Eschenbach. . Vor 75 Jahren wurden Sinti aus Eschenbach deportiert. Die meisten wurden in Konzentrationslagern ermordet. Spurensuche bricht das Schweigen.

Am 9. März 1943 werden Ernestine und Josef Wagener und vier ihrer sieben Kinder aus Eschenbach deportiert. Der Zug fährt über Bremen, Hamburg, Berlin und Leipzig nach Auschwitz-Birkenau. Sie überleben dort nur wenige Wochen, am 7. November stirbt auch die Mutter. Anton wird noch in Mittelbau-Dora als Zwangsarbeiter ausgebeutet. Mit seinem Vater hat er im Eschenbacher Sägewerk gearbeitet. „Arbeitsscheu — Zigeuner“ steht auf der „Häftlings-Personal-Karte“ des Konzentrationslagers Buchenwald. Er stirbt am 9. März 1945. Mit nur 17 Jahren.

Quellen zu Widerspruch und Widerstand

Einen (Online-)Blog über Widerspruch und Widerstand im Nationalsozialismus in Siegen-Wittgenstein stellt Dr. Ulrich Opfermann am Donnerstag, 19. April, im Krönchen-Center vor — das Gegenstück zum bereits erarbeiteten Täter-Blog.

Spurensuche

Torsten Thomas und Joe Mertens, beide ehrenamtlich in der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes/Bund der Antifaschisten (VVB/BdA) engagiert, suchen seit einigen Jahren Spuren der Eschenbacher Sinti. Eleonore Schmallenbach, inzwischen verstorbene Schulfreundin von Anita Faber, hatte sie beim Gedenken an die jüdische Familie darauf aufmerksam gemacht. „Da habe ich angefangen zu telefonieren“, erzählt Thomas. Mit Erfolg. Fritz Eling hatte das Klassenbuch des Schuljahrs 1940/41 der Volksschule aus dem Müll gerettet. Josef und Anton gehen in seine Klasse.

„Korbmacher“ ist als Beruf der Eltern eingetragen, der 18. April 1939 als Tag der Schulaufnahme. In diesem Jahr trat der gegen Sinti und Roma gerichtete „Festsetzungserlass“ in Kraft – auch die Wagners mussten sich niederlassen. Warum in Eschenbach? Vielleicht weil das früher auf ihren Wegen lag, vermutet Torsten Thomas, „Zigeuner gehörten einfach dazu“. Ihre Ehen erkannte der Staat nicht an. Deshalb stehen die Kinder mit dem Nachnamen der Mutter im Klassenbuch.

Vor fünf Jahren stellen Mertens und Thomas in Eschenbach ihre ersten Forschungsergebnisse vor, der Regionalhistoriker Dr. Ulrich Opfermann hält einen Vortrag über das Schweigen, das bis dahin über dieser Geschichte lag. Und danach nicht mehr: Mertens und Thomas gelingt es, in den Archiven die Schicksale der zwei miteinander verwandten Familien Wagner zu rekonstruieren. Peter Wagner, seine Frau und vier Kinder waren nur ein paar Monate im Dorf. Josef, Ernestine und sieben Kinder bis zu jenem 9. März vor 75 Jahren. Ein Mädchen wird 1940 geboren. Ein Enkelkind 1941.

„Zigeunerröschen.“ Torsten Thomas zitiert, wie die Eschenbacher die 15-jährige Rosa riefen. „Die war allen im Kopf.“ Angeblich soll sie Ravensbrück überlebt haben, nach dem Krieg noch einmal hier gewesen sein. Der Ortsgruppenleiter der NSDAP, so berichtet nach Opfermanns Vortrag der Sohn einer Nachbarin, hatte da noch den Laden im Dorf, nur die Bäckerei war zu. Dessen Sohn, so ein anonymer Brief nach dem Vortrag, soll Rosa geschwängert haben. „Dann hätte er [hier nennt Thomas den Namen des Mannes] sein eigenes Enkelkind nach Auschwitz geschickt.“ Einen Beweis dafür gibt es nicht.

Gedenken

17 Menschen, die älteste 45, die jüngste zwei Jahre alt. Eine hat überlebt, das Schicksal zwei weiterer Frauen ist ungeklärt, alle anderen werden in Auschwitz, Buchenwald oder Dachau ermordet. Den Totenschein von Josef Wagner hat der berüchtigte KZ-Arzt Mengele selbst unterschrieben: „Lungenentzündung nach Fleckfieber.“ Wie an sie erinnern? „Es gibt Opfergruppen, deren Schicksale wenig aufgearbeitet sind“, stellt Torsten Thomas fest. Für kaum eine gilt das mehr als für die von den Nazis so genannten „Asozialen“: „Die wurden nach dem Krieg nicht entschädigt.“ Es gibt die Zeugenbank. Und die Idee eines eigenen Online-Gedenkbuchs. Stolpersteine, vielleicht beim Sägewerk, wo Anton gemeldet war. „Die Schule steht ja auch noch.“ Sie steht gerade leer, wird vielleicht doch nicht abgerissen, sondern von Eschenbachern wieder fit für einen größeren Kindergarten gemacht. Für Kinder, die Josefs und Antons Urenkel sein könnten.

9. März 1943. Der in Siegen lebende Sohn erinnert daran, was seine Mutter ihm erzählt hat, die damals selbst noch Kind war: „Alle wussten Bescheid.“

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