erfahrungen in der Kindheit und Jugend.
Es ist schade, dass manche Menschen Schule offenbar so schlecht in Erinnerung haben, dass sie mit eingezogenem Kopf kommen. Das ist bei uns nicht notwendig. Wenn hier jemand etwas nicht weiß, wird er dafür nicht herabgestuft. Unsere Aufgabe ist, dass Leute zufrieden nach Hause gehen: mit Lernzuwachs, erholt, entspannt.
Wie hilft Ihnen der Förderverein?
Er unterstützt uns zum Beispiel bei der Durchführung von Veranstaltungen mit Manpower. Aber auch finanziell – das ermöglicht Anschaffungen, die wir sonst nicht machen könnten. Der Förderverein bietet auch Stipendien an für Leute, die sich einen Kurs nicht leisten, andere Förder- oder Nachlassinstrumente aber nicht in Anspruch nehmen können. Das ist wichtig – nichts ist schlimmer, als wenn jemand lernen will und es wegen des Geldes nicht kann.
Hat eine Volkshochschule noch mit Vorurteilen zu kämpfen?
Die VHS wird schon mal belächelt, gerade der Kreativbereich. Zu Unrecht. Die Kursteilnehmer stellen sich einer Herausforderung. Ob sie nun den Umgang mit einem Computerprogramm erlernen oder eine Vase töpfern: Sie entwickeln sich persönlich und können auf das Ergebnis stolz sein.
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