Netphen. . Schäl- und Verbissschäden verursachen ökologische und ökonomische Schäden. Erstmals ziehen Behörden, Jäger und Waldbesitzer an einem Strang.

Das Netpherland ist am stärksten betroffen: Zwei Drittel der Fichtenwälder sind durch Rotwildschäden erheblich angegriffen und entwertet. Das soll sich ändern. Im „Pilotprojekt Rotwild“ sollen in einem 12 500 Hektar großen Gebiet gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um den Bestand des Rotwilds so anzupassen, dass die Zahl der Tiere den Kapazitäten des Lebensraums entspricht.

Davon profitieren soll neben dem Ökosystem Wald und den Waldbesitzern, die finanzielle Einbußen erleiden, auch die Art selbst: Das Rotwild findet eben in einem gut strukturierten, gemischtem Wald mit geringeren Wildbeständen bessere Nahrungsbedingungen. „Sie haben eben vielerorts keine guten Lebensbedingungen, müssen die Rinde der Fichten abfressen und schon tritt die gefürchtete Rotfäule und damit erhebliche Holzentwertung ein“, sagt Diethard Altrogge, Leiter des Regionalforstamts.

Das von Rotfäule befallene Holz erzielt keine guten Preise am Markt.
Das von Rotfäule befallene Holz erzielt keine guten Preise am Markt.

Nun ist es erstmals gelungen, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen. Behörden, Jäger und Waldbesitzer ziehen an einem Strang, um ihre Aktivitäten im Sinne der gemeinsamen Ziele zu koordinieren. „Das gab’s noch nie“, freut sich Altrogge. Eine entsprechende Vereinbarung „Wald und Rotwild – Netpherland“ haben das NRW-Umweltministerium, der Kreis Siegen-Wittgenstein als Untere Jagdbehörde, Rotwildhegegemeinschaft Nördliches Siegerland, Waldbauernverband und Regionalforstamt unterzeichnet. Die Erkenntnisse aus dem Projekt können auch in anderen Gebieten genutzt werden.

Die Schäden

Rotwild lebt im und vom Wald – zu viele Tiere aber fressen Knospen, Blätter und Zweige der Bäume in einem Maße, dass es schädigt. Oder sie schälen die Rinde von den Bäumen: Dadurch dringt ein Pilz in das freiliegende Holz ein, es fault und wird morsch, erklärt Altrogge. Mit hohen wirtschaftlichen Verlusten: Für den Festmeter Holz wird nur noch ein Bruchteil des Preises eines gesund gewachsenen Baums erzielt. Gleichzeitig wird die Mischung von Laub- und Nadelwald, die Diversität, verhindert.

Die Ziele

Erstes Ziel sind angepasste Wildbestände. Alle wünschen sich mit Blick auf den Klimaschutz ein stabiles Ökosystem Wald, die Jäger wünschen sich häufig viel Rotwild für eine attraktive Jagd. Wenn das Konzept so funktioniert, wie es sich derzeit abzeichnet, Interessengruppen miteinander sprechen, Rücksicht nehmen und Aktivitäten koordinieren, könnte das alles klappen.

Wildbretvermarktung  ist Teil des Konzepts

Qualitativ hochwertigeres Fleisch als Wild gebe es eigentlich nicht, sagt Diethard Altrogge: keine Medikamente, hohe Nährwerte, cholesterinfreundlich – „die Tiere ernähren sich von Pflanzen und Früchten.“

Mit Unterstützung des Forstamts und der Jäger soll eine Wildfleisch-Vermarktung aufgebaut werden.

Beim Verein Waldland Hohenroth gibt es bereits einen gut funktionierenden Verkauf in Kooperation mit einem Metzger.

„Es gab Jahrzehnte lang Uneinigkeit in manchen Fragen“, bestätigt Christoph Bernshausen, Vorsitzender der Rotwildhegegemeinschaft Nördliches Siegerland – auch ein Kommunikationsproblem. Er sieht gute Chancen, dass mit dem Konzept eine vernünftige Bewirtschaftung möglich ist und Rotwild gleichzeitig in angemessener Zahl heimisch bleibt. „Wir können Schritt für Schritt durch verschiedene Maßnahmen gemeinsam mit den anderen Beteiligten einen Rotwildbestand bewirtschaften“, sagt Bernshausen – die Jäger seien ja vor Ort, bekämen mit, welche Maßnahmen sinnvoll und tierschutzgerecht zu ergreifen sind. „Gespräche am Stammtisch hat es immer gegeben – dass es jetzt geklappt hat, dass wir uns absprechen und Kompromisse finden, ist eine tolle Sache.“ So sei es ja beispielsweise möglich, „nicht immer nur dann zu jagen, wenn uns danach ist“, sondern Ruhezeiten einzuhalten oder Intervalljagden in Form von Drück- aber auch abgesprochenen Einzeljagden durchzuführen. Im Gegenzug kommen die Waldbesitzer den Jägern zum Beispiel bei der Durchführung von Arbeiten im Hauberg und bei Wildäsungsflächen entgegen – ein Geben und Nehmen.

Die Bestandteile

1. Wildbestand erfassen. Eine Spezialfirma fliegt das Gebiet systematisch ab und nimmt die Tiere nach Stückzahl auf. Per Wärmebildkamera werden so einzelne Tiere sicht- und unterscheidbar. Um verwertbare Daten zu erhalten, dürfen die Bäume kein Laub tragen. 2018 oder 2019, abhängig von der Bewilligung der Förderanträge, könnte es losgehen.

2. Bejagungskonzept. „Wenig Rotwild heißt nicht automatisch wenig Schäden“, sagt Altrogge. Falsche Bejagung könne dazu führen, dass trotz kleinerer Wilddichte höhere Schäden zu verzeichnen sind. „Wenn die Tiere auf einer Wildwiese abgeschossen werden, auf der sie Nahrung finden, wo sie ihre Ruhe haben, kommen sie dort nicht mehr hin“, erklärt Altrogge. Sie weichen in den Wald aus, wo sie Deckung finden – und wo sie Bäume anfressen. Jede Jagd verursacht Stress, sie versuchen zu fliehen – ein Ziel könne also sein, Jagden abzustimmen. „Wenn der Nachbar mitjagt, wird das Wild nur einmal aufgescheucht“, sagt Altrogge.

3. Fütterungskonzept. Wenn die Stellen zum Anfüttern gezielt aufeinander abgestimmt werden, kommen sich die einzelnen Jagdpächter weniger in die Quere wenn es darum geht, das Wild in bestimmen Bereichen anzulocken – finden die Hirsche viel Nahrung an einem Ort, bleiben sie auch.

4. Verbiss- und Schäldschadensgutachten. Die Mitarbeiter des Forstamts gehen in die Reviere und dokumentieren die tatsächlichen Schäden, um den monetären Verlust zu erfassen und um Empfehlungen abgeben zu können, wo verstärkt gejagt werden sollte beziehungsweise. die Waldstruktur verändert werden kann.

5. Abschussplanung. Auf Basis dieser Erkenntnisse stimmen sich die Jagdpächter ab, in welchen Bereichen (auch revierübergreifend) gejagt wird.

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